Ausgabe vom 22.09.2007
Wien (OTS) - Neuregelung des verpfuschten Kindergelds: Diese Woche
mangels Einigung im Ministerrat vertagt.
Legalisierung der ausländischen Pflegehelfer(innen): Kaum
finanzierbare, bürokratisch komplizierte Scheinlösung. Das
eigentliche Problem wurde durch Verlängerung der Amnestie vorerst
unter den Tisch gekehrt.
Schul- und Bildungsreform: Trotz heftiger OECD-Kritik auf die lange
Bank geschoben.
Neuordnung des Gesundheits- und Spitalswesens zwecks Verbesserung der
Qualität bei gleichzeitiger Kostensenkung: Nicht in Sicht. Dafür
kleinkarierter Streit über wirksame Maßnahmen gegen Raser und
Betrunkene auf unseren Straßen.
Die alte Platte also, und das ständige Abspielen macht die Klänge
nicht harmonischer. Paul Lendvai hat schon Recht, wenn er in seinem
eben erschienenen Buch über "Mein Österreich" die Regierungsparteien
mit zwei Skorpionen vergleicht, die einander in einer Flasche
gegenübersitzen.
Vor tödlichen Attacken - also der Flucht in Neuwahlen - scheuen sie
wohl nur deshalb zurück, weil sie wissen, dass dann beide keine
Überlebenschance hätten. Der Rückblick Lendvais auf "50 Jahre hinter
den Kulissen der Macht" erinnert aber auch daran, dass all das nicht
neu ist.
Die ständigen Attacken gegen den jeweiligen Partner in einer großen
Koalition haben Tradition. Manchmal hat der Koalitionskrieg zu
totaler gegenseitiger Lähmung aller Aktivitäten geführt. Derzeit
versuchen sich SPÖ und ÖVP durch Einzementieren ihrer ideologischen
Standpunkte zu profilieren. Auf der Strecke bleiben kreative
Lösungen, die Österreich voranbringen könnten.
Lässt man die 50 Jahre Revue passieren, die Lendvai in seinen
Erinnerungen beschreibt, dann wird eines bewusst: Aufbruchstimmung
hat es immer nur gegeben, wenn Persönlichkeiten wie Bruno Kreisky
(Liberalisierung und Öffnung des Landes) oder Alois Mock
(EU-Beitritt), Hannes Androsch in seiner ersten Phase als junger und
dynamischer Finanzminister oder "Wendekanzler" Wolfgang Schüssel
(Reformschub nach Erstarrung der Politik in der großen Koalition) den
Ton angaben.
Charakteristisch ist das Ende all dieser Epochen: Die in ihren
Glanzzeiten unumschränkten Herrscher ließen keine Kronprinzen
hochkommen, geschweige denn, dass sie selbst charismatische
Nachfolger aufgebaut hätten.
Musterbeispiel dafür ist Wolfgang Schüssel: Als er die Macht abgeben
musste, versuchte er, den vermeintlich attraktiven, aber inhaltlich
blutleeren und politisch instinktlosen Ex-Finanzminister Karl-Heinz
Grasser als Vizekanzler durchzudrücken. Die Partei sollte Andreas
Khol heute noch Hände und Zehen küssen, weil er als (fast) einziger
den Mut hatte, diesen Streich zu verhindern.
Kreative Lösungen sind in einer solchen Übergangsphase selten.
Hoffnung gibt es. "Die Bereitschaft zum Kompromiss war die
verbindende Brücke zwischen den Gründungsvätern der Zweiten
Republik", schreibt Paul Lendvai. Die Rolle der Gründungsväter haben
die Sozialpartner übernommen: "Eine große Koalition tut der
Sozialpartnerschaft immer gut", hat diese Woche ÖGB-Präsident Rudolf
Hundstorfer konstatiert.
Eine Rückkehr zu sozialpartnerschaftlich getragenen Kompromissen
könnte aus dem politischen Hickhack wieder in eine scheinbar
langweilige, aber inhaltlich konstruktive Phase führen. Wenn damit
zukunftsträchtige Lösungen in der Bildungs-, Gesundheits-, Sozial-
und Steuerpolitik verbunden sind, wäre diese Langweile gut zu
ertragen.
Skorpionen bei ihren Schaukämpfen zuzusehen, kann auf die Dauer ja
auch ziemlich langweilig werden.
Rückfragehinweis:
Vorarlberger Nachrichten
Chefredaktion
Tel.: 0664/80588382
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PVN