• 28.01.2009, 17:56:00
  • /
  • OTS0294 OTW0294

"Die Presse"-Leitartikel: Häupls Ohrwascheln sind ernsthaft in Gefahr, von Karl Ettinger

Ausgabe vom 29. Jänner 2009

Wien (OTS) - Keine Trugschlüsse aus dem niedrigeren Budgetdefizit:
Bund und Länder dürfen sich jetzt nicht zurücklehnen.

Wirklich gute Nachrichten schauen anders aus: Das gesamtstaatliche
Budgetdefizit, also von Bund, Ländern und Gemeinden, fiel im Vorjahr
mit einer Milliarde deutlich niedriger aus als veranschlagt. Die
Österreicher dürfen die Zahlen über den Budgetvollzug 2008 dennoch
mit säuerlicher Miene betrachten. Denn die wundersame Schrumpfung der
Budgetlücke ist vor allem auf die bis zum Herbst von der Finanzkrise
noch nicht beschädigte Konjunktur und dementsprechend üppige
Steuereinnahmen zurückzuführen. Oder um es fernab von
Expertenkauderwelsch auf den Punkt zu bringen: Die Österreicher haben
bei den Steuern wieder gebrannt wie die Luster.
Wirklich gute Nachrichten schauen anders aus - denn eigentlich muss
es heißen: Obwohl die Wirtschaft lange Zeit auf Hochtouren lief,
schaffte der Finanzminister das Kunststück, im Bundesbudget wieder
rote Zahlen zu schreiben. Und Länder und Gemeinden verfehlten ihre
Vorgaben glatt und lieferten weniger Überschüsse ab als geplant. Von
Reformen keine Spur, beim Geldausgeben waren Bundes- und
Landespolitiker hingegen spitze.
So gesehen war der Abstecher von Bundeskanzler Faymann zu seiner
deutschen Amtskollegin Merkel geradezu eine Erholungsreise: In Berlin
sollte es nach SPÖ-Regie hauptsächlich um milliardenschwere
Konjunkturpakete gehen. Da kann eine konservative, deutsche Kanzlerin
ganz sicher noch etwas von einem seit Jahrzehnten im
Defizithinaufschrauben geeichten österreichischen Sozialdemokraten
lernen.

Verglichen damit werden für Faymann in nächster Zeit die Treffen mit
seinem Parteikollegen, dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl, viel
unangenehmer als der Höflichkeitsbesuch in Berlin. Nicht, weil der
Wiener Stadtchef schon wieder so mieselsüchtig wäre, dass er nach
Alfred Gusenbauer den nächsten roten Kanzler in Frühpension schickt.
Sondern vielmehr deswegen, weil Häupl in der ersten Hälfte dieses
Jahres turnusmäßig den Vorsitz bei den Landeshauptleuten führt.
Faymann wird gemeinsam mit seinem neuen Busenfreund, Finanzminister
Josef Pröll, der als Neujahrsvorsatz schon grimmig etwas von "Alle
müssen sparen" gesagt hat, Häupl und Co. notfalls auch unsanft daran
erinnern müssen: Länderpolitiker können zwischen Ottakring und
Oberdrauburg nicht mehr länger mit den Spendierhosen herumrennen,
während der Bund nicht weiß, wo er angesichts der Krise das Geld für
das Doppelbudget 2009/2010 zusammenkratzen soll.
Die halbe Arbeit, was mögliche Einsparungen betrifft, hat ohnehin
bereits der Rechnungshof in der Vergangenheit erledigt. Wir sind
sicher: Mit einschlägigen Berichten im Gepäck wird es für Exstadtrat
Faymann aufgrund der jahrelangen engen Zusammenarbeit im Wiener
Rathaus ein Kinderspiel sein, Häupl eines klarzumachen. Es geht nicht
mehr, dass Wien extra Millionen für ein besonders günstiges
Pensionsmodell für Wiener Beamte springen lässt, aber gleichzeitig im
Länderchor über fehlendes Geld mitraunzt, das der Bund einheben muss.
Gleiches gilt für Kärnten und Salzburg. Die Alternative ist ebenfalls
klar: Sollen die Länder mittels Steuerhoheit doch künftig selbst
schauen, wie sie von ihren Landesbürgern das Geld für irgendwelche
teuren Spompanadeln herkriegen.

Auch wenn viele Österreicher verständlicherweise schon Brechreiz
verspüren, wenn sie nur das Wort Verwaltungsreform hören, wird
Finanzminister Pröll nicht umhinkommen, endlich die seit Jahren
herumliegende To-do-Liste in die Hand zu nehmen und mit Ländern und
Gemeinden abzuarbeiten. Beispiel Pflichtschullehrer: Da muss Schluss
sein mit der für die Länder komfortablen Regelung, sie stellen ein,
der Bund zahlt und darf auch noch auf den Knien bettelnd
herumrutschen, um zu erfahren, wofür die Pädagogen eingesetzt werden.
Ein fußballfeldgroßes Betätigungsfeld, damit sich zwei
Finanzstaatssekretäre im Ministerium nicht auf die Zehen treten.
Das Fatalste wären falsche Schlüsse aus dem niedrigeren
Budgetdefizit. Sie befürchten dennoch, Häupl und Co. könnten in
Sachen Reform - von der Verwaltung bis zu den Spitälern - wie bisher
kein Ohrwaschel rühren? Dann müssen Faymann und Pröll wohl zu jener
Methode und jener Sprache greifen, die Häupl zumindest im Umgang mit
uneinsichtigen türkischen Vätern versteht: "Wenn Sie Ihre Reform
(Hausaufgaben) nicht endlich machen, dann reiß ich Ihnen die
Ohrwascheln ab!"

Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
Email: chefvomdienst@diepresse.com

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PPR

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel