Competence Center Integrierte Versorgung (CCIV) präsentiert Ist-Stand-Analyse und Prognosen zum Krankheitsbild Demenz in Österreich
Wien (OTS) - Der "Erste Österreichische Demenzbericht" wurde
heute, 21. April 2009, der Öffentlichkeit präsentiert. Das
umfangreiche Werk wurde vom Competence Center Integrierte Vorsorgung
(CCIV) der österreichischen Sozialversicherung erarbeitet. Es liefert
auf der Basis aktueller Daten eine umfassende Ist-Stand-Analyse der
gegenwärtigen Versorgungssituation, Prognosen für die Anforderungen
der Zukunft und beleuchtet die Kostenentwicklung in den Bereichen
Medizin und Pflege vor dem Hintergrund der demografischen
Entwicklung.
100.000 demenzkranke Österreicher - Tendenz stark steigend
Derzeit gibt es rund 100.000 Demenzkranke in Österreich, zwei
Drittel davon sind Frauen. "Da die Lebenserwartung der
österreichischen Bevölkerung steigt, wird sich die Zahl der
Demenzpatienten bis 2050 auf bis zu 270.000 erhöhen, also nahezu
verdreifachen. Im Jahr 2050 könnte jeder zwölfte Österreicher über 60
dement sein", zitiert Franz Bittner, Vorsitzender der Trägerkonferenz
des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger, den
"Ersten Österreichischen Demenzbericht".
Auch das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Demenzpatienten
wird sich rapide verschieben: Bereits heute kommen auf einen
Demenzkranken nur mehr 42 Personen im erwerbsfähigen Alter. Im Jahr
2000 waren es noch 60. Dem "Ersten Österreichischen Demenzbericht"
zufolge geht diese Schere rasch auf: 2020 werden einem Demenzkranken
32 Personen im erwerbsfähigen Alter gegenüberstehen, im Jahr 2050 nur
noch 15.
Wo gibt es Optimierungspotenziale?
"Der 'Erste Österreichische Demenzbericht' zeigt auf, welche
Herausforderungen mit der demografischen Veränderung der Bevölkerung
auf das Gesundheits- und Sozialwesen zukommen. Er lotet die
Optimierungspotenziale in der bestehenden Demenzversorgung aus und
liefert die Grundlage für deren bundesweite Planung und
Weiterentwicklung in nächster Zukunft", so Bittner.
Bittner nennt nur einige Problembereiche, die der "Erste
Österreichische Demenzbericht" aufzeigt, so etwa fehlende
Behandlungspfade und Therapieleitlinien für Demenzerkrankte. "Wir
brauchen zudem kompetente Casemanager als zentrale Ansprechpartner
für alle Fragen rund um die Pflege Demenzkranker - zur Entlastung der
Angehörigen, aber auch der Ärzte", so Bittner. Die Auswertungen der
Versicherungsdaten der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) zeigen
nämlich, dass über elf Prozent der identifizierten Demenzerkrankten
mehr als vierzigmal pro Jahr einen Arzt konsultierten. Das weist
darauf hin, dass Ärzte oft in die Rolle der Sozialarbeiter geraten,
weil kein anderer Ansprechpartner greifbar oder bekannt ist.
Gefahren für pflegende Angehörige
Der "Erste Österreichische Demenzbericht" belegt, wie wichtig die
Rolle der pflegenden Angehörigen in der Demenzversorgung ist. Man
geht davon aus, dass 80 Prozent der Pflege zuhause geleistet werden
und nur 20 Prozent in einem Heim. Aus dem Demenzbericht geht jedoch
auch hervor, wie gefährdet die Angehörigen sind, durch die
körperliche und seelische Dauerbelastung selbst zu erkranken. Es sind
überwiegend Frauen fortgeschrittenen Alters, die häusliche Pflege
leisten. Wer einen Demenzkranken pflegt, ist höherem Stress
ausgesetzt als Pflegende, die für Personen ohne Demenz sorgen: Je
nach Erhebung litten bis zu 47 Prozent der Pflegenden an
Depressionen. Pflegende Angehörige haben sogar ein um 60 Prozent
höheres Mortalitätsrisiko. "Pflegende Angehörige sind die Kranken von
morgen, wenn wir sie nicht adäquat unterstützen", so Bittner. Die
Unterstützung für Angehörige kann sehr unterschiedlich aussehen: von
der Einrichtung einer Krisenhotline über das Bereitstellen einer
konkreten Handlungsanleitung, wie man mit dem fortschreitenden
Gedächtnisschwund oder den Wesensversänderungen des Kranken umgehen
kann, bis hin zur Organisation von Kurzzeitpflege, um auch
Angehörigen einen Urlaub zu ermöglichen.
Informationsverlust an Schnittstellen
Ein weiteres Manko, das im "Ersten Österreichischen Demenzbericht"
beschrieben wird: Der immer wieder beklagte Informationsverlust an
den Schnittstellen des Gesundheitssystems: "Wechselt ein Patient vom
Allgemeinmediziner zum Facharzt oder vom niedergelassenen Arzt ins
Spital, bleiben oft wichtige Informationen zur Krankheitsgeschichte
auf der Strecke. Dieses Problem wiegt bei Demenzerkrankten umso
schwerer, als sie nicht mehr in der Lage sind, über ihren
Gesundheitszustand Auskunft zu geben", so Bittner.
Konzepte und Leitlinien für die Zukunft
Wie kann man die Versorgung von Demenzkranken verbessern und die
Effizienz des Gesundheits- und Sozialsystems steigern? Das CCIV der
Sozialversicherung wird auf der Basis des Demenzberichtes ein
österreichweites, optimiertes Konzept im Sinne einer "integrierten
Versorgung" erarbeiten. Integrierte Gesundheitsversorgung zielt
darauf ab, alle Schnittstellen im Gesundheits- und Sozialbereich so
zu verbinden, dass keine Versorgungslücken entstehen. Konkret
bedeutet dies eine reibungslose Vernetzung zwischen pflegenden
Angehörigen, Haus- und Fachärzten, Spital, Anbietern mobiler sozialer
Dienste wie "Essen auf Rädern", Sozialversicherung, Sozialarbeitern
usw.
Bereits 2010 will das CCIV der Sozialversicherung konkrete
Lösungsvorschläge für das rasant wachsende Problem "Demenz" liefern.
Dabei gibt es einen Schulterschluss mit dem Bundesministerium für
Gesundheit, das ebenfalls das Krankheitsbild "Demenz" auf die Agenda
gesetzt hat. "Wir haben das Bundesinstitut für Qualität im
Gesundheitswesen (BIQG) beauftragt, in enger Zusammenarbeit mit dem
CCIV Bundesqualitätsrichtlinien zur Behandlung von Demenzerkrankungen
zu erarbeiten, die zeitgleich mit dem Konzept des CCIV vorliegen
sollen", sagt Dr. Robert Schlögel, Leiter der Sektion
Verbrauchergesundheit und Gesundheitsprävention des
Bundesministeriums für Gesundheit. "Ich erwarte mir von diesen
bundeseinheitlichen Empfehlungen einen wesentlichen Vorstoß in
Richtung Qualität und Patientensicherheit. Behandlungspfade sowie
diagnostische und therapeutische Leitlinien gewährleisten, dass die
Patienten genau die Behandlung bekommen, die sie brauchen", so
Schlögel. Darüber hinaus tragen klare Leitlinien und Behandlungspfade
dazu bei, dass keine Ressourcen vergeudet werden.
Das Bundesministerium für Gesundheit will zudem verstärkt über die
Angebote informieren, die es im Fall von Demenz bereits jetzt gibt:
"Viele Betroffene wissen gar nicht, ob und wo es Hilfe gäbe", so
Schlögel. Weiter sei es wichtig, über die Krankheit selbst
aufzuklären: "Demenz lässt sich nicht heilen, wohl aber behandeln.
Wir möchten, dass eine Sensibilität für die ersten Symptome einer
Demenzerkrankung in der Bevölkerung entsteht und Menschen ermutigt
werden, bei den ersten Anzeichen zum Arzt zu gehen", so Schlögel.
Demenz: Erste Anzeichen, Risikofaktoren und Prävention
Wie sehen die ersten Anzeichen einer Demenz aus? Univ.-Prof. Dr.
Peter Dal-Bianco, Leiter der Spezialambulanz für Gedächtnisstörungen
an der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen
Universität Wien, nennt folgende Warnsymptome, die auf Alzheimer oder
eine andere Demenzerkrankung hindeuten könnten: "Erst vergisst der
Patient Namen, Nummern oder Ereignisse oder verlegt Gegenstände. Die
zeitliche und räumliche Orientierung werden allmählich zu einem
Problem. Es ist, als ob sich der Patient in einem Nebel verlieren
würde." Das Tückische daran: Die Betroffenen bemerken die
Veränderung, entwickeln aber Strategien, um ihre "Unzulänglichkeiten"
zu kaschieren - selbst vor den nächsten Angehörigen. Sie delegieren
z.B. einfache Tätigkeiten, zu denen sie nicht mehr in der Lage sind,
oder schlagen kategorisch Einladungen zu Geselligkeiten aus, um nicht
in peinliche Situationen zu geraten. Auf diese Weise geht wertvolle
Therapiezeit verloren. Wie bei jeder Krankheit gilt auch bei Demenz
die Faustregel: Je früher diagnostiziert wird, desto größer die
Chance, die Krankheit aufzuhalten oder die Symptome in den Griff zu
bekommen.
Prof. Dal-Bianco rät daher, so schnell wie möglich den Hausarzt
aufzusuchen, wenn sich die Gedächtnisleistung merklich eintrübt. Sein
Ratschlag, um das Gehirn fit zu halten: "Neugierig sein,
unternehmungslustig leben und viele Kontakte pflegen!" Risikofaktoren
wie genetische Veranlagung, Alter oder Geschlecht (Frauen sind eher
demenzgefährdet als Männer) ließen sich zwar nicht beeinflussen,
andere schon: Schlecht fürs Gehirn sind (unbehandelter)
Bluthochdruck, erhöhtes LDL-Cholesterin oder unbehandelter Diabetes.
Gut sind hingegen geistige Herausforderungen ein Leben lang, soziale
Kontakte und viel Bewegung. "Wer dreimal pro Woche eine Stunde lang
Nordic Walking mit Freunden macht und dabei angeregt diskutiert, tut
seinem Denkvermögen nachweislich etwas Gutes", fasst Dal-Bianco das
Ergebnis zahlreicher wissenschaftlicher Studien zusammen.
Was wird die Demenzversorgung der Zukunft kosten?
Im Rahmen eines Forschungsprojekts, das von Dr. Leo W. Chini,
Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, und dem CCIV betreut
wurde, wurden Hochrechnungen über die zukünftigen Kosten des
Gesundheits- und Pflegesektors durch Demenz angestellt. "Die
Gesamtkosten (ärztIiche Betreuung, Heilmittel, Krankenhaus, Pflege)
pro Patient und Jahr betragen zurzeit rund 11.000 Euro bei
häuslicher Pflege. Für den Fall der Pflege in einem Pflegeheim
steigen die Kosten pro Jahr auf das Vierfache", so Prof. Chini.
"Bedingt durch den steigenden Anteil der "60+ Bevölkerung" und der
steigenden Lebenserwartung wird sich die Anzahl der "60+
Demenzkranken" von über 100.000 (2008) auf ca. 270.000 im Jahre 2050
erhöhen. Entsprechend erhöhen sich die jährlichen Gesundheits- und
Pflegekosten von 1,7 Mrd. Euro im Jahr 2007 auf ca. 4,6 Mrd. Euro im
Jahr 2050 (Preisbasis 2008)", erläutet Prof. Chini. Die
Berechnungsergebnisse entsprechen den vergleichbaren Werten in
Deutschland, den Niederlanden, skandinavischen Ländern, den USA und
Kanada. Noch nicht berücksichtigt sind die volkswirtschaftlichen
Kosten außerhalb des Gesundheits- und Pflegesektors.
Competence Center Integrierte Vorsorgung
Die Aufgabe des Competence Center für Integrierte Versorgung
(CCIV) ist es, Modelle der integrierten Versorgung in Österreich zu
etablieren. Das CCIV fungiert als Nahtstelle zwischen Versicherten,
Vertragspartnern (z.B. Ärzten, Apothekern),
Sozialversicherungsträgern und Gebietskörperschaften und ist
international vernetzt mit Vertretern aus Wissenschaft und Forschung.
Die Wiener Gebietskrankenkasse hat das CCIV 2006 im Auftrag des
Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger ins
Leben gerufen. Unter der Leitung von Mag. Karin Eger läuft das CCIV
seit Anfang 2008 im Regelbetrieb.
Der "Erste Österreichische Demenzbericht" steht auf www.wgkk.at
zum kostenlosen Download zur Verfügung.
Nähere Informationen über das Krankheitsbild Demenz, insbesondere
Alzheimer, bietet die Website der Österreichischen
Alzheimergesellschaft: www.alzheimergesellschaft.at
Rückfragehinweis:
WGKK - Öffentlichkeitsarbeit Mag. Gabriele Pflug Tel.: (+43 1) 60 122-2254 oder 0664 - 80 885 22 54 mailto: gabriele.pflug@wgkk.at Fotoanfragen: Barbara Koisser Tel.: (43 1) 60122-2119 E-Mail: barbara.koisser@wgkk
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