• 15.02.2008, 16:05:00
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"KURIER"-Kommentar von Andreas Schwarz: " Den Anspruch einfach herunterschrauben"

Die Große Koalition macht Sehnsucht nach anderer Politik - ein naiver Traum.

Wien (OTS) - Das neue Jahr, in dem alles anders werden hätte
sollen, nähert sich seinem 50. Tag, und die innenpolitische Bilanz
lässt sich nur so zusammenfassen: Alles bleibt schlechter.
Die Koalition, die sich über ein Jahr lang fast ausschließlich
über wilde Scharmützel für das jeweils eigene Parteipublikum
definiert hat, steckt jetzt tatsächlich in einer existenziellen
Krise. Die hat zwei Ursachen: Den mutmaßlichen Skandal im
Innenministerium und die handelnden Personen in SPÖ und ÖVP.
Der im Raum stehende Verdacht gegen die Volkspartei, das
Innenministerium parteipolitisch missbraucht zu haben, ist in
Wahrheit nur ein Spiegel für das Verhältnis der beiden Großparteien
zueinander. Inhaltlich diametrale Politik, Konflikte, Abneigung,
Streit unter der Gürtellinie hat es auch in großkoalitionären Zeiten
vor der Jahrtausendwende gegeben. Seit die Schüssel-ÖVP aber im Jahr
2000 die SPÖ aus dem Kanzleramt gestoßen hat, herrschen zusätzlich
noch tief sitzender Hass und gegenseitiges Misstrauen.
Die handelnden Personen sind Ausdruck dafür. Vielleicht nicht der
Kanzler und der Vizekanzler, die ihre Abneigung gegenüber dem
Koalitionspartner noch vergleichsweise zivilisiert zur Schau stellen.
Aber was beiden vorzuhalten ist: Dass sie die Caps und Kalinas
und Missethons mit ihren verbalen Blähungen ungezügelt die Luft
verpesten lassen.
Dazu kommen Landeschefs auf der einen Seite, die ein munteres
Zielschießen auf die verhassten Schwarzen feiern, und ein Wolfgang
Schüssel auf der anderen, der als One-Man-Krisenstab ums eigene
Leiberl rennt und nicht abfällig und oft genug "den Sozialisten" eine
hineinwamsen kann.
Späte Stimmen der Vernunft wie die eines Werner Faymann oder Josef
Pröll gehen da unter - zu oft hat man das Bekenntnis "Arbeit statt
Streiten" schon gehört.
Diese Art der Politik hat abgedankt. Beim Wähler nämlich. Aber
welche Politik, welche Politiker dann?
Mehr Offenheit, mehr Zugeständnisse im Umgang miteinander und in
der Sache, ohne Parteiräson - eine schöne Vorstellung, aber eine
naive: Politik ist per se nicht ein Einander-Liebhaben, sondern
noch vor der Sacharbeit ein Machtmikado. Wer sich als Erster bewegt,
hat verloren, und wer sich öffnet, spielt gar nicht mit.
Mehr beziehungsweise endlich Politiker mit Visionen, mit
Aufbruchsgeist und Veränderungsdynamik à la Barack Obama? Auch ein
hübscher Wunsch. Aber abgesehen davon, dass sich erst weisen muss, ob
der jugendliche Fernsehprediger-Charme des US-Senators nicht
hoffnungslos überschätzt wird: Selbst absolute Hoffnungsträger für
eine andere Politik wie etwa Tony Blair haben sich im Laufe der Zeit
nicht nur abgenützt, sondern bloß als gute Politikverkäufer erwiesen.
Vielleicht muss man ja den Anspruch an die Politik überhaupt
generell herunterschrauben.
Nur so schnell zu schrauben wie angesichts der Großen Koalition:
Das hätt’s ja nicht gleich sein müssen.

Rückfragehinweis:
KURIER
Innenpolitik
Tel.: (01) 52 100/2649
innenpolitik@kurier.at
www.kurier.at

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