• 27.11.2008, 13:54:45
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Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment: KonsumentInnen werden durch verzerrte mediale Information zum Thema HPV-Imfung fehlinformiert

"Der öffentliche Informationsstand über die Impfstoffe zur Vorbeugung von Gebärmutterhalskrebs ist durch selektive mediale Berichterstattung unvollständig

Wien (OTS) - "Die partielle, aus dem Zusammenhang gerissene
Darstellung von Studienergebnissen und das selektive Verschweigen von
wertvollen Zusatzinformationen liefern den KonsumentInnen ein
verzerrtes Bild, das meist zu Gunsten der Hersteller geht", sagt
Brigitte Piso, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Ludwig Boltzmann
Instituts für Health Technology Assessment.

"Die Bevölkerung hat jedoch ein Recht auf angemessene,
wahrheitsgetreue Gesundheitsinformationen, die nicht Ängste und
Verunsicherung schüren, sondern Unsicherheiten in der Datenlage
transparent darstellen", so Piso weiters.

Zum heutigen Zeitpunkt wissen wir, dass

- die Kostenerstattung für die HPV Impfung in Deutschland bereits  
   dazu geführt hat, dass einer der beiden Impfstoffe die  
   kostenstärkste Arznei im Jahr 2007 war. 
 - die Herstellerfirmen daher ein großes Interesse haben, ihre 
   Produkte an die Frau - zukünftig vermutlich auch verstärkt an den 
   Mann - zu bringen. 
 - deren Marketingstrategien mit scheinbar unabhängigen 
   Informationsquellen verflochten sind (Süddeutsche 
   Zeitung "Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs- Marketing um jeden 
   Preis" 26.11.2008).

Die Erkrankung auf Gesellschaftsebene

In Österreich sterben jährlich etwa 170 Frauen an
Gebärmutterhalskrebs. Damit ist Gebärmutterhalskrebs die
neunthäufigste krebsbedingte Todesursache. Selten wird darauf
verwiesen, dass
- die Tendenz von neuen Erkrankungen und Todesfällen an
Gebärmutterhalskrebs bereits seit den 80er Jahren nach Einführung
der Vorsorgeuntersuchungen - also ohne Impfung - rückläufig ist.

Das individuelle Erkrankungsrisiko

Die HPV-Infektion tritt häufig(er) bei sexuell aktiven Frauen auf.
Drei von vier Frauen stecken sich einmal im Laufe ihres Lebens mit
einem HP-Virus an. Selten erwähnt wird, dass

- das Ansteckungsrisiko von der Anzahl der GeschlechtspartnerInnen, 
   dem Zeitpunkt des Beginns der sexuellen Aktivität und der 
   Praktizierung von safe sex beeinflusst wird. 
 - 80% der HPV-Infektionen innerhalb von zwei Jahren ohne Behandlung 
   und ohne Folgen ausheilen.
 - die restlichen 20% der Frauen Zellveränderungen am 
   Gebärmutterhals entwickeln können, aber nicht zwangsläufig müssen.
 - die Zellveränderungen selbst ebenfalls nicht bei allen Frauen zu 
   Gebärmutterhalskrebs führen.
 - auch andere Faktoren das Fortbestehen der Infektion und die 
   Entwicklung von Gebärmutterhalskrebs begünstigen.

HPV und Gebärmutterhalskrebs

Derzeit sind etwa 100 HPV-Typen bekannt, von denen 13-15 als
krebserregend gelten. Die beiden Typen 16 und 18 (gegen die, die
beiden Impfstoffe entwickelt wurden) werden in 70% der Gewebeproben
von Gebärmutterhalskrebs gefunden. Selten wird allerdings explizit
darauf verwiesen, dass
- rund ein Drittel der Gebärmutterhalskrebsfälle durch andere,
nicht von der Impfung beeinflussbare, HPV-Typen verursacht wird.

HPV-Impfung und Schutz vor Gebärmutterhalskrebs

Kann die HPV-Impfung nun 70% der Gebärmutterhalskrebsfälle
verhindern? WIR WISSEN ES NICHT. Kaum jemand verweist nämlich darauf,
dass

- bei 9 bis 14-jährigen Kindern und Jugendlichen nur die 
   Immunantwort, also die Bildung von Antikörpern nach der Impfung, 
   nicht aber die Schutzwirkung untersucht wurde. 
 - bei 15 bis 26-jährigen Frauen, die noch nie zuvor mit HPV
   infiziert waren, zwar in den Studien 98% der, durch die HPV-Typen 
   16 und 18 hervorgerufenen, Krebsvorstufen verhindert werden 
   konnten, aber ausschließlich das Auftreten von Zellveränderungen, 
   nicht jenes von Gebärmutterhalskrebs, untersucht wurde.
 - bei Berücksichtigung aller geimpften Frauen - egal ob zuvor HPV 
   infiziert, oder nicht - es zu einer Verminderung der 
   Krebsvorstufen um "nur" 8 bis 17% gekommen ist. 
 - andere krebserregende HPV-Typen den Platz der "verdrängten" HPV-
   Typen einnehmen könnten und damit die Wirksamkeit gegen 
   Gebärmutterhalskrebs zukünftig zusätzlich vermindert werden  
   könnte.

HPV-Impfung und Sicherheit

Die Impfstoffe wurden vor ihrer Zulassung aufgrund der
Studienergebnisse als sicher eingestuft. Selten wird von
Nebenwirkungen berichtet, beispielsweise, dass

- bei der "flächendeckenden" Impfung junger Frauen gegen HPV in den 
   USA bis August 2008 rund 10.000 Fälle von Nebenwirkungen nach der 
   Impfung gemeldet wurden und
 - 6% dieser Meldungen von schweren Nebenwirkungen berichten.
 - von 27 Todesfällen lediglich 11 eindeutig auf andere Ursachen 
   (als die HPV-Impfung) zurückgeführt werden konnten. Die 
   restlichen Fälle sind derzeit zum Teil noch ungeklärt.
 - jedoch auch in einer nicht geimpften Population ungeklärte 
   Todesfälle (selbst bei jungen Frauen) zu einem gewissen 
   Prozentsatz auftreten, und daher bislang auch keine Häufung der 
   Todesfälle aufgrund der Impfung beobacht werden konnte.
 - wir heute - nach einem Beobachtungszeitraum von fünf bis sieben 
   Jahren - nicht sagen können, ob die Impfung längerfristig 
   Gesundheitsrisiken in sich birgt.

HPV-Impfung und Unsicherheiten

Zu den bereits oben erwähnten offenen Fragen, kann man hinzufügen,
dass wir u.a. noch nicht wissen,

- wie lange der Impfschutz anhält
 - wie wirksam und sicher eine mögliche Auffrischungsimpfung sein 
   wird
 - wie Geimpfte wissen werden, ob sie noch geschützt sind
 - wie HPV-Infektionen und die Entwicklung des Gebärmutterhalskrebs 
   verlaufen werden, wenn die Infektion erst nach dem Impfschutz 
   erfolgt 
 - ob die Impfung die Infektion bei Männern und die Übertragung des 
   Virus auf PartnerInnen verhindern wird
 - welchen Einfluss die Impfung auf die Teilnahme an der 
   Vorsorgeuntersuchung haben wird
 - welchen Effekt die Impfung auf safe-sex (und die Verbreitung von 
   anderen Geschlechtskrankheiten) haben wird.

Kommentar zum "Presse"-Artikel vom 26.11.2008

Das Bild des Untersuchungszimmers beim Frauenarzt mit dem
Untertitel "Unangenehme Situation ..." wird die im Europavergleich
besonders geringe Teilnahmerate österreichischer Frauen an der
Vorsorgeuntersuchung, die auch nach der Impfung unbedingt notwendig
ist, um nicht durch HPV-Typ 16 und 18 verursachte Krebsvorstufen,
sondern auch andere Erkrankungen rechtzeitig erkennen und behandeln
zu können, nicht gerade verbessern.

Die Bezeichnung der Konisation als "Genitalverstümmelung", und die
schlichte Fehlinformation, dass Gebärmutterhalskrebs in Österreich
die zweithäufigste Krebserkrankung bei Frauen sei, schüren
verständlicherweise Ängste. Formulierungen wie "es wurde versucht,
einen Todesfall mit der Impfung in Zusammenhang zu bringen" sind
fahrlässig, da das Sicherheits-Monitoring im Routinebetrieb die
einzige Möglichkeit darstellt, seltene Nebenwirkungen zu entdecken
oder Langzeitfolgen einer Impfung abzuschätzen. Gleichzeitig werden
potentielle KundInnen in vermeintliche Sicherheit gewogen, indem
behauptet wird, dass 70% der Gebärmutterhalskrebsfälle durch die
Impfung vermieden werden können. Das ist heute bestenfalls eine
Vision, die reale Effektivität wird sich frühestens in 15 Jahren
herausstellen.

Rückfragehinweis:

Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment
   Garnisongasse 7/20, 1090 Wien
   Dr. med. Brigitte Piso, MPH, Wissenschaftliche Mitarbeiterin - DW 21
   Mag. Gerda Hinterreiter, Wissenschaftskommunikation - DW 13
   Tel: +43 (0) 1236  8119
   Fax: +43 (0) 1236 8119-99
   http://hta.lbg.ac.at

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