• 19.09.2008, 16:05:00
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"KURIER"-Kommentar von Christoph Kotanko: "Die geschrumpften Staatsparteien"

SPÖ und ÖVP steuern auf ihren Tiefpunkt zu. Dafür gibt es gute Gründe.

Wien (OTS) - Was nach dem 28. September kommt, ist ungewiss:
Entweder die Auferstehung der Totgesagten, also eine neuerliche
große Koalition, oder eine Regierung mit FPÖ und BZÖ. Dazu müssten
Strache und Haider eine Fraktionsgemeinschaft nach dem Vorbild von
CDU und CSU bilden - personell sowie organisatorisch getrennt,
aber im Nationalrat vereint.
Sicher kommt es zu einer nachhaltigen Verschiebung in der
Parteienlandschaft. Das "dritte Lager", das Haider in den
Neunzigerjahren aufrichtete und dann fast ruinierte, wird wieder
ein Faktor der Innenpolitik. Es ist leicht möglich, dass FPÖ und
BZÖ zusammengezählt mehr Stimmen als die größte Partei haben werden.
Noch mehr könnte sich bei den einstigen Großparteien abspielen.
Rot und Schwarz steuern auf ihr schlechtestes Wahlergebnis in der
Zweiten Republik zu.
Die SPÖ erhielt 1979 mit Kreisky 51 Prozent der Wählerstimmen.
Später, mit Sinowatz, Vranitzky, Klima und Gusenbauer ging es nur
noch bergab. 2006 bekam die SPÖ 35 Prozent. Diesmal dürften es (laut
fast allen Umfragen) weniger als 30 Prozent werden - ein historischer
Tiefstand der stolzen Sozialdemokratie.
Die ÖVP ist mit dem Verfall vertraut. Sie kam 1983 auf 43
Prozent und schrumpfte bis 1999 auf 26,9 Prozent. 2002 wurden dank
Schüssels Wendemanöver noch einmal 42,3 Prozent erzielt.
Jetzt liegt sie bei 26 oder 27 Prozent. In einstigen
ÖVP-Hochburgen wie der Steiermark und Oberösterreich ist die SPÖ
acht Tage vor der Wahl eindeutig voran. In Tirol wandern frühere

ÖVP-Wähler geradewegs  zu Dinkhauser (der  allerdings  bundesweit zu
schwach ist).
   Für den Abstieg der   Volksparteien gibt es Gründe.

Programmatisch sind sie ausgelaugt. Sie beherrschen ihr Kerngeschäft
nicht mehr: Die klare Botschaft, wofür sie stehen und wo sie
hinwollen.
Dieser Befund trifft auf die ÖVP noch stärker zu als auf die SPÖ.
Wenn man einen potenziellen SPÖ-Wähler mitten in der Nacht weckt und
fragt, was die Roten wollen, wird er sagen: Die Teuerung bekämpfen.
Während sich die Sozialdemokraten mit populistischen
Versprechungen den Anschein eines Programms geben, könnte bei der
ÖVP niemand sagen, worauf ihr Wahlkampf abzielt. Sie hat, obwohl
sie selbst diese Neuwahlen verursachte, kein Leib- und Magenthema.
Da hilft dann kein Gesudere, "die Themenlage" sei eben ungünstig.
Ebenso schädlich ist der Mangel an qualifiziertem Personal in
beiden Parteien. Ihre Amtsträger kommen aus der Kernschicht.
Sie sind von klein auf angepasst, ideenlos, karriereorientiert. Es
herrscht Einfalt statt Vielfalt. Während die Gesellschaft ständig
breiter wird, verengt sich das Funktionärsmilieu. In beiden
Parteien muss man Querköpfe, Störenfriede, Freiberufler, echte
Arbeiter und Angestellte, Unternehmer, Intellektuelle, Künstler mit
der Lupe suchen.
So etwas geht eine Zeit lang gut. Doch alle Systeme, die sich
nur aus sich selbst erneuern, haben ein Ablaufdatum. Der 28.
September 2008 ist ein solches.

Rückfragehinweis:
KURIER
Chefredaktion
Tel.: (01) 52 100/2601

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