• 19.11.2008, 16:05:00
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"KURIER"-Kommentar von Anneliese Rohrer: "Sinnlose Suche nach der verlorenen Hose"

Eine neue rot-schwarze Koalition sollte keine Sieger oder Verlierer kennen.

Wien (OTS) - Ein österreichischer Manager staunte im Frühjahr 2008
nicht schlecht, als er von Maria Fekter in ihrer damaligen
Eigenschaft als Volksanwältin eine sachlich völlig falsche
Rechtsauskunft erhielt. Er war nach Jahrzehnten im Ausland nach Wien
zurückgekehrt und auf der Suche nach dem geeigneten Pfad durch den
heimischen Bürokratie-Dschungel.
Heute ist Fekter Innenministerin, in ein paar Wochen vielleicht
Justizministerin. Nun gut, der Heimkehrer und Restösterreich werden
mit der Regierung leben müssen, die wir bekommen - und nicht mit der,
die wir uns wünschen: Von der Farbkombination Rot-Schwarz her für
manche; von der inhaltlichen Politik her, die im wahrsten Sinn des
Wortes "abgearbeitet", weil wenig mutig, ist; von der personellen
Zusammensetzung der Regierung her.
Man muss schon ein apathischer Realist sein, um etwa Doris Bures
als Infrastrukturministerin nicht als die humorvolle Variante eines
angeblichen Neustarts zu sehen.
Die Art und Weise, wie die Verhandlungen geführt wurden und nun
demnächst zu einem Koalitionspakt führen werden, verlangen
Bevölkerung und Beobachtern ein Maximum an gutem Willen ab.
Trotzdem darf nun eines auf keinen Fall einsetzen - nicht bei SPÖ
und ÖVP selbst und auch nicht in den Medien: Die Suche nach Siegern
und Verlierern, nach den heruntergelassenen Hosen wie 2006.
Der kommende Koalitionspakt muss auf seine inhaltliche Güte
geprüft werden. Wenn wieder wie vor zwei Jahren wochenlang nur
über Durchsetzen und Umfallen debattiert wird, hat auch die neue
Koalition den Todeskeim in sich. Weil aber nach dem jetzigen Stand
der Bevölkerung ein Übermaß an Vorschuss-Wohlwollen abverlangt
wird, darf man von den Koalitionspartnern und ihrer Gefolgschaft auch
ein Übermaß an Selbstdisziplin verlangen: Wer - ob in ÖVP oder SPÖ
- Inhalt der Übereinkunft oder Ressortaufteilung als ultimativen
Triumph über den Koalitionspartner verkaufen will, programmiert
das Scheitern bereits ein. Dann könnte es nämlich wieder zu jenem
fatalen Wettringen kommen, das erst dann endet, wenn wieder beide am
Boden liegen wie im September 2008.
Auch wir Journalisten müssen der Versuchung widerstehen, alles und
jedes nur aus der Ecke der Ringrichter zu betrachten und mit dem
Auszählen bereits am Tag der Angelobung zu beginnen. Das kann sich
das Land in der gegenwärtigen Situation nicht leisten.
Wie viel Selbstbeherrschung dafür notwendig sein wird, könnte sich
schon beim Parteitag der ÖVP zeigen. Sollte Josef Pröll den Mut
haben, seine Vereinbarung mit der SPÖ plus sein Personalpaket dort
zur Abstimmung zu bringen und mit einer Mehrheit die Raunzer wider
die Koalition in den eigenen Reihen mundtot zu machen, wäre das schon
vielversprechend. Wenn nicht, stehen die Zeichen auf Überforderung.
Wie bei Fekter als Rechtsexpertin.

Rückfragehinweis:
KURIER
Innenpolitik
Tel.: (01) 52 100/2649
innenpolitik@kurier.at
www.kurier.at

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