Wien (PK) - Die Überreichung des Goldenen Ehrenzeichens für
Verdienste um die Republik Österreich an den 1939 vor den Nazis aus
Wien geflohenen, jetzt in Los Angeles lebenden Musikkritiker, Lehrer
und Komponisten Walter Arlen heute Nachmittag im Parlament gab
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und Bundesministerin Claudia
Schmied Gelegenheit, einem großen Österreicher jüdischer Herkunft zu
danken, der die Verbindung zu seiner Heimat nie abreißen ließ und
große Verdienste als Kritiker, Komponist und Lehrer erwarb, der
jungen Menschen die Musik nahebrachte und ihnen ihre Hintergründe
erklärte.
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer schilderte die dramatische
Lebensgeschichte Walter Arlens, würdigte seine großen Leistungen und
erinnerte die Festgäste an die Aufführung der "Humorske", einer
Komposition Walter Arlens, beim Gedenktag für die Opfer des
Nationalsozialismus am 5. Mai 2008. Mit großem Einsatz und viel
Verständnis habe Professor Arlen ein junges Orchester mit seiner
Musik vertraut gemacht und es auf seinen Auftritt im Hohen Haus
vorbereitet. Das Goldene Ehrenzeichen für Professor Walter Arlen sei
eine späte Anerkennung für einen großen Österreicher, sagte die
Präsidentin, die dem Musiker auch für seine häufigen Besuche in
Österreich dankte, "bei denen er vieles von dem wiederbringt, was
Österreich damals verloren hat".
"Die Kunst hat mich mit Österreich versöhnt" - mit diesem Satz Walter
Arlens leitete Bildungsministerin Claudia Schmied ihre Ansprache ein
und unterstrich die Bedeutung der Kunst bei der notwendigen
Erinnerung der Vergangenheit. Es sei notwendig, sich immer wieder
bewusst zu machen, was in den Jahren zwischen 1938 bis 1945 in
Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur geschehen sei. Denn nur so sei
die Botschaft wahrer Menschlichkeit an die jungen Menschen
glaubwürdig, nur so könne es gelingen, die Verdrängung und den Zwang
zu überwinden, die Vergangenheit zu wiederholen, sagte
Bundesministerin Schmied. Für Walter Arlen sei die Musik immer eine
Brücke zwischen seiner neuen Heimat Los Angeles und seiner alten
Heimat Wien gewesen. Für Österreich sei es eine Ehre, dass Walter
Arlen das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik
annehme, schloss Bundesministerin Schmied.
Mit der Verleihung dieses Ehrenzeichens sah Walter Arlen "einen Kreis
der Versöhnung" geschlossen. Das "Bitte komm zurück!" Österreichs sei
ihm eine große Freude gewesen, sagte Walter Arlen, der sich
vollständig mit seiner Heimat versöhnt zeigte. In sehr persönlichen
Worten sprach der Musiker über sein bewegtes Leben, seine Arbeit und
seine Familie und gedachte insbesondere seiner Großmutter, die in
einem nationalsozialistischen Konzentrationslager ermordet wurde. Am
Schluss seiner Dankesworte wandte sich Walter Arlen mit einer
besonderen Bitte an Nationalratspräsidentin Prammer und
Bildungsministerin Schmied: Gustav Mahler, der am Grinzinger Friedhof
begraben sei, sollte am Wiener Zentralfriedhof, an der Seite
Beethovens und Schuberts seine letzte Ruhestätte finden.
Für den musikalischen Rahmen der Feierstunde sorgten Andrea Linsbauer
am Flügel und die Sängerin Irene Wallner. Ihre Darbietung der
"Shakespeare Sonette" Nr. 1 und 2 für Klavier und Gesang wurden vom
Publikum mit viel Beifall bedacht.
Vertreibung, Erfolg und Versöhnung - das Leben Walter Arlens
Wie Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ausführte, wurde Walter
Arlen am 31. Juli 1920 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in
Wien geboren. Seine Großeltern hatten 1890 in Ottakring ein Warenhaus
mit dem Familiennamen "Dichter" eröffnet, das sich in den dreißiger
Jahren zum größten Kaufhaus außerhalb des Gürtels entwickelte. Der
hochbegabte Walter Arlen besuchte ein Wiener Gymnasium und verfasste
mit zehn Jahren seine ersten Kompositionen. Ende der dreißiger Jahre
nahm das Leben des späteren Musikkritikers, Pädagogen und Komponisten
eine dramatische Wendung. Nach der Machtergreifung der Nazis im März
1938 drangen SA-Männer in die Wohnung der Familie ein, misshandelten
Walter, raubten Schmuck und Geld und verschleppten den Vater ins KZ.
Das Kaufhaus "Dichter" wurde bald darauf um ein Drittel seines Wertes
an einen Ariseur verkauft.
Im April 1939 floh Walter Arlen Über Großbritannien in die USA. Die
anderen Familienmitglieder gelangten mit dem aus dem KZ Buchenwald
freigekauften Vater nach Großbritannien, wo die Mutter sich in einem
depressiven Anfall das Leben nahm. Erst Ende der vierziger Jahre traf
Walter Arlen wieder mit seiner Schwester und seinem Vater in Chikago
zusammen. Dort studierte Walter Arlen Orgel bei Leo Sowerby sowie
Komposition bei John Vincent und Lukas Foss, schloss Studien am
Peabody College und der University of Los Angeles ab, war Assistent
bei dem berühmten Kompositionslehrer Roy Harris und arbeitete in der
Folge an Universitäten in den USA und in Italien. Als Musikkritiker
kooperierte Walter Arlen ab 1952 eng mit Albert Goldberg von der Los
Angeles Times. Von 1969 bis 1990 baute Arlen die Musikabteilung der
Loyola Marymont University in Los Angeles auf und unterrichtete dort
als Professor. Seit 1986 widmet sich Walter Arlen, der heute in Los
Angeles lebt, seinen eigenen Kompositionen.
Der Weg der Versöhnung mit der ehemaligen Heimat war für Walter Arlen
und seine Schwester Edith Arlen-Wachtel, einer in den USA
erfolgreichen Soziologin, steinig. Für das Kaufhaus erhielten die
Geschwister von der Republik in den fünfziger Jahren einen Betrag,
der gerade die Anwaltskosten ihrer erfolglosen Restitutionsbemühungen
abdeckte. Beim Versuch, sich im Jahr 1965 die alte Wiener Wohnung der
Familie anzuschauen, sei er "einfach hinausgeworfen worden", erzählte
Walter Arlen in einem Zeitungsinterview.
Das Kaufhaus der Familie Dichter war 1945 von einem
Arisierungsprofiteur namens Oskar Seidenglanz übernommen und in
"Kaufhaus Osei" umbenannt worden. Ab 2005 nutzte die Masc Foundation
das Gebäude und rief 2006 die "Sammlung Dichter" ins Leben. Im Jahr
2006 nahmen Walter und Edith Arlen an der Eröffnung des Projekts
"Säulen der Erinnerung" teil, mit dem die Künstlergruppe "grundstein"
am Ottakringer Yppenplatz, in der Nähe des ehemaligen Kaufhauses
"Dichter", mit künstlerisch gestalteten Plakaten die NS-Zeit
thematisierte, einen Film über den jüdischen Sportklub Hakoah zeigte
und ein Gesprächskonzert mit Kompositionen von Walter Arlen
aufführte. Derzeit wird auf dem Grundstück des ehemaligen Kaufhauses
ein Wohnhaus errichtet, das den Namen "Dichter Hof" tragen soll. Der
Kunst gelang, was die Republik lange verabsäumt hat - die Versöhnung
der Geschwister Edith und Walter Arlen mit ihrer Heimat Österreich.
(Schluss)
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