"Kleine Zeitung" Kommentar: "Braucht denn Österreich überhaupt eine Regierung?" (Von Michael Jungwirth)
Ausgabe vom 11.01.2008
Graz (OTS) - Ja, braucht denn Österreich überhaupt eine Regierung? Diese ketzerische Frage drängt sich auf. Die Koalition verpulvert einen Großteil ihrer Energie im täglichen Stellungskrieg, die Republik steht international aber prächtig da. Wie das?
Wer in Europa herumkommt, weiß um unseren beachtlichen Lebensstandard Bescheid. Es ist zwar nicht alles eitel Wonne, die Wirtschaft blüht aber weiter auf, die Zahl der Beschäftigten wächst. Die erdrückende Mehrheit der Europäer beneidet uns um die vergleichsweise geringe Arbeitslosigkeit, insbesondere bei Jugendlichen.
Es hat den Anschein, als ob in Österreich italienische Verhältnisse Einzug gehalten haben. Egal, wie schleißig die Regierung arbeitet:
Wir sind gut aufgestellt. Das hat in gewisser Weise auch was Beruhigendes.
Gerade in Österreich ist die Versuchung enorm, dem Bürger weiszumachen, dass die heimischen Politiker über einen beachtlichen Gestaltungspielraum verfügen. Das ist Unfug. So wiesen etwa im vierten Quartal 2006 alle Österreich-Indikatoren steil nach oben, obwohl in dieser Periode nur Koalitionsverhandlungen stattfanden und in den Monaten zuvor der Wahlkampf tobte.
In einer globalisierten Welt ist auch die österreichische Politik weitgehend fremdbestimmt. Umgekehrt trägt die Internationalisierung wesentlich zu unserem Wohlstand bei. Jeder zweite Arbeitsplatz hat einen Auslandsbezug.
Wie die Regierung arbeitet, ist dennoch nicht egal. Die Politik kann sehr wohl an einigen der Stellschrauben drehen und damit langfristig die Entwicklung des Landes mitgestalten.
Das tut die Koalition nur im bescheidenen Ausmaß. Statt sich grundsätzlichen Fragen zuzuwenden, führt man lieber den Koalitionspartner aufs Glatteis - in der Hoffnung, sich einen Startvorteil für die nächsten Wahlen zu verschaffen. Erste Erfolge stellen sich übrigens ein: Das Trommelfeuer der ÖVP gegen Buchinger bei der Pflege hat dem Sozialminister ein Popularitätstief beschert.
Wesentlicher wäre es, die eine oder andere große Strukturfrage anzupacken, wie etwa die Staats- oder die Gesundheitsreform. Nicht als Beschäftigungstherapie, sondern als Überlebensfrage. Untätigkeit führt zur Verkrustung von Strukturen und letztlich zum Stillstand.
Wie heißt es noch bei Tomasi di Lampedusa: "Es muss sich alles ändern, damit es so bleibt, wie es ist." Auch die Politik hat, obwohl fremdbestimmt, einen wichtigen Beitrag zu leisten. Im strategischen Denken war Österreich immer schon Entwicklungsland.****
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