- 19.02.2008, 16:05:00
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"KURIER"-Kommentar von Anneliese Rohrer: "So spannend kann Politik sein"
Wer sich gut informiert, kann überrascht, verärgert, aber kaum verdrossen sein.
Wien (OTS) - Wer wendet sich schneller mit Grauen oder Langeweile
von der Politik auf Bundesebene ab? Das scheint geradezu ein
Massensport geworden zu sein. Angefeuert wird das Publikum dabei
von einem wahlkämpfenden VP-Landeshauptmann, der flächendeckend
wissen lässt, wie "beschämend, empörend, schädlich" die Politik
dieser Regierung wirklich ist.
Mit solchen Aussagen machen sich Spitzenpolitiker an der
grassierenden Politikverdrossenheit mitschuldig. Deshalb ist es an
der Zeit, dieser einmal in aller Entschiedenheit entgegenzutreten:
Politik ist spannend und voll der Überraschungen. So taumelten vor
einigen Wochen SPÖ und Bundeskanzler von einer Peinlichkeit in die
nächste - Upgrading bei der AUA für die Familie Gusenbauer,
Wahldebakel in Graz, beschämender Gusi-Hunderter als Antwort auf
Preisexplosionen. Wer hätte da geglaubt, dass nun die ÖVP wegen der
Vorgänge im Innenministerium aus der Defensive nicht mehr
herauskommt? Dass Parteichef Wilhelm Molterer entgegen der eigenen
Transparenz-Schwüre zum Vize-Schweigekanzler mutiert, während
Wolfgang Schüssel plötzlich zum wortreichen Erklärer wird?
Oder: Wer hätte gedacht, dass Wiens Bürgermeister Michael Häupl
ohne Rücksicht auf seinen Freund Erwin Pröll sein Grundvertrauen in
die ÖVP in Zweifel zieht und dieser unverhohlen droht. Es gibt also
immer wieder Überraschungen. Selbst für Pröll. Vor 2000 hätte ein
einziges scharfes Wort von ihm dem VP-Obmann den Job gekostet.
Heute schämt und empört er sich - und keinen regt’s auf. Die Zeiten
ändern sich eben.
Man kann also nicht einmal von vornherein ausschließen, dass die
Spitzen dieser Koalition nicht doch plötzlich einen Kreativschub
bekommen, alte Denkmuster aufbrechen, unkonventionelle Wege gehen.
Ein gute Gelegenheit wäre der Ministerrat. Alfred Gusenbauer und
Wilhelm Molterer könnten unorthodox entscheiden: Die ÖVP stimmt einem
U-Ausschußss zu den Vorgängen im Innenministerium zu, die SPÖ bietet
ihr im Gegenzug den Vorsitz dort an.
Selbst in der Sachpolitik liegen Überraschungen.
In den Turbulenzen um möglichen Machtmissbrauch und Herwig
Haidingers Aussage, er habe sich nicht "korrumpieren" lassen, ging
zum Beispiel die Schaffung einer neuen Anti-Korruptions-Stelle
weitgehend unter. Vielleicht entspricht die neue
Sonderstaatsanwaltschaft nicht punktgenau den internationalen
Standards von völliger Unabhängigkeit, ausreichenden Ressourcen und
Top-Qualität des Personals, aber sie ist ein Anfang. Wie spannend
wäre es, würde die Regierung aus aktuellem Anlass den
Arbeitsbeginn dieser Stelle von 1.Jänner 2009 auf Juli 2008
vorziehen. Niemand kann sie daran hindern, über Nacht gescheiter zu
werden.
Somit gibt es eigentlich keinen Grund für Verdrossenheit und
Desinteresse. Nicht einmal jetzt. Wer sich nicht ab-, sondern dem
Politischen zuwendet, kann später eine gut informierte
Entscheidung treffen - bei der nächsten Wahl. Wann immer diese sein
wird.
Rückfragehinweis:
KURIER
Innenpolitik
Tel.: (01) 52 100/2649
innenpolitik@kurier.at
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