Wien (PK) - Beginnend am 7. Jänner 2008, hat die
Parlamentskorrespondenz die Parlamente der 16 Teilnehmerländer der
EURO 08 porträtiert. Wir bringen in der Folge - jeweils am Montag -
die Porträts der Parlamente der anderen europäischen Staaten von A
wie Albanien bis Z wie Zypern. Heute: Das Vereinigte Königreich
Großbritannien und Nordirland.
Die englische Demokratie ist weder die älteste, noch die
prononcierteste, doch sie hat sich so in das kollektive Gedächtnis
eingegraben, dass die "Houses of Parliament" im Palast von
Westminster zum Inbegriff parlamentarischer Debatte wurden. Das
britische Hohe Haus gilt als besonders fair, besonders kultiviert und
besonders geschichtsträchtig. Es bietet in seiner langen Geschichte
aber auch so manche unerwartete Anekdote.
Britische Frühzeit
Die britischen Inseln waren ursprünglich von den Kelten besiedelt,
die sich in Stämmen organisierten und durchaus auf demokratische
Elemente in ihrer Willensbildung zurückgriffen. So wurde etwa die
politische Führung nicht innerhalb einer bestimmten Familie vererbt,
vielmehr wählten die Stammeskrieger aus ihrer Mitte jene Person, die
ihnen für die jeweils anstehenden Aufgaben am fähigsten dünkte.
Um die Zeitenwende kamen die Kelten mit den Römern in Kontakt, die
wenig später dazu übergingen, England für sich in Besitz zu nehmen.
Gelang ihnen dies im Südosten der Insel relativ leicht, so holten sie
sich an den Rändern oftmals blutige Nasen. Vor allem ein irischer
Stamm bereitete ihnen ziemliche Pein. Dessen Krieger hielten sich an
keinerlei kriegerische Spielregeln, sondern stürmten einfach drauflos
und hauten alles kurz und klein, was ihnen zwischen die Äxte kam. Und
da die einzige Kleidung dieser "wilden Barbaren" in üppiger
Körperbemalung bestand, nannten die Römer sie einfach "Pikten", die
Bemalten. Gemeinsam mit den Scoten, die sie in Schottland an den Rand
gedrängt hatten, bildeten sie ein für die Römer unüberwindliches
Bollwerk, sodass sich Kaiser Hadrian um die Mitte des 2. Jahrhunderts
gezwungen sah, zum Schutz vor den Kelten quer durch England eine
Mauer bauen zu lassen, die als "Hadrianswall" auch heute noch zu
besichtigen ist.
Aus den Tagen der römischen Expansion an Britanniens Gestaden
überliefert uns der Historiker Tacitus übrigens ein bemerkenswertes
Dokument "antiimperialistischen" Denkens. Vor einer Schlacht
versammelt der Kelten-Häuptling Calgacus seine Männer und hält eine
erstaunlich modern anmutende Rede: "Uns hier am Rande der Erde, uns
letzte Söhne der Freiheit, hat gerade unsere Entlegenheit und
Verborgenheit vor der Welt bis zum heutigen Tag verteidigt. Doch
jetzt liegt die Grenzmark Britanniens offen - nichts als Wogen und
Felsen und noch feindlicher die Römer. Und ihrem Frevelmut wird man
vergeblich durch Fügsamkeit und Bescheidung zu entrinnen suchen.
Räuber der Welt, durchspüren sie, nachdem den alles Verwüstenden die
Länder ausgingen, nun auch das Meer, habgierig, wenn der Feind reich,
ruhmsüchtig, wenn er arm ist. Als einziges von allen Völkern begehren
sie Fülle wie Leere mit gleicher Leidenschaft. Stehlen, Morden,
Rauben heißen sie mit falscher Bezeichnung Herrschaft, und wo sie
Einöde schaffen, nennen sie es Frieden."
Nach dem Bau der Mauer kam es für rund 300 Jahre zu einem für beide
Seiten akzeptablen Modus Vivendi: Die Römer "zivilisierten"
Südostengland, die Kelten zogen sich nach Irland, Schottland und
Wales zurück, und so blieb es, bis die Römer Mitte des 5.
Jahrhunderts aus Britannien abzogen. An ihrer Statt kamen die
Germanen, vor allem die Jüten, die Angeln und die Sachsen, die auf
Englands Boden sieben Königreiche, die so genannte "Heptarchie",
schufen: Anglia, Mercia, Northumberland, Kent, Essex (Ostsachsen),
Wessex (Westsachsen) und Sussex (man ahnt es, Südsachsen). Die
Kelten, zumal ihr Hauptstamm, die Briten, die damals angeblich unter
der Führung eines gewissen Arthur standen, wurden nach Wales
abgedrängt.
Die Insel, nun nach den Angeln mehr und mehr England geheißen, sah
sich um 800 neuen Eroberern gegenüber. Die Wikinger aus Skandinavien
sollten bis zum 11. Jahrhundert immer wieder für Aufsehen sorgen und
das Land sogar mehrmals regieren. Doch sie förderten auf der anderen
Seite auch die Einigung der germanischen Stämme, und wie sich Scoten
und Pikten im Norden unter Kenneth MacAlpine 843 zum Königreich
Schottland vereinigt hatten, sammelten sich die Angelsachen 871 um
Alfred, dem ersten König von England.
1013 eroberten die Dänen unter Sven Gabelbart die Insel und
beherrschten sie fast 30 Jahre lang, wobei vor allem Knut der Große
lange in Britannien weilte, sodass England beinahe zu einem
skandinavischen Anhängsel geworden wäre. Doch 1066 kamen andere
Wikinger, die Normannen nämlich, aus Frankreich über den Ärmelkanal
und besiegten in der Folge alle anderen Rivalen um die Vorherrschaft
in Britannien. Wilhelm der Eroberer begründete eine Dynastie, die bis
1485 den Herrscher stellen sollte.
Im Gefolge der erfolgreichen Normanneninvasion änderte sich auch das
politische Gefüge auf der Insel. Die angelsächsischen Adeligen wurden
von normannischen Adeligen verdrängt, und diese verfügten, je nach
Herrscherpersönlichkeit, über mehr oder weniger Einfluss auf die
Politik des Reiches. Angesichts der Unwägbarkeiten einer solchen
Situation entwickelten die Adeligen bald das Bedürfnis, ihren
Einfluss dauerhaft verbrieft zu bekommen. Ihr Bemühen um Mitsprache
mündete im Kampf um eine Ratsversammlung, in der sie Sitz und Stimme
haben sollten.
Erste parlamentarische Schritte
Es begann mit der "Magna Charta". In dieser sicherte König Johann
Ohneland den Adeligen Englands 1215 eine stattliche Zahl an Rechten
zu, worunter auch bestimmender Einfluss auf die Legislative fiel.
Zwar hatte der König seit der normannischen Eroberung Englands 1066
immer wieder auch den Rat der Nobilität einholen müssen, doch war
dies mehr oder weniger auf freiwilliger Basis geschehen. Nunmehr
sollte dies durch die Schaffung einer Körperschaft namens "Parlament"
verbrieftes Recht der Untertanen werden, an der Politik entsprechend
mitzuwirken.
Die ursprüngliche Idee dieses Parlamentarismus war berückend einfach.
Jede Grafschaft und jede Stadt sollte mit einem Abgeordneten
vertreten sein. Wahlberechtigt - aktiv wie passiv - sollte jeder
sein, der Land oder sonstiges Eigentum im Wert von zwei Pfund besaß.
Hinzu kamen die Vertreter der adeligen Familien und des hohen Klerus
sowie besondere Berater, die der König persönlich in dieses Gremium
berief. Das Parlament war freilich zu jener Zeit noch keine
permanente Einrichtung, sondern wurde vom König zu bestimmten Zeiten
einberufen, um über konkrete Fragen zu beraten, um sodann wieder für
längere Zeit aufgelöst zu werden. Dementsprechend tagte das Parlament
durchaus nicht immer in London, vielmehr gab es ganze
Sitzungsperioden, die in York, Coventry, Leicester, Shrewsbury oder
Oxford durchgeführt wurden.
Das gemeine Volk hielt freilich wenig von diesen Versammlungen, wie
die Spitznamen der einzelnen Sessionen belegen. So tagte 1258 das
"Verrückte Parlament", 1414 das "Parlament der Schläger", 1459 das
"Parlament der Teufel" und 1625 überhaupt das "nutzlose Parlament".
Meist ergingen sich die Abgeordneten denn auch in leeren Reden, da
sich das Parlament ob seiner heterogenen Zusammensetzung kaum auf
eine konkrete Linie einigen konnte. Da es aber das zentrale Recht des
Parlaments war, Steuern zu beschließen, war es beim Volk
dementsprechend populär.
1327 spielte das Parlament erstmals eine zentrale politische Rolle,
als es die Absetzung von König Edward II. auf Betreiben seiner
Ehefrau beschloss. Wenig später bürgerten sich getrennte Sitzungen
des Adels und des Klerus einerseits und der Bürger andererseits ein,
die in die Schaffung zweier Kammern - House of Lords und House of
Commons - einmündete. Und während erstere durch Erbfolge oder
Ernennung befüllt wurde, blieb letztere die Komposition durch Wahlen.
Derjenige, auf den in einem Wahlkreis die meisten Stimmen entfielen,
sollte diesen im Parlament vertreten. Ein System, das auch heute,
mehr als 600 Jahre später, unverändert Bestand hat.
Unter Heinrich VIII. nahm die Organisation des Parlaments konkretere
Formen an. So wurde 1540 die Funktion eines Parlamentspräsidenten
("Speaker") geschaffen, 1548 erhielt das Parlament dauerhaft
Räumlichkeiten im Palast von Westminster für seine Tätigkeit
zugewiesen. Vor allem unter Heinrich und Elisabeth erwies sich das
Parlament zumeist als willfähriges Instrument der monarchistischen
Politik.
Diese Tendenz fand zunächst unter den Stuarts eine Fortsetzung. Dies
verleitete Karl I. dazu, das Parlament überhaupt aufzulösen und elf
Jahre lang absolutistisch zu regieren. Als er aber 1640 vollkommen
pleite war, sah er sich gezwungen, das Parlament wieder einzuberufen.
Die Abgeordneten hatten ihm diese Demütigung nicht verziehen und
nahmen von Anfang an entschieden gegen den König Stellung. Die Lage
eskalierte, als Karl versuchte, Abgeordnete, die seine Regierung
kritisiert hatten, vom Plenarsaal heraus verhaften zu lassen, wiewohl
sie parlamentarische Immunität genossen. Wenig später befand sich
England in einem Bürgerkrieg zwischen Royalisten und Parlamentariern.
Nach dem Sieg der letzteren wurde die Monarchie abgeschafft, und auch
das "House of Lords" verschwand von der Bildfläche. Der neue
Staatschef Englands, Oliver Cromwell, ließ ein Einkammerparlament
wählen, das bis 1660 die politischen Geschicke Englands lenkte. Die
Angehörigen dieses Parlaments wurden "Member of Parliament" gerufen
und alsbald "M.P." abgekürzt, was heute noch das offizielle Signum
eines Abgeordneten ist.
Die Monarchie, 1660 wiederhergestellt, hatte aus den Erfahrungen
dieser Zeit gelernt. Seit Karl I. hat kein Monarch mehr das Unterhaus
betreten, und während der offiziellen Eröffnung der neuen
Parlamentssession im Oberhaus muss, einer Tradition aus dem 17.
Jahrhundert folgend, ein Mitglied des Unterhauses in Buckingham
Palace weilen, um als "Austauschgeisel" für den Monarchen zu
firmieren, solange dieser in Westminster weilt.
Unter den Stuarts war das Verhältnis zum Parlament auch weiterhin
immer wieder getrübt. Karl II. regierte lange Jahre, ohne das
Parlament überhaupt einzuberufen, und Jakob II. stieß sich an vielen
Entscheidungen der Abgeordneten, vor allem aber an deren
Protestantismus. Wieder nahmen die Spannungen zwischen Krone und
Parlament zu, doch ehe es neuerlich zu einem Bürgerkrieg kommen
konnte, floh Jakob II. nach Irland, und das Parlament rief - entgegen
dem herrschenden Recht - Jakobs Tocher Maria zur Königin aus. Unter
ihrer Schwester Anne sollte das Parlament 1707 auf vollkommen neue
Beine gestellt werden.
Das vereinigte Königreich
Mit Elisabeth I. waren 1603 die Tudors ausgestorben. Mit Anne ging
auch die Dynastie der Stuarts ihrem Ende zu. Um aber Schottland, das
die Stuarts seit 1371 regiert hatten, nicht wieder zu verlieren,
beschlossen die Parlamente von England und Schottland, sich zum
Parlament von Großbritannien zu vereinigen. War diese Entscheidung
für die Engländer naheliegend, sicherte sie doch den Einfluss des
Südens auf den Norden, so fiel die Entscheidung zugunsten der Union
in Edinburgh primär aus einem einzigen Grund: den extrem hohen
Bestechungssummen, welche London den schottischen Parlamentariern
dafür zahlte. Nicht umsonst fasste der schottische Poet Robert Burns
die Meinung der schottischen Untertanen in seinem Gedicht "Solch eine
Bande von Schurken" zusammen: "Adieu uns´rem schottischen Ruhm, adieu
alter Glorie, adieu selbst zum Namen Schottland. Was Macht und Kraft
nicht konnt' erreichen, das schaffte nun eine Handvoll Feiglinge, die
Judaslohn dafür bekamen. Dem englischen Stahl konnten wir
widerstehen, aber Englands Gold war unser Untergang, solch eine Bande
von Schurken in unserer Nation."
Schon 20 Jahre zuvor hatten die englischen Parlamentarier die
fragwürdige Rechtsstellung von Maria dazu benutzt, die Rechte des
Parlaments zuungunsten des jeweiligen Monarchen auszubauen. Vor allem
die "Bill of Rights" (1689) und der "Act of Settlement" (1701)
sorgten dafür, dass sich England, das - übrigens bis zum heutigen Tag
- über keine geschriebene Verfassung verfügt, in Richtung einer
konstitutionellen Monarchie entwickelte. Das Parlament war nun
endgültig für alle finanziellen Belange verantwortlich, also auch für
jene des Königshauses, was die politischen Rechte der Krone in der
Praxis deutlich minimierte. Seit 1708 hat es kein Monarch mehr
gewagt, von seinem Vetorecht gegen einen Parlamentsbeschluss Gebrauch
zu machen, bestand doch im Gegenzug die Gefahr, das Parlament würde
ihm die Bezüge kürzen oder gar streichen. Auch verlor der König das
Recht, das Parlament zu vertagen oder aufzulösen, denn dies stand nun
nur noch dem Parlament selbst zu, der Monarch wurde auf die Rolle des
ausführenden Organs reduziert.
In Zeiten, da finanziellen Aspekten derlei Bedeutung zukamen, wurde
auch die Rolle des Schatzkanzlers deutlich aufgewertet. Das Parlament
trug dieser Entwicklung Rechnung, indem es dem Schatzkanzler als
Diener (Minister) der Krone das alleinige Recht zur Einbringung von
Finanzvorlagen zubilligte. Aus der Verwaltung wurde so eine
Regierung. Und eine Regierung, in welcher dem Schatzkanzler eine
besondere Bedeutung zukam. Hatte die sich mehr und mehr
diversifizierende Welt dafür gesorgt, dass die Krone auch andere
Beamte für bestimmte Themen in ihre Dienste nahm (Kriegswesen,
Justiz, Beziehungen zu anderen Staaten), so kam dem Schatzkanzler nun
unter all diesen Ministern die erste (Premier) Rolle zu. Und so
taucht in einem Brief des Schriftstellers Jonathan Swift im Jahre
1713 erstmals die Formulierung "Primeminister" für den Schatzkanzler
auf.
Und noch eine Bezeichnung wurde in jenen Tagen geadelt. Da die Diener
der Krone die einzigen waren, die privaten Umgang mit dem Souverän
hatten, sich mit ihm also auch in dessen Räumlichkeiten trafen,
bürgerte sich für die Gesamtheit der Minister der Name "Kabinett"
ein, der bekanntlich ein kleines Zimmer beschreibt, in welchem sich
die Minister mit dem Herrscher austauschten.
Als 1714 die Hannoveraner auf den englischen Thron gelangten, blieben
die Minister in ihrem Kabinett von einem Tag auf den anderen unter
sich. Der neue König, Georg I., war des Englischen nicht mächtig und
sah daher wenig Sinn, den Debatten der Regierung beizuwohnen. Und als
Georg III. in den 60 Jahren seiner Herrschaft gerade zweimal zu einer
Regierungssitzung zu Besuch kam, da wurde es zur Tradition, dass der
Monarch den Kabinettssitzungen fernbleibt. Wiederum fiel es dem
"Primeminister" zu, im Anschluss an die Sitzung dem Monarchen über
deren Verlauf und die angesprochenen Themen Bericht zu erstatten. Der
Schatzkanzler avancierte somit endgültig zum Regierungschef, und der
erste, dem diese Stellung auch mit Brief und Siegel bestätigt wurde,
war 1721 Robert Walpole, der gleich 21 Jahre im Amt blieb.
Zwei Parteien
Wo es nun ein Amt gibt, mit dem besonderes Prestige und großer
Einfluss verbunden sind, da entstehen zwangsläufig auch Parteiungen,
die dieses Amt für sich gewinnen wollen. Waren die Abgeordneten bis
zu diesem Zeitpunkt jeder für sich geblieben, so schlossen sie sich
nun zu Fraktionen zusammen, um dergestalt die eigene politische Rolle
mehren zu können. Aus den eher konservativ eingestellten
Parlamentariern wurden so die "Tories", aus den liberal denkenden die
"Whigs". Beide Begriffe waren übrigens ursprünglich eindeutig
abwertend: "Tory" stammt vom irischen "toraidhe" ab und bedeutet
"Räuber", "Whig" kommt nicht von der Perücke, vielmehr von
"whiggamore", was Kuhtreiber oder Viehhirt heißt. Die Bezeichnungen
gaben sich die Parteien natürlich nicht selbst, sie stammten von der
jeweils anderen Seite, oftmals zugerufen während politischer Debatten
und sich so im Gedächtnis beider Gruppen kollektiv festsetzend.
Die ersten 40 Jahre der neuen Regierung hatten die Whigs die Nase
vorn, die bis 1762 fünf Premiers in Folge stellten, ehe erstmals die
Tories triumphieren konnten. Dauerhaft bestimmend wurden die Tories
ab 1783, als sie unter der Führung von William Pitt the Younger
standen, der eine Dominanz begründete, die bis 1830 währte. In dieser
Ära beschlossen die Engländer, auch dem bislang souveränen irischen
Parlament die Totenglocke zu läuten. Ab 1801 hieß das Parlament in
Westminister, dem "Act of Union" zufolge, "Parlament des Vereinigten
Königreichs von Großbritannien und Irland", da letzteres eben kein
vereinigtes Königreich wurde, sondern weiterhin als Königreich Irland
bestehen blieb. Durch den Vertrag von 1922 änderte sich die
Staatsbezeichnung schließlich zum noch heute verwendeten:
"Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland".
Im Laufe des 19. Jahrhunderts ergab sich jedoch das Problem, das
durch das herrschende Wahlrecht die Bevölkerung immer weniger
repräsentiert war. So entsandten Städte wie London, Manchester oder
Liverpool, die mittlerweile auf überaus achtbare Einwohnerzahlen
kamen, nach wie vor nur einen Abgeordneten ins Parlament, während
irgendeine verschlafene Grafschaft mit ein paar Wahlberechtigten
gleichfalls mit einem Mandatar vertreten war. Man begann von "rotten
boroughs" (verfallene Bezirke) zu sprechen und drängte auf eine
Änderung des Wahlrechts. Diese wurde schließlich 1832 mit dem "Reform
Act" auch durchgeführt. Ab diesem Zeitpunkt hatten alle Besitzer von
Eigentum das Wahlrecht, die Wahlkreise wurden entsprechend adaptiert.
35 Jahre später wurde der Zensus in einer Novelle merklich gesenkt,
im "Volksvertretungsgesetz" von 1884 wurde die Zahl der
Wahlberechtigten schließlich auf rund 6 Millionen angehoben, ehe die
Novelle dieses Gesetzes im Jahre 1918 allen Bürgern das gleiche
Wahlrecht einräumte. Die Fassung des Jahres 1918 blieb seitdem
weitgehend unverändert, nur das jeweilige Wahlalter war noch einem
Wandel unterworfen.
Bei den ersten Wahlen nach der Abschaffung der "rotten boroughs"
kamen die Whigs mit ihrem Anführer Earl Grey (der sich nebenbei auch
um die Verfeinerung der Teezubereitung verdient gemacht hatte) an die
Macht zurück. Sie erreichten 67 Prozent der Stimmen und 441 der 658
Mandate. Die Tories erzielten 29 Prozent und 175 Sitze, die irische
Fraktion um den Katholikenführer Daniel O´Connell kam auf knapp 4
Prozent und 42 Mandate. Dabei freilich waren Ungleichgewichte immer
noch nicht restlos ausgeräumt, denn im Wahlkreis Yorkshire wählten
18.000 Wahlberechtigte zwei Mandatare, während im schottischen
Sutherland 84 Wähler durch einen Abgeordneten vertreten wurden. Durch
einen Pakt mit den Iren sicherten sich die Whigs auch 1835 eine klare
Mehrheit in den Neuwahlen.
1841 hatten schließlich wieder die Konservativen die Nase vorn. Sie
bekamen 56 Prozent der Stimmen, die Whigs nur noch 41 Prozent. Die
Iren traten wieder separat an und erzielten immerhin 20 Mandate.
Erstmals stieg auch die Arbeiterbewegung in den Ring, chartistische
Politiker versuchten sich in acht von 658 Wahlkreisen, doch erhielten
sie insgesamt nur wenige hundert Stimmen und blieben ohne
parlamentarische Repräsentanz.
1847, die stürmische industrielle Entwicklung hatte mittlerweile für
ein beachtliches Proletariat in Britannien gesorgt, zog im Wahlkreis
Nottingham mit Fergus O´Connor (1794-1855) erstmals ein Chartist in
das Parlament ein. Wiewohl die Konservativen stärkste Kraft blieben,
konnten die Whigs dank der Unterstützung der irischen Katholiken die
Regierung stellen. Ab 1859 nannten sich die Whigs übrigens
"Liberals", die Tories gingen dazu über, sich als "Conservatives" zu
bezeichnen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren die beiden
Parteien von zwei überaus dominanten Politikern geprägt. Vertrat die
Konservativen Benjamin Disraeli (1804-1881), so hatte bei den
Liberalen William Ewart Gladstone (1809-1898) das Sagen. War ersterer
1868 und 1874 bis 1880 Premier, so führte zweiterer gleich viermal
(1868 bis 1874, 1880 bis 1885, 1886 und 1892 bis 1894) die Regierung
an. Nachfolger Disraelis als Leader der Konservativen wurde Robert
Gascoyne the Marquess of Salisbury (1830-1903), mit dem letztmals ein
Vertreter der Oberhauses zum Regierungschef avancierte, war er doch
1885/86, 1886 bis 1892 und 1895 bis 1902 Premierminister.
Hatten zwischen 1852 und 1885 nur Vertreter der Liberalen, der
Konservativen und der irischen Nationalisten Mandate erzielt, so zog
1885 mit William Abraham (1842-1922) ein walisischer Bergmann ins
Parlament ein, der zu den Mitbegründern des Gewerkschaftsbundes und
später zu den Gründern der Labour Party gehören sollte. Bei den
Wahlen 1892 wuchs die Gruppe der Sozialisten auf vier, wobei nun auch
ihr unumstrittener Parteiführer Keir Hardie (1856-1915) im Wahlkreis
Westham South ein Mandat errungen hatte. Gladstone kehrte im Bündnis
mit den Iren an die Macht zurück, ehe die Konservativen bis 1902
nochmals die Regierung stellten. Mit Henry Campbell-Bannerman (1836-
1908), Henry Asquith (1852-1928) und David Lloyd-George (1863-1945)
folgte dann zwischen 1905 und 1922 der letzte Schwanengesang der
Liberalen, denn in den darauf folgenden 86 Jahren stellten nur
Konservative und Sozialdemokraten den Premier.
Die neue Kraft
Die diversen sozialdemokratischen Vereinigungen, die zum Teil schon
vor der Mitte des 19. Jahrhunderts ins Leben getreten waren,
vereinigten sich 1900 zur "Labour Party" und wurden bald darauf zur
dritten Kraft neben Liberalen und Konservativen. Landesweit lösten
sie mit einem Stimmenanteil von zwei Prozent die Iren als Nummer 3
ab, wobei Labour nur in 16 Wahlkreisen angetreten war, die Iren aber
83 bestritten. Die Konservativen erzielten 50,3 Prozent, die
Liberalen 44 Prozent. 1906 stieg der Wähleranteil der Labour auf fünf
Prozent, was für 30 Mandate gut war. Erstmals bekamen die
Sozialdemokraten Fraktionsstatus und konnten so das parlamentarische
Geschehen aktiv mitbestimmen. Die Liberals feierten mit 49 Prozent
einen ihrer letzten großen Erfolge, die Konservativen fielen auf 43
Prozent zurück.
1910, bei den letzten Wahlen vor dem Ende des Ersten Weltkriegs,
errangen die Konservativen mit 46 Prozent zwar die Stimmenmehrheit
gegenüber den Liberalen mit 43 Prozent, doch auf die Liberalen
entfielen 272, auf die Konservativen nur 271 Mandate. Die Iren kamen
auf 82 Sitze, Labour, dessen Stimmenanteil auf 6,4 Prozent gewachsen
war, zog mit 42 Abgeordneten in Westminster ein.
Grundlegende Veränderungen brachte sodann der Dezember 1918. Erstmals
waren alle Bürger wahlberechtigt, und noch nie waren auch nur
annähernd so viele Parteien zu Wahlen angetreten. Insgesamt bewarben
sich 33 Gruppierungen um Mandate, wobei die Palette der neuen
Parteien von der schottischen "Highland League" bis zu den
Christlichen Sozialisten von Wales reichte. Auch eine eigene Bauern-
und eine Frauenpartei traten an, doch allen blieben Mandate versagt.
Großer Wahlsieger war Labour, auch wenn die 21 Prozent der Stimmen
nur für 69 Mandate gut waren. Nicht minder beeindruckend die fünf
Prozent für die irisch-radikale Unabhängigkeitspartei "Sinn Fein"
(Wir selbst), die unter der Führung von Eamon de Valera (1882-1975)
73 Sitze errang und damit fast alle irischen Wahlkreise erobern
konnte.
Diesem Triumph war freilich eine Tragödie vorausgegangen. 1916 hatte
der militärische Arm der SF, die "Irisch Republikanische Armee" (IRA)
einen Aufstand gegen die englische Herrschaft unternommen, der von
den Engländern mit beispielloser Härte niedergeschlagen worden war.
Nachdem die Briten mit Kanonen auf die Wohnsiedlungen geschossen und
hunderte Zivilisten gemordet hatten, wurden die Anführer des
Aufstandes standrechtlich zum Tod verurteilt und hingerichtet,
darunter auch James Connolly (1868-1916), der schwerstverwundet auf
der Bahre zur Exekution getragen wurde. Als einziger Anführer
überlebte De Valera, der als amerikanischer Staatsbürger zunächst
geschont wurde. Die öffentliche Stimmung, zunächst gegen Sinn Fein
eingestellt, schwenkte völlig ins Lager der Sezessionisten über, die
1918 die alte irische Parlamentspartei total marginalisieren konnte.
Die Abgeordneten der SF, darunter mit Constance Markiewicz (1868-
1927) die erste Frau, die jemals in das englische Parlament gewählt
wurde, nahmen ihre Sitze in Westminster jedoch nicht ein, sondern
konstituierten sich als unabhängiges irisches Parlament, um sodann
eine eigene irische Regierung zu bilden, in der De Valera Premier und
Markiewicz Sozialministerin wurde.
Die irische Krise, die 1922 in einem Teilungsvertrag mündete, kostete
Lloyd George viel an Zustimmung und er übergab noch 1922 sein Amt an
den Konservativen Andrew Bonar Law (1858-1923), der bei den Neuwahlen
mit 56 Prozent der Stimmen und 344 Mandaten einen gewaltigen Sieg
feiern konnte. Labour wurde mit 23 Prozent und 142 Sitzen erstmals
zweitstärkste Kraft, die Liberalen kamen nur noch auf 19 Prozent und
115 Sitze. Daneben zogen noch die nordirischen Vertreter von Sinn
Fein mit drei und die erstmals antretenden Kommunisten mit zwei
Sitzen in Westminster ein. Labour konnte erstmals ein
Schattenkabinett bilden, und ihr Führer Ramsay MacDonald (1866-1937)
avancierte to "His Majesty´s Opposition Leader".
Im Dezember 1923 kam es im Gefolge von Bonar Laws Tod zu vorzeitigen
Neuwahlen, bei denen Labour knapp an die Konservativen herankommen
und mit Duldung der Liberalen Anfang 1924 erstmals den Premier
stellen konnte. MacDonald blieb aber auf Dauer mit seiner
Minderheitsregierung tatsächlich in der Minderheit, noch Ende 1924
kamen die Konservativen zurück an die Macht. Umso größer der
Labourerfolg 1929, als sie mit 37 Prozent zwar ein Prozent hinter den
Konservativen blieben, mit 287 gegenüber 260 Sitzen jedoch eine
deutliche Parlamentsmehrheit bekamen. Die Liberalen fielen auf 59
Sitze zurück, die nordirischen Nationalisten hielten ihre drei
Mandate, dazu kamen noch fünf Unabhängige. MacDonald wurde zum
zweiten Mal Premier und blieb es bis 1935.
1935 aber gelang Stanley Baldwin (1867-1947) zum dritten Mal der
Einzug in Downing Street, die Konservativen erzielten 48 Prozent der
Stimmen gegenüber 40 von Labour. Die Liberalen konnten gerade noch 10
Prozent der Stimmen für sich verbuchen, die Kommunisten kehrten mit
dem legendären schottischen Arbeiterführer Willie Gallacher (1881-
1965) auf die parlamentarische Bühne zurück. Die Konservativen
tauschten in der Folge zweimal den Premier aus und fanden 1940 mit
Winston Churchill (1874-1965) einen Mann, der die Partei ein
Vierteljahrhundert lang dominieren sollte.
Nachkriegsengland
Durch den zweiten Weltkrieg kam es volle zehn Jahre zu keinen
Parlamentswahlen. Unmittelbar nach dem Friedensschluss setzte
Churchill jedoch sofort Neuwahlen an, da er davon ausging, die Briten
würden ihm ob seines Sieges im Krieg auch an der Wahlurne zum Sieg
tragen. Doch die Wähler hatten offenbar genug von Blut, Schweiß und
Tränen und versahen Labour mit einer satten Mehrheit von 49,8 Prozent
der Stimmen und 398 von 638 Sitzen. Churchill erzielte 36 Prozent und
197 Sitze, die Liberalen kamen auf 12 Prozent und 23 Mandate. Neben
einigen Unabhängigen erzielten nur die nordirischen Nationalisten und
die Kommunisten mit je zwei Mandaten parlamentarische Repräsentanz.
Labourleader Clement Attlee (1883-1967) wurde neuer Premier, seine
primäre Aufgabe war der nationale Wiederaufbau nach dem Krieg und die
Lösung des Kolonialproblems, allen voran jenes in Indien.
Attlee konnte seine Mehrheit 1950 nur knapp verteidigen, sodass es
1951 zu vorzeitigen Neuwahlen kam, welche wiederum Churchill für sich
entscheiden konnte. Die Konservativen hatten auch bei den
landesweiten Wahlgängen 1955 und 1959 die Nase vorn. 1964 aber gewann
Harold Wilson (1916-1995) 44 Prozent für die Labour Party, was 317
von 630 Mandate bedeutete. Die Konservativen errangen 43 Prozent und
304 Sitze, die Liberalen 11 Prozent und 9 Sitze. Labour hatte eine
knappe Mehrheit, aber sie hatte sie. Der Wahlgang von 1964 war in
modernen Zeiten übrigens der erste, in dem niemand sonst als die drei
klassischen Parteien ein Mandat erringen konnte.
Nach einem kurzen konservativen Zwischenspiel 1970 bis 1974 kam
Labour noch einmal an die Macht, wobei sich die politische Lage in
diesen zehn Jahren grundlegend gewandelt hatte. Nicht nur, dass sich
eine neue Linke etablierte, die mit Bernadette Devlin (geb. 1948)
1969 die jüngste Abgeordnete in der britischen Geschichte stellte,
auch der keltische Nationalismus erwachte wieder. 1966 zogen erstmals
Vertreter der "Plaid Cymru", der walisischen Nationalpartei, in
Westminster ein, 1974 folgte die schottische SNP (Schottische
Nationalpartei) diesem Beispiel und errang gleich elf Mandate. Auch
die irischen Nationalisten kamen wieder zu einer Vertretung im
Parlament, sodass es im neuen Parlament gleich sieben Fraktionen gab,
da sich die nordirischen Konservativen als "Unionisten" von den
Konservativen abgespalten hatten.
Die Causa Nordirland sorgte vor allem in den letzten Jahren des 20.
Jahrhunderts wiederholt für Aufregung in Westminster. 1981 wurde bei
einer Nachwahl im Wahlkreis Fermanagh-South Tyrone der bekannte IRA-
Aktivist Bobby Sands (1954-1981), der sich nach seiner Verhaftung im
Hungerstreik befand, mit mehr als 30.000 Stimmen (51 Prozent aller
Stimmberechtigten im Wahlkreis) zum Abgeordneten gewählt. Ungeachtet
des Ergebnisses ließ die damalige Regierungschefin Thatcher Sands
weiterhin in Haft halten, wo er, unbeugsam bis zuletzt die
Nahrungsaufnahme verweigerte. Sein Parteikollege Kieran Doherty
(1955-1981) kam gleichfalls in einem englischen Gefängnis zu Tode,
wiewohl er gewählter Abgeordneter des irischen Parlaments war.
Thatcher, die 1979 über Labour triumphiert hatte, sicherte sich 1983
ihre Wiederwahl, indem sie den so genannten Falkland-Krieg für ihre
Zwecke zu nutzen verstand. 1987 erzielte sie mit 58 Prozent der
Stimmen das beste Ergebnis einer politischen Partei im 20.
Jahrhundert. Dennoch wurde sie drei Jahre später von ihrer eigenen
Partei in die Wüste geschickt und durch John Major (geb. 1943)
ersetzt. Der verlor 1992 zwar fast sieben Prozent, konnte die
Mehrheit der Konservativen jedoch vorerst bewahren. Erst Tony Blair
(geb. 1953) brachte Labour nach 18 Jahren in der Opposition 1997
wieder auf Platz 1. 43 Prozent reichten für 418 von 659 Sitzen, die
Konservativen kamen auf 30 Prozent und 165 Sitze. Auf die Liberalen
entfielen 17 Prozent und 46 Mandate, zehn Sitze erhielten die
Unionisten, sechs die SNP, vier die Plaid Cymru, drei gingen an die
irischen Sozialdemokraten und je zwei an die Sinn Fein und die
radikalen Protestanten der "Demokratisch-Unionistischen Partei". Drei
Sitze schließlich gingen an Unabhängige.
2001 gab es kaum Veränderungen. Labour verlor fünf Sitze, die
Liberalen gewannen sechs, die Konservativen erhielten ein Mandat
mehr. Die SNP verlor einen Sitz, die Unionisten gleich deren fünf,
die zugunsten der DUP (+3) und der Sinn Fein (+2) gingen.
Sozialdemokraten und Plaid Cymru blieben gleich. Im Mai 2005 fanden
schließlich die bislang letzten Unterhauswahlen statt. Die Zahl der
Fraktionen verringerte sich dabei von neun auf acht, da die
Unionisten nur noch ein einziges Mandat zu erringen vermochten. Von
den Kleinparteien war die DUP der große Wahlsieger, sie zog nunmehr
mit neun Abgeordneten in Westminster ein. Die SNP kam auf 6, Sinn
Fein auf fünf, Sozialdemokraten und Plaid Cymru auf je drei
Mandatare. Die Liberalen erzielten mit 22 Prozent ihr bestes Ergebnis
seit den Tagen von Lloyd George und wurden mit 62 Sitzen belohnt. Die
Konservativen bekamen für ihre 30 Prozent 198 Mandate, ein Plus von
32, und Labour rettete mit 35 Prozent der Stimmen und 356 Mandaten
(minus 57) gerade noch ihre Mehrheit. Im Sommer 2007 wurde Blair
durch Gordon Brown (geb. 1951) abgelöst, der seitdem als Premier
amtiert.
Das Parlament der Traditionen
Gegenwärtig weist Westminster (www.parliament.uk )also acht
Fraktionen auf. Diese haben, teilweise auf alten Traditionen fußend,
eine Menge an parlamentarischen Spielregeln zu beachten. Die
Traditionspflege beginnt bereits mit der Rede des Monarchen (seit
1953 "The Queen´s Speech"), die im House of Lords gehalten wird. In
dieser muss die Königin die Eckpunkte der Politik ihrer Regierung
vortragen, ohne sich dabei selbst eine eigene Meinung erlauben zu
dürfen. Im Anschluss findet eine Debatte darüber statt. Doch nicht
unmittelbar im Anschluss. Um zu zeigen, dass man als Parlament nicht
einfach auf Zuruf des Monarchen agiert, legte das Haus 1676 fest, es
sei sein Recht, ein Thema seiner Wahl zu diskutieren, ehe man sich
der Rede des Souveräns zuwende. Damals ging es um die so genannte
"Outlawries Bill", doch real hatte man diese Vorgangsweise schon seit
1558, dem Amtsantritt Elisabeth I., so gehalten. Bis 1727 stand stets
eine konkrete Gesetzesinitiative an der Spitze der Tagesordnung, doch
als man 1727 partout keine Frage fand, über die man hätte debattieren
können, griff man kurzerhand auf die "Outlawries Bill" aus 1676
zurück - und tut dies bis auf den heutigen Tag. Ein längst
beschlossenes Gesetz wird ergo in erste Lesung genommen, um dem
Monarchen zu zeigen, dass auch seiner Macht Grenzen gesetzt sind.
Zu Beginn jeder neuen Gesetzgebungsperiode findet die Wahl des
"Speaker" statt, der - bis auf drei Ausnahmen - stets aus den Reihen
der Regierungspartei kam bzw. kommt. Während der Wahl führt der
"Vater des Hauses" den Vorsitz über die Kammer, das ist der an
Dienstjahren älteste Abgeordnete. 1895 bürgerte sich auch die
Bezeichnung "Baby des Hauses" ein, ein Spitzname, mit dem das an
Lebensjahren jüngste Mitglied der Kammer leben muss. Unter jenen, die
seitdem "Baby" waren, befinden sich so prominente Politiker wie der
skandalumwitterte Verteidigungsminister John Profumo, Labour-
Urgestein Tony Benn oder Irlands "Jeanne d´Arc" Bernadette Devlin.
Ist der "Speaker" einmal gewählt, so verlangt es die Tradition, dass
er sich gegen seine Kür sträubt. Der historische Hintergrund dieser
Haltung ist freilich durchaus ernster Natur. Zu den Aufgaben des
"Speaker" gehört es, dem Souverän die Meinungen und Entscheidungen
des Hauses zu hinterbringen, und so mancher Herrscher sanktionierte
hiefür den Boten. Daher muss der neu Gewählte vor seinem Stuhl noch
einmal innehalten und das Haus bitten, seine Entscheidung nochmals zu
überdenken. Erst wenn das Haus durch Zuruf auf seiner Wahl beharrt,
darf der Betreffende den Vorsitz übernehmen. Mit der Kür zum
"Speaker" verliert der Mandatar übrigens einige wichtige Rechte eines
Abgeordneten. Um seine strikte Unparteilichkeit zu wahren, muss er
aus seiner Fraktion austreten und darf keine Reden halten. De facto
ist es ihm auch nicht erlaubt, über Vorlagen abzustimmen, wiewohl er
das Recht hat, bei Stimmengleichheit eine Entscheidung pro oder
contra zu fällen.
Neu gewählte Abgeordnete halten in der Regel früher oder später ihre
"Jungfernrede", und die Tradition verlangt vom nächsten zu Wort
gemeldeten Mandatar, die Rede seines Vorredners, wie schlecht so auch
immer gewesen sein mag, zu loben, ein nicht immer ganz leichtes
Unterfangen. So würdigte Edward Heath einmal einen Neuling, dessen
erste Rede ein wenig zu lang ausgefallen war, mit den Worten:
"Gratulation zu Ihren Jungfernreden." Wann ein Abgeordneter zum
ersten Mal eine Rede hält, bleibt ihm überlassen. Lord Maenan (1854-
1951) hielt die seine 1948 im Alter von 94 Jahren. Mitunter ist es
aber ratsam, sich nicht allzu lange damit Zeit zu lassen, denn in
einigen Fällen war die Jungfernrede auch gleich der Schwanengesang.
Von besonderer Wichtigkeit ist der Beschluss über das Staatsbudget,
und dementsprechende Bedeutung hat die Budgetrede des
Finanzministers, die sich oftmals über mehrere Stunden erstreckt.
Weshalb dem Finanzminister gerne einmal Getränke gereicht werden. Im
Laufe der Jahre präsentierten sich die königlichen Finanzminister bei
dieser Gelegenheit je nach politischer Couleur als Bonvivant, Asket
oder als Grand Seigneur. Der erste Labourfinanzminister orderte noch
forsch Rum, sein Nachfolger verlegte sich auf Orangensaft, der dritte
Labourmann entschied sich folgerichtig für Orangensaft mit Rum. Die
folgenden drei Konservativen verordneten dem Land eine Sparpolitik -
und sich selbst Wasser. Der vierte Konservative bestellte Milch mit
Honig, auch dies wohl eine Metapher auf seine Budgetvorstellungen.
Dann war wieder Labour an der Reihe, und der neue Finanzminister,
nachdem er einen Blick in die Bücher geworfen hatte, bestellte zu
seiner Budgetrede Alka Selzer. Als 1979 wieder die Konservativen an
die Macht zurückkehrten, sprach man allerorten vom Zeitalter der
Yuppies, und Thatchers Finanzminister griff zum weißen Spritzer.
Unter seinem Nachfolger hatten sich die Wolken der Konjunktur so
verdunkelt, dass dieser stärkeren Stoff brauchte. Im konkreten Fall
handelte es sich um schottischen Maltwhisky.
Das eigentliche Tagesgeschäft des Unterhauses gleicht in vielem dem
österreichischen Parlament. Üblicherweise beginnt eine Sitzung mit
einer Fragestunde, danach ist Zeit für allfällige Stellungnahmen von
Regierungsmitgliedern. Kam das Haus zu dem Schluss, eine Debatte
verlange Dringlichkeit, so wird diese unmittelbar im Anschluss an die
Minister zum Aufruf gelangen. Danach folgen Gesetzesanträge der
Abgeordneten, hierauf solche der Regierung, des Oberhauses und
schließlich, im Petitionswege, solche, die aus den Reihen der
Bevölkerung an das Haus herangetragen wurden. Nach entsprechender
Erörterung der Materie gibt es bei der Abstimmung wieder eine
britische Besonderheit, das so genannte "Pairing". Jeder Mandatar der
Regierung hat seinen Widerpart in der Opposition, und sollte er aus
gesundheitlichen Gründen verhindert sein, so darf auch sein "Partner"
von der anderen Seite nicht an der Abstimmung teilnehmen. Diese
Maßnahme soll verhindern, dass eine zufällige Mehrheit gegen die
Regierung nur deswegen entsteht, weil in den Reihen der Regierung
gerade die Grippe grassiert.
Als weitere Sicherheit für die Regierungsmehrheit gibt es die "Whips"
(wörtlich "Peitschen"). Diese haben unter der Führung des "Chief
Whip" drei Aufgaben. Zum einen sind sie dafür verantwortlich, dass
die Abgeordneten der eigenen Fraktion zum Zeitpunkt der Abstimmung
auch vollzählig anwesend sind. Zum zweiten fungieren sie als eine Art
Transmissionsriemen für die Regierungspolitik hin zu den Mandataren
und umgekehrt. Drittens sind sie eine Art "Talentscout" und können
der Parteispitze hoffnungsvolle junge Abgeordnete für höhere Weihen
empfehlen. Und da sich dieses System offensichtlich bewährt hat,
verfügen auch die Oppositionsparteien jeweils über ihre eigenen
Peitschen.
Sind im Unterhaus erst einmal die politischen Entscheidungen
gefallen, so wandert die Materie ins Oberhaus, das eine Vorlage
teilweise abändern oder gänzlich verwerfen kann. In der Praxis wird
jedoch der Konsens gesucht, falls das Oberhaus andere Ansichten in
einer Angelegenheit hat denn das Unterhaus. Gehandelt wird dabei nach
dem Motto: "Das Oberhaus wirkt mehr durch Bedacht denn durch Macht."
Gleichzeitig ist das Oberhaus der oberste Gerichtshof des Landes,
wodurch ihm an dieser Stelle besondere Bedeutung zukommt.
Das Gebäude
Der Palast von Westminster verfügt über mehr als 1000 Räume, von
denen freilich die meisten alles andere denn glamourös sind. Erbaut
wurde das Gebäude unter der Herrschaft von William II. in den Jahren
1097 bis 1099, wenngleich viele wichtige Teile des Baus seitdem
grundlegend erneuert werden mussten. 1834 etwa wurden weite Teile des
Palasts durch ein Feuer zerstört, 1885 äscherten irische Separatisten
einen Bereich des Unterhauses ein, 1940 wurde der Plenarsaal des
Unterhauses durch die deutsche Luftwaffe vollkommen verwüstet,
weshalb die Abgeordneten lange Jahre im Oberhaus als Untermieter
tätig sein mussten. Unter den Räumlichkeiten befindet sich
"Westminister Hall", in der alle großen Prozesse der englischen
Geschichte stattfanden - von jenem gegen Thomas More über jenen gegen
Karl I. bis zu Guy Fawkes. Überdies beherbergt der Prunkbau neben den
Amtsräumen von Ober- und Unterhaus mehrere Bibliotheken, Büro- und
Besprechungsräume, Bars und Restaurants und die Dienstwohnung des
"Speaker", der, dies ein Gesetz aus dem Jahre 1512, stets ein
Gästebett für den Monarchen bereithalten muss, sollte es diesem
einfallen, einmal im Parlament nächtigen zu wollen.
Der Plenarsaal des Unterhaus weist eine ganz besondere Eigenart auf:
er bietet nicht allen Abgeordneten einen Sitzplatz. 346 Abgeordnete
finden auf den Bänken Platz, alle anderen müssen, so anwesend, auf
den Stufen Platz nehmen oder überhaupt stehen. Daraus ergibt sich,
dass nicht jeder Mandatar "seinen" Platz hat, vielmehr lässt man sich
dort nieder, wo gerade frei ist. Nur in der jeweils ersten Reihe -
niemand kümmert sich um die hinteren Reihen und die dort sitzenden
"Hinterbänkler" - sind die Plätze fix vergeben. Auf der Seite rechts
des "Speaker" sitzt der Premier mit seinen Ministern (die ex lege
alle dem Parlament als Abgeordnete angehören müssen) und den hohen
Repräsentanten seiner Partei, auf der linken Seite findet der
Oppositionschef mit seinem Schattenkabinett Platz. Gewinnt die
Opposition die Wahlen, dann werden die Seiten gewechselt, und die
ehemaligen Regierungsvertreter müssen "auf den Oppositionsbänken
Platz nehmen". Zwei Eselsbänke, "Crossbenches" genannt, dienen am
Ende des Saales jenen Mandataren, die sich weder für die Regierung,
noch für die Opposition zu erwärmen vermögen und deshalb mal pro und
mal contra stimmen.
Dem Platz des "Speakers" gegenüber befindet sich der Haupteingang in
den Saal, der von einem eigenen Sergeanten bewacht wird. Er ist bei
einer weißen Linie postiert, die nur von Berechtigten überschritten
werden darf. Vor den ersten Reihen links und rechts ist eine gelbe
Linie gezogen, die exakt zwei Schwertlängen von einander entfernt
sind. Dies sollte sicherstellen, dass die Abgeordneten wirklich nur
mit der Kraft des Wortes gegeneinander antreten, denn die Linie darf
von keinem Mandatar übertreten werden. Nicht alle freilich hielten
sich an diese Tradition, so marschierte 1969 das damalige "Baby of
the House" Bernadette Devlin flugs auf die Regierungsseite, um dem
eben seine Rede beendet habenden Nordirlandminister eine zu kleben.
Devlin erntete dafür die schärfste Sanktion, die der englische
Parlamentarismus kennt. Sie erhielt für den Rest der Sitzung die rote
Karte und musste dem Fortgang der Beratungen von der Besuchertribüne
aus verfolgen, sodass sie nicht nur keine Wortmeldungen mehr abgeben,
sondern auch nicht an Abstimmungen teilnehmen konnte.
Um sich solcher Ordnungsstrafen zu entziehen, hat sich im Laufe der
Jahrhunderte auch eine eigens kodierte Sprache eingebürgert. Freund
wie Feind kennt sie und weiß daher die entsprechenden Ausdrücke auch
diesbezüglich einzuordnen. Auch die heute anachronistisch wirkenden
Ehrbezeugungen, die zu Beginn einer Rede eingehalten werden müssen,
dienen der Vermeidung von Verbalinjurien. So ist jeder Abgeordnete
prinzipiell "ehrenwert". Ist er überdies Mitglied der Regierung, so
ist er "sehr ehrenwert". Ist er Mitglied des Kronrates, so ist er
zusätzlich "gelehrt", und als Mitglied der Streitkräfte auch noch
"tapfer". Es klingt einfach, so finden die Engländer, ganz anders,
wenn man statt "Sie sind ein Idiot" die Formulierung "Der sehr
ehrenwerte und gelehrte Abgeordnete benimmt sich idiotisch"
gebraucht.
Mitunter gehen aber doch die Emotionen in der Debatte mit den
Mandataren durch. So erregte sich ein Labour-Abgeordneter einst über
die Abwesenheit des Finanzministers in einer wichtigen Diskussion und
forderte den "Speaker" dazu auf, "den fetten Trottel von seinem
Esstisch" holen zu lassen. Als der "Speaker" die Wortwahl des
Mandatars unter Sanktion zu stellen drohte, so er diese nicht ändere,
ersuchte der Mandatar um Entschuldigung und erklärte, er meine
natürlich, man solle "den korpulenten Trottel von seinem Esstisch
holen lassen". Und als ein Abgeordneter einen Kollegen einen Lügner
nannte, vermied er die Sanktion durch folgende Entschuldigung:
"Mister Speaker ich sagte der ehrenwerte Gentleman ist ein Lügner das
ist wahr und ich bedaure es." Um nach einer kurzen Pause
hinzuzufügen, man könne die Interpunktionszeichen hiezu wo und wie
man wolle einsetzen.
Wer sich übrigens nicht die Mühe machen will, den Sitzungen von der
Zuschauergalerie zu folgen, der kann sie binnen kürzester Zeit im
"Hansard" nachlesen, den seit 1811 edierten stenographischen
Protokollen des Hauses.
Schottland, Wales und Nordirland
Ehe 1707 das "Vereinigte Königreich" gegründet wurde, verfügte
Schottland über ein eigenes Parlament, das seine Wurzeln bereits im
14. Jahrhundert hatte und sich aus drei Ständen (Adel, Klerus,
Bürgertum) zusammensetzte. Ab 1707 wurden die schottischen Wahlkreise
in Westminister vertreten, ehe 1997 eine so genannte "Devolution"
durch Volksabstimmung beschlossen wurde, durch welche Schottland
wieder ein eigenes Parlament mit recht weitgehenden Vollmachten
(inklusive der Steuerhoheit für Schottland) bekam. Dreimal wurden die
Schotten seitdem zu den Urnen gerufen. Hatten 1999 und 2003 die
Vertreter von Labour die Nase vorn, so gewann 2007 die Schottische
Nationalpartei, die daher seitdem auch die schottische
Regionalregierung bildet. Neben diesen beiden Großparteien sind auch
noch die Konservativen, die Liberalen und die Grünen im schottischen
Parlament vertreten, während die Sozialisten, eine Linksabspaltung
von Labour, die 1999 bis 2007 die viertgrößte Fraktion stellten,
zuletzt kein Mandat mehr erzielen konnte. Schottlands Legislative ist
ein Einkammerparlament und tagt in einem 2004 extra für diesen Zweck
geschaffenen Neubau nahe dem Holyrood-Palace. Davor hatte sich das
Parlament in der "Großen Versammlungshalle" der "Kirche von
Schottland" getroffen. Anders als in Westminster gibt es in Edinburgh
drei zugelassene Amtssprachen, neben Englisch auch Gälisch und
"Scots", eine stark vom Englischen geprägte Sprache, derer sich vor
allem die Südschotten gerne bedienen und die durch die Gedichte von
Robert Burns literarische Geltung erlangte.
Gleichfalls 1997 wurde auch eine Legislative Versammlung für Wales
ins Leben gerufen, was historisch eine Neuheit bedeutete. Bei den
ersten Wahlen 1999 zogen drei Fraktionen in das Parlamentsgebäude in
Cardiff ein: Labour mit 27, Plaid Cymru mit 9 und die Liberalen mit
drei Mandaten. Da es aber in Wales, anders als in Westminster, ein
zweites Ermittlungsverfahren gibt, in welchem das Verhältniswahlrecht
zur Anwendung gelangt, verfehlte Labour mit 28 von 60 Sitzen die
absolute Mehrheit knapp und ging mit den Liberalen (6 Sitze) eine
Koalition gegen PC (17) und Konservative (9) ein. 2003 erhielt Labour
30 Sitze und bildete in der Folge eine Alleinregierung. Bei den
bislang letzten Wahlen im Mai 2007 verlor Labour vier Sitze und
bildete Anfang Juli 2007 eine Koalitionsregierung mit der Plaid
Cymru. Die walisische Regionalregierung steht seit 2000 unter der
Führung des langjährigen Labourpolitikers Rhodri Morgan. Das
"National Assembly" tagte provisorisch in einem Cardiffer Bürohaus
("Ty Hywel"), ehe es 2006 sein eigenes, eigens errichtetes
Parlamentsgebäude im Zentrum von Cardiff beziehen konnte.
Nordirland wiederum erhielt im Zuge der Teilung der Insel im Gefolge
des "Treaty" zwischen irischen Nationalisten und britischer Regierung
sein eigenes Parlament für die sechs Grafschaften, die bei der Krone
verblieben. Da diese mehrheitlich protestantisch bewohnt waren,
erhielten die Konservativen, die späteren "Unionisten" auch eine
dementsprechend deutliche Mehrheit und zogen mit 40 von 52 Sitzen in
das Parlament, welches in Stormont Castle untergebracht war, ein.
1925 wurden neben irischen Nationalisten und Unionisten erstmals auch
Vertreter von Labour in das Haus gewählt. Bei diesen drei Fraktionen
blieb es auch lange Jahre, wobei als bemerkenswerte Besonderheit zu
erwähnen ist, dass der amtierende Premierminister Irlands, Eamon de
Valera (1882-1975), 1933 ins Parlament Nordirlands gewählt wurde, wo
er freilich seinen Sitz nicht einnahm, zumal seine Regierung die
Teilung Irlands ja nicht anerkannte.
War das Kräfteverhältnis bis 1945 mehr oder weniger gleichgeblieben,
so fielen die Unionisten 1945 auf 33 Sitze zurück. Die irischen
Nationalisten hielten ihre 9 Mandate, Labour verbesserte sich auf
fünf. Doch schon 1949 waren die alten Relationen wiederhergestellt,
und die Unionisten, die im Schnitt knapp die Hälfte der Stimmen
erhielten, verfügten stets über eine Zweidrittelmehrheit an Mandaten,
was nicht zuletzt dem Umstand geschuldet war, dass ihre Mehrheit die
Grenzen der Wahlkreise so festlegte, dass eine protestantische
Mehrheit gesichert war. Diese und andere Ungerechtigkeiten führten
schließlich zu einer veritablen politischen Krise in Nordirland, die
nach 1969 eskalierte und zur Suspendierung des nordirischen
Parlaments führte. Von 1972 bis 1997 wurde Nordirland direkt von
London aus regiert.
Im Gefolge des Karfreitagsabkommens wurde 1998 auch für Nordirland
wieder eine parlamentarische Körperschaft ins Leben gerufen. Zwar
wurden die Sozialdemokraten (die nordirische Filiale von Labour) mit
22 Prozent stimmenstärkste Partei, doch im Parlament hatten die
Unionisten mit 28 gegenüber 24 Mandaten die Nase vorn. Drittstärkste
Fraktion wurden die "Demokratischen Unionisten", eine radikale
Abspaltung der Unionisten, mit 20 Sitzen, gefolgt von Sinn Fein mit
17 Sitzen. Sieben Mandate schließlich errang die überkonfessionelle
Allianzpartei, die auch den ersten Parlamentspräsidenten stellte. Da
sich die unterschiedlichen Parteiungen aber nicht auf einen
gemeinsamen Kurs einigen konnten, wurde die Selbstverwaltung 2002
wieder außer Kraft gesetzt. Erst 2007 erhielt Nordirland wieder ein
eigenes "Assembly", das im März 2007 auf Basis des Übereinkommens von
St. Andrews gewählt worden war. Dabei war die DUP mit 36 Mandaten
stärkste Kraft geworden, gefolgt von Sinn Fein (28), UUP (18) und
SDLP (16). Die Allianzpartei blieb mit sieben Sitzen fünfte Kraft.
Seit Mai 2007 wird Nordirland daher durch eine Koalition aus dem
beiden radikalen Parteien DUP und Sinn Fein geführt.
HINWEIS: In dieser Serie sind bisher erschienen: Porträts der
Parlamente der Teilnehmerländer der EURO 08 (Schweiz, Griechenland,
Deutschland, Kroatien, Polen, Tschechien, Portugal, Türkei,
Frankreich, Italien, Rumänien, Niederlande, Schweden, Spanien,
Russland und Österreich) sowie Darstellungen des Parlamentarismus in
Albanien, Andorra, Belgien, Bosnien, Bulgarien, Dänemark, Estland,
Finnland, Irland, Island, Lettland, Liechtenstein, Litauen,
Luxemburg, Makedonien, Malta, Moldawien, Monaco, Montenegro und
Norwegen, San Marino, Serbien, die Slowakei, Slowenien, die Ukraine
und Ungarn. (Schluss)
Eine Aussendung der Parlamentskorrespondenz
Tel. +43 1 40110/2272, Fax. +43 1 40110/2640
e-Mail: pk@parlament.gv.at, Internet: http://www.parlament.gv.at
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