• 16.02.2009, 18:21:50
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DER STANDARD-Kommentar: "Problem gelöst, Systemfehler bleibt" von Markus Rohrhofer

Der "Fall Wagner" hat gezeigt: Die Einheit der Kirche spießt sich an Roms Ignoranz; Ausgabe vom 17.2.2009

Wien (OTS) - Nun scheint die katholische Welt also wieder in
Ordnung zu sein. Gerhard Maria Wagner hat die Notbremse gezogen und
auf einen Karrieresprung verzichtet. So freiwillig, wie eben
freiwillige Rücktritte in der Kirche passieren. Zuerst ein
mitbrüderliches Gespräch hinter verschlossenen Türen, dann der Abgang
aus "freien Stücken" coram publico. Und ausgerechnet jetzt mischt
sich in die Negativstimmung erstmals auch hörbarer Applaus für
Wagner. "Mutig" sei die Entscheidung, nicht bischöflicher
Hilfsarbeiter zu werden, gewesen, tönt nun auch so mancher Kritiker.
Doch Wagner wäre nie freiwillig gegangen. Ein Mann, der "täglich den
Konflikt sucht" und ohne diesen ein "irgendwie mulmiges Gefühl" in
sich trägt, zerbricht nicht am Aufstand des gemeinen Kirchenvolkes.
Und Wagner hat nicht Jahrzehnte auf diesen Sprung an die regionale
Kirchenspitze hingearbeitet, um im entscheidenden Moment von sich aus
klein beizugeben. Den Gläubigen zuliebe wäre der konservative
Geistliche nie in die Unbedeutsamkeit zurückgekehrt. Einen, der so
obrigkeitshörig und so bedingungslos loyal Rom gegenüber ist,
schmerzt viel mehr, vom Papst einen Maulkorb verpasst zu bekommen.
Doch auch wenn der Landpfarrer künftig wieder seine Gemeinde im
Garstnertal beglücken wird, gelöst ist das grundsätzliche Problem,
das der "Fall Wagner" aufgezeigt hat, damit noch lange nicht. Denn
der Teufel steckt nicht in Harry Potter, sondern im Detail. Konkret
in der römischen Personalpolitik. Nicht Wagners bereits seit Jahren
bekannte, abstruse Thesen zu Naturkatastrophen oder dessen abfällige
Äußerungen über Homosexualität allein haben die größte heimische
Kirchenkrise seit der Ära Groër ausgelöst. Schwerer wiegt, dass sich
viele Katholiken in längst überwunden geglaubten Zeiten der
vatikanischen "Diktatur" zurückversetzt fühlen.
Waren in den vergangenen zehn Jahren die Bischof-Bestellungen, etwa
der Wiener Weihbischof Stephan Turnovszky, völlig unaufgeregt und
durchaus wohlüberlegt gewählt, ging bei der Bestellung Wagners,
bewusst oder unbewusst, so ziemlich alles daneben. Der
Dreiervorschlag des Linzer Diözesanbischofs wurde ignoriert,
Warnungen von hohen Würdenträgern der Kirche aus anderen Diözesen
überhört. Auch dem Papst sollte bekannt gewesen sein, dass Kardinal
Schönborn bereits einmal in der "Causa prima" aktiv war und Wagner
als Bischof von Linz in letzter Minute verhindert hat. Und dennoch
hat sich Benedikt XVI. für einen konservativen Alleingang entschieden
und so insbesondere den Wiener Erzbischof bis auf die geistlichen
Knochen blamiert. Es ist in der österreichischen Kirchengeschichte
wohl einzigartig, dass ein Kardinal vom Papst derart vorgeführt
worden ist. Und mit Schönborn stehen die Bischöfe ratlos im Regen.
Gerhard Maria Wagner ist Geschichte. Dann und wann wird der
54-Jährige zwar noch über die Grenze seiner Dorfkirche hinweg mit
verbalen Kraftakten auffallen, wirklich aufregen wird dies aber genau
so viel wie das berühmte "umfallende Radl in China".
Was aber weiterhin bestehen bleibt, ist der Fehler im System. Die
frisch aufkeimende römische Ignoranz garantiert auch künftig
Probleme. Dem Kardinal und seinen Bischöfen wurde von Rom die
Autorität entrissen. Schönborn hat jetzt die Pflicht, mit aller
Vehemenz Grundlegendes des Zweiten Vatikanischen Konzils
einzufordern: die Einbindung der Ortskirchen - insbesondere bei
Personalentscheidungen.
Passiert nichts, nährt das das Bild, dass Kardinal und Bischöfe eine
isolierte Behörde sind, die sich nur im Repräsentieren gefällt. Das
Ideal wären aber Leiter, die zuhören und offen Ratschläge und
Einwände von Priesterschaft und Laien entgegennehmen können.

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70/445

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