• 24.11.2008, 08:26:32
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WirtschaftsBlatt-Leitartikel: China und die Angst vordem Prekariat - von Michael Laczynski

Der materielle Sicherheitspolster vieler Chinesen ist dünn

Wien (OTS) - Wenn in Longnan wütende Demonstranten mit Äxten und
auf Vertreter der öffentlichen Ordnung losgehen, Blumentöpfe durch
die Luft fliegen und Feuerwehrautos entführt werden, dann schlägt in
Peking die Stunde von Männern wie Yin Weimin. Der für den
Arbeitsmarkt zuständige Minister erklärte angesichts heftiger
Proteste, die sich in den vergangenen Tagen nicht nur in der Stadt im
Nordosten Chinas gewaltsam entladen hatten, die Sicherung von
Arbeitsplätzen zur obersten Priorität der Kommunistischen Partei.
Zwar werde die Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten steigen und
bis Jahresende 4,5 Prozent erreichen, doch spätestens Mitte 2009
sollte es wieder besser werden, versprach Yin.

Der Ordnung halber muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass nicht
eine Fabriksschließung, sondern das Gebaren korrupter Apparatschiks
die Proteste in Longnan ausgelöst hat. Das dahinter liegende
Grundproblem sind aber die vielen Chinesen, die entweder als
Hungerlöhner durchs Land ziehen oder in so prekären Verhältnissen
leben, dass schon der geringste Gegenwind sie endgültig aus der Bahn
werfen kann. Kein Wunder also, dass die Wut der Opfer rasch in Gewalt
umschlägt, wenn Fabriksbesitzer die Löhne einmal nicht fristgerecht
auszahlen können.

Der Sicherheitspolster von hunderten Millionen Chinesen ist sehr
dünn. Und der Ausgleich zwischen der Mittelschicht in den
Küstenmetropolen und der großen Masse der Modernisierungsverlierer,
um den die Machthaber in Peking bemüht sind, wird zunehmen
schwieriger.

Die Wirtschaftskrise macht diesen Balanceakt heikler. Alles deutet
darauf hin, dass Chinas Wachstum rasch unter die Zehn-Prozent-Marke
fällt. Manche Beobachter gehen davon aus, dass die Lage außer
Kontrolle gerät, sollte das BIP-Plus weniger als acht Prozent
betragen. Solche Schätzungen sind zwar mit Vorsicht zu genießen, doch
sie machen klar, vor welcher Herausforderung die Machthaber stehen:
Seit sie die kommunistische Ideologie klammheimlich über Bord
geworfen haben, basiert ihr Machtanspruch nur auf dem Versprechen,
den Lebensstandard der Bevölkerung zu heben.

Halten sie dieses nicht ein, haben sie ein riesengroßes Problem.
Was können wir also von China erwarten? Auf jeden Fall einen Abschied
von der Rhetorik der kontrollierten Abkühlung der heiß gelaufenen
Wirtschaft. Vermutlich mehr Geld für diverse Infrastrukturprojekte.
Und mit ziemlicher Sicherheit Investitionen in Branchen wie die
Stahlindustrie, die ohnehin unter Überkapazitäten leiden. Doch neue
Jobs gehen vor.

Rückfragehinweis:
WirtschaftsBlatt
Redaktionstel.: (01) 60 117/300
http://www.wirtschaftsblatt.at

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