• 09.04.2009, 18:07:00
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DER STANDARD-KOMMENTAR "Kollektives Versagen" von Michael Simoner

Nicht rassistische Einzelfälle sind das Problem, sondern politische Verfehlungen - Ausgabe vom 10.4.2009

Wien (OTS) - Fast genau zehn Jahre ist es her, dass Marcus Omofuma
während seiner Abschiebung einen qualvollen Tod starb.
Fremdenpolizisten, die den Schubhäftling sicher per Flugzeug zurück
nach Nigeria bringen sollten, fesselten und knebelten ihn derart
fest, dass er noch vor der Landung in Lagos erstickte. Seit diesem
tragischen Vorfall vom 1. Mai 1999 haben zumindest die
Sicherheitsbehörden viel unternommen, um ähnliche Katastrophen zu
verhindern. Im Innenministerium wurde der Menschenrechtsbeirat
gegründet, Polizei und auch Justizwache nahmen Schulungen ins
Ausbildungsprogramm auf, die auf heikle Situationen vorbereiten
sollten, die Wiener Polizei präsentierte der Öffentlichkeit sogar
einen eigenen Menschenrechtsbeauftragten.
Dennoch riss die Serie "unglücklicher Einzelfälle", in denen Menschen
aus dem Ausland zu Schaden kamen, wenn sie mit Polizei oder Justiz
zusammentrafen, nicht ab. Fremde landen zudem schneller im Gefängnis
und fassen vergleichsweise höhere Strafen aus. Erst Ende März musste
ein im Sudan geborener Österreicher eine Woche in Schubhaft
verbringen, weil er (wegen einer geistigen Beeinträchtigung) nicht
klar und deutlich sagen konnte, dass er die rot-weiß-rote
Staatsbürgerschaft hat. Allein seine dunkle Hautfarbe nährte den
Verdacht der Beamten, dass er sich illegal in der Alpenrepublik
aufhalte und abgeschoben werden müsse.
Jetzt nähern wir uns langsam dem an, was die
Menschenrechtsorganisation Amnesty International Österreich vorwirft:
dem "institutionellen Rassismus". Man könnte es auch als kollektives
Versagen bezeichnen. Gemeint ist nicht der Einzelne, der
möglicherweise aus rassistischen Motiven handelt. Denn solche
Personen wird es immer geben - und zwar in allen Berufen und allen
Einkommensschichten. Es wäre unfair, der Polizei zu unterstellen,
Diskriminierung in höherem Ausmaß zu betreiben als Politiker,
Journalisten oder Baumarkt-Verkäufer. Weil die Exekutive aber
generell und aus gutem Grund die Befugnisse hat, Grundrechte anderer
einzuschränken, können auch die Folgen dramatischer sein.
Es stimmt, wie der frühere Sicherheitsgeneraldirektor Erik Buxbaum zu
sagen pflegte, dass die Polizei die größte Menschenrechtsorganisation
des Landes ist. Und gerade deswegen ist es auch so wichtig, dem
institutionellen Rassismus auf den Grund zu gehen.
Ein Defizit liegt sicherlich darin begründet, dass - nicht nur bei
der Polizei - lange darauf vergessen wurde, Migranten ins Boot zu
holen. Gastarbeiter blieben Gastarbeiter, Flüchtlinge Flüchtlinge.
Türkische Namen in Aufsichtsräten großer Unternehmen sind bis heute
rar geblieben. Nur wenige Ausnahmen schaffen die allgemeine
Anerkennung als braver Ausländer.
Zu einem Gutteil gehen institutionelle Diskriminierung und der ganz
alltägliche Rassismus - zum Beispiel die berüchtigten Inländer-Jobs -
auf das Versagen gesetzgebender Gremien zurück. Dass Österreich kein
eigenes Antidiskriminierungsgesetz hat, ist Teil der kollektiven
politischen Unfähigkeit.
Wer Derartiges in Österreich anprangert, wird allzu rasch als
Nestbeschmutzer bezeichnet. Man solle doch ins Ausland schauen, wo es
auch nicht anders ist, heißt es oft. Stimmt schon. In London, wo
Amnesty International die Zentrale hat, ist bei weitem auch nicht
alles in Butter. Aber der Umgang mit Kritik ist auf jeden Fall
professioneller und reflektierter.
Österreich hat sich, immer wenn es um die Suche nach Schuldigen geht,
ganz und gar der Einzeltätertheorie verschrieben. Und Aussicht auf
Änderung gibt es kaum: Gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten
blühen Vorurteile und xenophobe Stereotypisierungen wie "Pummerin
statt Muezzin".

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70/445

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