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"Die Presse am Sonntag": Muzicant: "Dieses Gehetze erinnert mich an Goebbels", im Gespräch mit Rainer Nowak
Ausgabe vom 17.05.2009
Wien (OTS) - Ariel Muzicant, Chef der Israelitischen
Kultusgemeinde Wien, sieht den Rechtsextremismus in Österreich auf
dem Vormarsch. Den Boden dafür bereite die FP-Führung "systematisch"
und absichtlich.
Im Tiroler Serfaus werden von einem Hotel jüdische Gäste kategorisch
abgelehnt. Im ehemaligen KZ Ebensee haben bei einer Gedenkfeier junge
Burschen Nazi-Parolen gebrüllt und Teilnehmer attackiert. Sind Sie
beunruhigt oder gelassen?
Ariel Muzicant: Da muss man schon differenzieren. In dem Serfauser
Hotel war die Diktion das Problem - das "Vermiete nicht an Juden".
Die Tatsache, dass es offenbar ein Problem zwischen dem Personal und
einigen orthodoxen jüdischen Gästen gab, hätte vom Hotel einfach
kommuniziert werden müssen. Aber man muss mit dem Schwingen der
Antisemitismus-Keule vorsichtig sein. Wenn immer alle gleich
Antisemiten sind, wenn man bei jedem Unfug vor dem Faschismus warnt
und mahnt, tun wir uns schwer, empört aufzustehen, wenn einmal
wirklich etwas passiert. Etwa wenn aus politisch-taktischen Gründen
Martin Graf in das Nationalratspräsidium gehievt wird. Einen Le Pen
hat man nie in ein politisches Amt gewählt. Wenn ÖVP und Teile der
SPÖ Koalitionen mit einer offen rassistischen und antisemitischen
Partei wie der FPÖ für möglich halten, weil die FPÖ ja demokratisch
gewählt wurde, dann müssten alle empört aufstehen. Dass die roten
Landeshauptleute von Salzburg und der Steiermark ein Taktieren mit
der FPÖ überhaupt in Betracht zogen, ist skandalös. Das ist eine
Verharmlosung, die bei Kreisky begonnen hat, bei Kurt Waldheim
explodiert ist, bei Jörg Haider weiterging und von Heinz-Christian
Strache jetzt maximiert wird. Und darauf reagieren die zwei großen
Parteien mit Wurschtigkeit und politischer Schlampigkeit.
Gerade Sie haben doch etwa das BZÖ Jörg Haiders schon einmal gelobt,
diese Kritik verwundert mich jetzt.
Moment! Ich meine Jörg Haiders Behauptungen von der "ordentlichen
Beschäftigungspolitik", von den "ehrenwerten Herren der SS". Ich
meine Haider in Krumpendorf und am Ulrichsberg. Ich spreche nicht von
Jörg Haider, der sich mit dem BZÖ von der FPÖ und ihrem
rechtsextremen Kern abgespaltet hat. Aber selbst unter Jörg Haider
hat es in der FPÖ nie so eine Ansammlung von rechtsextremen
Funktionären gegeben wie bei Heinz-Christian Strache, Graf und Mölzer
heute. Diese fördern den Rechtsextremismus in ihren eigenen Reihen
und wollen ihn systematisch salonfähig machen, und jetzt gibt es in
Österreich eine Verdoppelung der Anzeigen. Die ideologischen
Verantwortlichen sind die Herren Mölzer, Strache und Co. Und
gefördert wird dies von all jenen, die sich nicht aufraffen können,
eine Grenze zu ziehen, die man nicht überschreiten darf, nämlich mit
der FPÖ keine gemeinsame Sache zu machen. Dass die ganze ÖVP und
Teile der SPÖ Herrn Graf gewählt haben, war einer jener Dammbrüche,
für die wir jetzt die Rechnung serviert bekommen. Man hat auch die
früheren FP-Politiker Peter und Haupt nicht ins Nationalratspräsidium
gewählt. Graf schon.
Aber Wilhelm Brauneder.
Da ist ein Unterschied zwischen Brauneder und Graf bitte!
Solche Wahlen oder Koalitionsdiskussionen bewirken rechtsextreme
Straftaten?
Nicht direkt, aber da werden die Stimmung und der Boden aufbereitet.
Wenn Graf und Mölzer jemanden einladen, der den Holocaust leugnet,
wenn Strache ständig das Verbotsgesetz abschaffen will, dann erzeugt
das genau jenes Klima, dass so etwas wie in Ebensee passiert. Die
einen tanzen vor, diese jungen Burschen tanzen nach. Die denken sich,
das sei fesch.
Der SP-Bürgermeister von Ebensee hat argumentiert, dass gerade die
klare und intensive Aufarbeitung der Vergangenheit in Ebensee bei
diesen Jugendlichen die Gegenbewegung ausgelöst haben könnte: genau
dagegen zu provozieren.
Das kommt dann langsam an die Argumentation heran, die Juden sind am
Antisemitismus selbst schuld. Wenn Sie weniger über Antisemitismus
reden: Wird er verschwinden?
Die Vergangenheitsbewältigung ist ja unbestritten, sich dagegen zu
stellen ist aber ein einfacher Tabubruch.
Das Problem an der Vergangenheitsbewältigung ist die österreichische
Selbsteinschätzung: Am Anfang war Österreich nur das erste Opfer,
dann hieß es bei Waldheim "Jetzt erst recht", und dass "alle nur ihre
Pflicht getan" hätten. Es wurde verniedlicht. Es ist auch heute eine
Kultur der Bagatellisierung: "Na, mein Gott, das sind doch nur
Jugendtorheiten." Oder: "Man kann doch diesem alten, kranken Mann
keinen Kriegsverbrecherprozess machen", heißt es da. Das ist die
Stimmung. Ich war diese Woche bei einer Podiumsdiskussion zum Thema
Verbotsgesetz im Juridicum eingeladen, bei der junge Rechte
versuchten, die Veranstaltung lautstark zu stören. Das erinnerte mich
an die Stimmung in den frühen Siebzigerjahren, als die
Auseinandersetzungen an den Universitäten mit den Rechten gewalttätig
ausgetragen wurden. Wenn meine Theorie nicht stimmt, wonach die FPÖ
mit ihrer Stimmungsmache dahinter steckt, dass die extreme Rechte
Morgenluft wittert, dann geben Sie mir Ihre Erklärung, warum es diese
Häufung von rechtsextremen Vorfällen gibt.
Ich habe keine, ich weiß es nicht.
Die FPÖ instrumentalisiert die Angst vor der Wirtschaftskrise und vor
den Ausländern für ihre rechtsextreme Hetze. Statt dass ein
Nachbarschaftsproblem gelöst wird, bezeichnet die FPÖ die
Demonstration gegen das islamische Zentrum im 20. Bezirk als "Marsch
auf das Rathaus". Kommt Ihnen das nicht bekannt vor? Da müssen doch
alle Alarmglocken läuten. Wo sind wir denn? Weil dort ein paar
Jugendliche tanzen oder beten, geht das Abendland unter?
Aber wir waren doch schon weiter? Sie haben doch auch schon die
Stimmung im Land vor wenigen Jahren wesentlich positiver gesehen.
s9;0Das ist die Entwicklung der vergangenen zwei oder drei Jahre.
Warum legt denn die FPÖ so dramatisch zu? Man kuschelt und
verharmlost, nur die Wiener SPÖ hält da dagegen. Auch Ebensee wäre
nicht passiert, wenn man in der Affäre Graf gesagt hätte, da ist eine
rote Linie, die wird nicht überschritten, der wird nicht gewählt.
Stattdessen werden "Erklärungen verlangt" und Lippenbekenntnisse
abgegeben.
Glauben Sie wirklich, dass der Vorfall in Ebensee nicht passiert
wäre?
Ja, ich glaube das. Da ist eine Grundstimmung in Teilen der
Bevölkerung, die Hydra erhebt wieder ihren Kopf. Es gibt in
Österreich keine Gefahr vom Linksextremismus, die Gefahr von rechts
sehe ich. Haben Sie den Artikel in "Zur Zeit" gelesen (Herausgeber
Andreas Mölzer, Anm.)? Da heißt es ganz unverfroren, dass die
jüdischen "Spekulanten und Betrüger vom Großformat eines Alan
Greenspan, George Soros oder Bernard Madoff" schuld an der
Weltwirtschaftskrise seien, und Mölzer wird von zehntausenden
Österreichern ins Europäische Parlament gewählt. Diese Rechtsextremen
sind nur eine Minderheit, aber sie fühlen sich stärker und sie sind
gefährlich, weil sie verhetzen, Neid und Hass schüren, die Ängste der
Menschen missbrauchen.
Aber wird zu wenig gesetzlich unternommen?
Die Exekutive hat das gut im Griff. Aber die Staatsanwaltschaft
verfolgt vieles nicht mehr.
Aber was soll man denn Ihrer Meinung nach tun? Franz Vranitzky hat
mit seiner völligen Ablehnung jedweder Kooperation mit der FPÖ die
Rechten auch nur stärker gemacht.
Dann macht sie das eben stärker, aber den Rest des Landes macht es
nicht schwächer. Und irgendwann ist es dann vorbei, so wie Le Pens
Zeit in Frankreich abgelaufen ist. Das muss man länger durchhalten.
Das ist keine Ausgrenzung, das ist eine notwendige Abgrenzung.
Stimmen Sie dem Wiener Bürgermeister zu, der die Methoden der FPÖ mit
denen der Nazis verglichen hat?
Ja, das kann man sagen. Und wenn ich den Herrn Kickl (Herbert,
Generalsekretär der FPÖ, Anm.) höre, erinnert mich dieses Gehetze und
die Sprache an Joseph Goebbels.
Aber die FPÖ ist doch demokratisch legitimiert?
Ja klar, das sagt auch Andreas Mölzer. Aber das Argument ist falsch.
1933 war Adolf Hitler auch demokratisch legitimiert. Man hat mit ihm
zusammengearbeitet. Hitler hat sich später an die Macht geputscht.
Nicht, dass ich das nun befürchte. Aber man muss jetzt auf die
Wirtschaftskrise reagieren und den Rechten den Boden entziehen, am
besten mit einer öffentlichen Beschäftigungsoffensive und verstärkter
Solidarität zwischen allen Bevölkerungsschichten, mehr
Steuergerechtigkeit und einem "New Deal", wie ihn Präsident Roosevelt
in den Dreißigerjahren vorexerziert hat.
Mit einer Reichensteuer?
Diese Begriff lehne ich ab. Aber eine Vermögenszuwachssteuer wäre
doch logisch und vor allem gerecht. Warum soll ein Gewinn auf einen
Immobilienverkauf nicht besteuert werden? Etwa mit der ganz normalen
Kapitalertragsteuer? Warum gibt es keine höhere Grundsteuer? Warum
gibt es angesichts der massiven Arbeitslosigkeit keine weiteren
Maßnahmen des Staates, die auf Solidarität und Gerechtigkeit
basieren?
Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
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