• 10.12.2008, 10:00:00
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Pressekonferenz Österreichischer Hausärzteverband: Von der Krankenbehandlung zur Krankheitskostenverwaltung

Wien (OTS) - Anlässlich des sechzigsten Jahrestages der
UNO-Deklaration der Menschenrechte warnt der Österreichische
Hausärzteverband (ÖHV) vor Menschenrechtsverletzungen im
österreichischen Gesundheitswesen.

Österreichs Hausärzte können ihren PatientInnen in Zukunft nicht
mehr garantieren, dass ihre Befunde und Krankengeschichten
vertraulich behandelt werden und nicht in fremde Hände kommen. "Wir
sehen im Gesundheitssystem eine gefährliche Entwicklung, die in
krassem Widerspruch zum Datenschutz und zur Menschenrechtskonvention
steht", warnt ÖHV-Präsident, Dr. Christian Euler.

Bislang ist das Vertrauensverhältnis zwischen ÄrztInnen und
PatientInnen als wesentliches Qualitätskriterium auch in der modernen
Medizin anerkannt worden. Nur wenn PatientInnen mit den behandelnden
ÄrztInnen offen über ihre Beschwerden und Befindlichkeiten sprechen,
können individuell richtige Diagnosen erstellt und entsprechende
Therapien veranlasst werden.
Würden PatientInnen solche Informationen zurückhalten, weil sie Angst
haben müssen, ihre Intimsphäre wird über unkontrollierte Kanäle
gegenüber Behörden und Institutionen nicht geschützt, ist die
Gesundheitsversorgung der österreichischen Bevölkerung ernsthaft in
Gefahr.

Ganz besonders sind davon die Bereiche der Psychiatrie bzw.
Psychotherapie und der Allgemeinmedizin (HausärztInnen) betroffen.
Eine der wesentlichsten Funktionen der HausärztInnen ist die
Betreuung und Versorgung chronisch Kranker. Rund 5 Prozent der
PatientInnen sind DiabetikerInnen, 30 Prozent leiden an Krebs, rund
die Hälfte hat im Laufe des Lebens Episoden psychischer bzw.
psychosomatischer Beschwerden. In all diesen Fällen ist ein
gesichertes Vertrauensverhältnis ÄrztIn-PatientIn von entscheidender
Bedeutung für den Behandlungserfolg.

Es sind vor allem zwei Tendenzen, die diese Behandlungsqualität in
Frage stellen und auch geeignet sind, gegen die
Menschenrechtskonvention zu verstoßen: Die "Ökonomisierung" und die
"Verdatung" des Gesundheitswesens, wobei diese beiden Trends in
Kombination deshalb so gefährlich sind, da ihre Proponenten alles
Subjektive für unwichtig erklären.

Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens

"Eine Krankenbehandlung ist kein Geschäftsfall", stellt
ÖHV-Präsident Euler klar. "Die Betreuung von PatientInnen ist etwas
anderes als Online-Banking". Es ist daher auch absurd, diese primär
mit gängigen betriebswirtschaftlichen Kostenrechnungs- und
Datenverarbeitungsmodellen organisieren zu wollen.

Nicht zuletzt die aktuelle Banken- und Wirtschaftskrise wirft die
Frage auf, ob diese Maßstäbe die geeigneten für eine
Gesundheitsreform sind.

Beispiel: Um eine Patientenbetreuung verrechnen zu können, muss
der/die behandelnde ÄrztIn für die Krankenkasse eine Diagnose
eintragen. Da es nur Geld für ein Ergebnis (Diagnose) gibt und nicht
für die Leistung (Betreuung) werden "Verdachtsdiagnosen" gemeldet.
Werden diese zentral gespeichert und ausgewertet, ergeben sie mit
hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur ein falsches Bild des einzelnen
Behandlungsfalles sondern auch Behandlungskosten.

Über den Gesundheitszustand der ÖsterreicherInnen lassen sich aus
diesen Daten jedenfalls keine seriösen Schlüsse ziehen.

Für den Geschäftsführer der ARGE DATEN, Dr. Hans Zeger, liegt der
Schlüssel zur Behandlungsqualität in der Finanzierungsstruktur. "Mit
der Finanzierung auf drei Säulen - Bund, Länder, Krankenkassen -
laufen Ärzte und Patienten in eine bürokratische Falle. Jede der drei
Säulen versucht die Kosten auf die anderen zu schieben. Dafür gibt es
eigene Abteilungen, und oft werden dafür auch teure Gutachter und
Anwälte eingeschaltet. Unterm Strich zahlen die Kosten in jedem Fall
die Steuerzahler."

Die Finanzierung aus einer Hand könnte die Lösung des Dilemmas
bringen. Dem stimmt ÖHV-Präsident Euler zu, sofern es die Hand der
Sozialversicherung ist, die über ihre Vertragspartner noch immer die
größte Erfahrung im Umgang mit dem Bedarf der PatientInnen hat.

Die "Verdatung" des Gesundheitswesens

Der ÖHV befürchtet , dass der Begriff "Verdatung" ein heißer
Kandidat für das "Un-Wort" nicht nur des Jahres 2008 werden könnte.
Diese fragwürdige Auszeichnung würde freilich perfekt zu dem passen,
was damit gemeint ist: Die Reduktion der Gesundheit der
ÖsterreicherInnen auf ein monströses Datenbanksystem - eben: ein
Un-Ding.

Seit 2004 arbeitet der Gesetzgeber an einer Gesundheitsreform, die
an der Sanierung von Wirtschaftsbetrieben Maß nimmt. Die Interessen
von potentiellen Investoren in ein gewinnbringendes Gesundheitssystem
werden zumindest gleichwertig neben die Interessen tatsächlich der
Hilfe und Zuwendung bedürftiger Personen gestellt.

Vertrauen, Verschwiegenheit, individuelles ärztliches Bemühen wird
als Mittel transparentes Handeln zu verweigern denunziert. Patienten
und Ärzte werden als Kostenverursacher betrachtet, der elektronischen
Dokumentation wird mehr Aufmerksamkeit zu Teil als den tatsächlichen
Notwendigkeiten des medizinischen Alltags.

Datenaustausch wird mit Information, Information mit Kommunikation
verwechselt. Patienten und Ärzte sprechen nicht mehr die gleiche
Sprache wie Gesundheitsökonomen und Gesundheitspolitiker. Die
ärztliche Schweigepflicht lässt sich nicht mehr erfüllen "Wir sind
auf dem Weg von einem Mensch-zentrierten zu einem
Krankheitskosten-zentrierten Gesundheitssystem", so Euler.

Tatsache ist, dass sowohl den PatientInnen wie ach den ÄrztInnen
die Konrtolle über den Umgang mit Gesundheitsdaten entzogen ist.

Nach wie vor fordern die Krankenkassen z. B., Ansuchen um
Chefarztbewilligungen (samt allen dazugehörigen Befunden) per Fax zu
übermitteln. Dies widerspricht seit fast zehn Jahren dem geltenden
Datenschutzgesetz, wird aber aufgrund einer Ausnahmeregelung
weiterhin gefordert. ARGE Daten-Chef Zeger: "De facto ist das ein
Aufruf zum Gesetzesbruch mit der Anmerkung, dass er nicht bestraft
wird".

Laut Gesundheitstlematikgesetz ist der Intranet peeringpoint die
Voraussetzung für den automatisierten Datenaustausch zwischen
Gesundheitsdienstleistungsanbiertern (GDA). Wer GDA ist, bestimmt das
Gesundheitsministerium.

Es ist europaweiter Konsens, dass: den Behörden jene Daten zur
Verfügung zu stellen sind, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben
benötigen. Die Aufgaben der Behörden bestimmt der Gesetzgeber.

Die §15A Vereinbarung von 2004 schließt die Ärzteschaft aus der
Gestaltung eines Gesundheitssystems aus und überträgt die ungeteilte
Macht pro Bundesland jeweils vier politischen Funktionären, auf die
von Seiten des Bundes massiver ökonomischer Druck ausgeübt wird.

In Summe führt diese Entwicklung dazu, dass vor allem Menschen mit
chronischen Erkrankungen oder schlechter sozialer Stellung weitere
Diskriminierungen drohen, die oft auch als medizinische
Kontraindikationen wirken.

ÖHV-Präsident Euler abschließend: "Wir HausärztInnen haben massive
Bedenken für die Gesundheitsreform, bei der hinter der intensiv
angestrahlten Fassade der e-card , Werte wie Solidarität,
mitmenschliche Zuwendung, Vertrauen, Verschwiegenheit, Diskretion und
Datenschutz angeblichen wirtschaftlichen Notwendigkeiten geopfert
werden".

Rückfragehinweis:

Dr.Christian Euler
   Dr.Hans-Joachim Fuchs
   Sabine Waste
   Dr.Andreas v.Heydwolff
   Dr.Hans Zeger 
   RHIZOM PR
   Schlossparksiedlung 37
   2433 Margarethen am Moos
   T: 02230/2791
   F: 02230/2791-27
   M: 0664/103 54 21
   E: havelka@rhizom.at

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