• 22.09.2007, 19:00:08
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"Kleine Zeitung" Kommentar: "Stasi-Land Österreich?" (Von Hubert Patterer

Ausgabe vom 23.09.2007

Graz (OTS) - Studenten, die das geistige Vergnügen hatten, von
Karl Korinek in die Logik juristischen Denkens geführt zu werden,
schwärmen noch heute von seiner Vortragskunst. Auch später, als Hüter
der Verfassung, hat sich der Präsident des Gerichtshofes wiederholt
mit mahnender Eindringlichkeit Respekt verschafft, wenn er die
Achtung vor dem Recht gefährdet sah.

Gestern intervenierte er erneut und schaltete sich in die Debatte
über innere Sicherheit und Terror-Bekämpfung ein. Es geht um die
Frage, wie weit der Staat in die Sphäre des Einzelnen eindringen
darf, um einen Verdacht zu verifizieren und Gefahr abzuwenden.

Anlass war die Verhaftung dreier mutmaßlicher Islamisten in Wien, die
im Internet mit dem Netzwerk Al Kaidas kommuniziert hatten. Von
politischer Seite wurde daraufhin die Forderung nach mehr Observanz
im Internet erhoben. Die Ermittler sollten quasi als digitale Streife
den Verkehr auf der Datenautobahn überwachen dürfen, sofern ein
Richter die Razzia freigibt. Bekanntlich hatten in Deutschland drei
verhaftete Islamisten ihre Pläne im "Entwurf"-Stadium, also gleichsam
im Tunnel des Daten-Highways, an Komplizen weitergeschickt.

Den Verfassungsjuristen Korinek erfüllt die Debatte mit Unbehagen. Er
fürchtet ein Brechen der Dämme. Die Grenze zum Überwachungsstaat
drohe überschritten zu werden. Er, Korinek, habe bisweilen den
Eindruck, die Bürger würden ähnlich stark überwacht "wie die
DDR-Bürger von der Stasi".

Zweifelsohne hat hier auch der Gerichtspräsident eine Grenzlinie
missachtet, jene von der begründeten Mahnung zum schrillen
Alarmismus. Der Vergleich heimischer Zustände mit dem
verbrecherischen Bespitzelungsapparat einer Diktatur, dem "Schild und
Schwert" der SED, ist haltlos und ahistorisch.

Es reicht, den beklemmenden, oscargekrönten Film "Das Leben der
Anderen" anzuschauen, um die Verwegenheit des Vergleichs zu ermessen.
Dort ging es um Überwachung, die Menschen systematisch unterjochte,
hier geht es um Überwachung, die Menschen schützen soll. Die
Motivlage ist diametral entgegengesetzt.

Dennoch - und da ist Korinek beizupflichten - darf sich das Motiv
nicht verselbständigen und über geltendes Recht erheben. Bürgerrechte
sind ein Gut westlicher, demokratischer Zivilität. Man kann diese
nicht verteidigen, indem man sie entkernt. Das wäre kein Sieg. Der
Staat muss beide Interessen im Gleichgewicht halten, ein Höchstmaß an
Sicherheit und den Schutz der Bürgerrechte. Es gibt in einer
Demokratie, die sich achtet, keine Alternative zu diesem Balanceakt.
Schwieriger als heute war er nie. ****

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