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"Die Presse"-LEITARTIKEL: Hat Werner Faymann einen Traum?, von Michael Fleischhacker

Ausgabe vom 11.07.2009

Wien (OTS) - Ein Jahr nach seinem "Krone"-Brief ereilte den
Kanzler der Fluch der bösen Tat. Das könnte eine Chance sein.

Vor etwas mehr als einem Jahr legte Werner Faymann die Basis für seinen bisher größten politischen Erfolg: Gerade als neuer SPÖ-Chef inthronisiert, schrieb er gemeinsam mit Noch-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer einen Brief an Hans Dichand, den Herausgeber der "Kronen Zeitung". Darin schloss er sich Dichands Forderung an, die österreichische Zustimmung zu Änderungen der Europäischen Verträge künftig vom Ergebnis einer Volksabstimmung abhängig zu machen. Die Gegenleistung bestand in einer atemberaubenden Kampagne der größten Zeitung des Landes für den Kanzlerkandidaten der SPÖ. Noch wichtiger als die Mobilisierung für Faymann und die SPÖ war die Demobilisierung potenzieller ÖVP-Wähler durch eine ziemlich ungustiöse Kampagne gegen die Vertreter der "alten" ÖVP, vor allem Ursula Plassnik und Wolfgang Schüssel. So gelang es der SPÖ, trotz des schlechtesten Nationalratswahlergebnisses aller Zeiten stärkste Partei zu werden.

Ziemlich genau ein Jahr danach traf den nunmehrigen Bundeskanzler Werner Faymann der Fluch der bösen Tat: Hans Dichand überlegte es sich anders und erklärte in einem Interview für die Fernsehbeilage seines Blattes, er erwarte sich die "große Wendung", die er für Österreich herbeisehne, von einer neuen personellen Konstellation:
Erwin Pröll solle anstelle von Heinz Fischer Bundespräsident werden und Josef Pröll anstelle von Werner Faymann Bundeskanzler. Nach übereinstimmender Überlieferung mehrerer Ohrenzeugen begründete Hans Dichand seinen Sinneswandel damit, dass Faymann und andere SPÖ-Regierungsmitglieder das "Krone"-Konkurrenzblatt "Österreich" durch großzügige finanzielle Zuwendungen künstlich am Leben erhielten.

Seither hat Josef Pröll, schon im letzten Wahlkampf Nutznießer der "Krone"-Kampagne gegen die "alte" ÖVP und Wunsch-Vizekanzler des Herausgebers, Oberwasser: Er positioniert sich als treibende Kraft der Regierung, genießt die neue Konstellation sichtlich, versucht aber zugleich, den Regierungspartner damit nicht zu überfordern.

Viel mehr, und das ist ein niederschmetternder Befund, ist zur Performance der Koalitionsregierung in ihrem ersten Halbjahr nicht zu sagen: Was sie tut und was sie nicht tut, wie sie ihre Aktivitäten kommuniziert, ist ausschließlich darauf abgestellt, wie sich die österreichischen Boulevardmedien im Wettlauf um Aufmerksamkeit und Geld positionieren.

Die österreichische Politik ist also auf dem Boulevard angekommen. Es wäre naiv und absurd, so zu tun, als ob man ohne die Massenmedien je hätte Politik machen können. Schon immer war es für Regierungen unumgänglich, Zustimmung für das zu erkämpfen, was sie nach einem qualifizierten Austausch von Argumenten als richtig, notwendig und machbar erkannt haben. Das ging nie ohne die Massenmedien, und es ging nie ohne Kompromisse und ohne Vereinfachungen in der Darstellung. Aber die gegenwärtige österreichische Politik macht sich mit dem Versuch lächerlich, das, was ihr vom Boulevard gegen das brüchige Versprechen des Machterhalts abverlangt wird, wie Politik aussehen zu lassen.

Werner Faymann wird die Verantwortung dafür, dass er diese Spirale in Gang gesetzt hat, nicht mehr loswerden. Dass er in der öffentlichen Wahrnehmung vom smarten Machtjongleur zur tragischen Figur des Zauberlehrlings geworden ist, der die Geister, die er rief, nun nicht mehr loswird, ist die gerechte Strafe dafür: Da und dort wird bereits Mitleid laut, und das war schon immer die schlimmste Form der Demütigung.

Vielleicht ist die Krise, die der Bundeskanzler jetzt erkennbar durchlebt, aber auch eine ganz persönliche Chance. Er könnte zeigen, dass der Vorwurf, er sei immer nur ein Nutznießer der engen persönlichen Bindung an einen mächtigen Zeitungsmann gewesen, eine Fehleinschätzung ist. Er könnte den öffentlichen Liebesentzug durch seinen allmächtigen Gönner und "Onkel" dazu nutzen, die Welt mit konkreten Vorstellungen von dem zu überraschen, was Politik seiner Meinung nach in einer Krisensituation leisten kann. Er könnte seinen Wahlslogan "Genug gestritten" hinter sich lassen und für seine Vorstellungen von Politik und Gesellschaft kämpfen. Er könnte etwas riskieren.

Vor einem Jahr hat Werner Faymann einen Brief an den Sandmann im "Krone"-Hochhaus geschrieben. Danach verfiel das Land einmal mehr in großkoalitionären Tiefschlaf. Nach dem unsanften Erwachen der vergangenen Wochen möchte man vom Bundeskanzler wissen, ob er einen Traum hat.

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