Die Politik muss mehr Geld bereitstellen - aber auch menschlichere Angebote - Ausgabe vom 6./7.6.2007
Wien (OTS) - Die meisten der Herrschaften, die heute im Parlament
beim munteren Parteienstreit um das Pflegepaket eine möglichst gute
Figur machen wollen, kennen das üble Geruchsgemisch von
Desinfektionsmittel und Fäkalien nicht, das die Zimmer mancher
Pflegeheime kennzeichnet. Sie wissen nicht, wie das tut, wenn der
Rücken wund gelegen ist. Sie kennen nicht die Hilflosigkeit, die
fortschreitende körperliche Gebrechlichkeit hervorbringt; und auch
nicht die Verzweiflung, die diejenigen befällt, die bemerken, wie sie
langsam verblöden.
Oder jene Verzweiflung, die jeden von uns befällt, wenn wir das alles
bei einem nahen Angehörigen beobachten und mit-leiden müssen.
Das tut niemand gerne, ob Politiker oder nicht. Aber wie die
Politiker delegieren wir das gerne: Bitte nicht zu nah dran sein an
dem Leid. Aber andererseits den lieben Verwandten doch in der Nähe
haben - abschieben ins Heim gilt ja als herzlos.
So ist dieser riesige Schwarzmarkt für Pflege erst entstanden: weil
es eben nicht selbstverständlich ist, dass ein aufopferungsbereites
(und im Klischee ebenso wie in der statistisch belegbaren Realität:
weibliches) Haushaltsmitglied vorhanden ist, an das der Rest der
Familie seine Pflicht zu pflegen delegieren kann, muss eine mehr oder
weniger professionelle Pflegerin aus dem nahen Ausland ran. Diese
auszubeuten fällt auch moralisch nicht so schwer wie die Ausbeutung
der eigenen Frau, Mutter oder Tochter.
So lange es finanzierbar ist.
Das ist es aber erstens eh nur für die finanziell Bessergestellten.
Und zweitens ist es rechtlich nicht okay - auch wenn die ÖVP jetzt
die Amnestie zeitlich erstrecken will, bedeutet dieses Instrument ja
nur Straffreiheit, nicht Legalisierung.
Dabei geht es um mindestens 20.000 Menschen, die mehr oder weniger
oft am Tag Hilfe brauchen - wobei fachliche Pflege nicht in allen
Fällen und nicht immer rund um die Uhr notwendig ist. Andererseits
brauchen viele so genannte Pflegefälle eine Betreuung rund um die
Uhr, ohne dass dies medizinisch indiziert wäre.
Das haben, wie gesagt, früher Frauen in Großfamilien mit übernommen -
heute ist das irgendwie eine gesellschaftliche Aufgabe geworden.
Eine, die auf einem anderen Qualitätsniveau erbracht werden muss. Es
ist wohl wahr, was die ÖVP sagt: Es brauchen viel, viel mehr Menschen
mehr finanzielle Hilfe, als dies auf politischer Ebene derzeit
bewusst ist.
Es ist aber ebenso wahr, was die SPÖ argumentiert: Durch die dauernde
Tolerierung des unhaltbaren Zustands der Ausbeutung ausländischer
Hilfskräfte ist das auf die Dauer nicht machbar. Und es ist schon gar
nicht sinnvoll, hier eine besondere Kategorie von "selbstständigen"
Pflegekräften zu erfinden - das wären nur prekär beschäftigte "freie
Dienstnehmer" (genauer: Dienstnehmerinnen) mit bescheidenen eigenen
sozialen Rechten und künftiger eigener Armutgefährdung.
Was muss also getan werden? Jedenfalls braucht man mehr Geld - und
der Vorschlag der Caritas, dies erst einmal bei Bund und Ländern
zusammenzukratzen und in einen Pflegeausgleichsfonds einzubringen,
ist technisch gesehen ein richtiger Schritt.
Menschlich geht es aber um mehr: Erstens gehört der Mief heraus aus
den schlimmsten der Pflegeheime - die brauchen einen menschenwürdigen
Standard. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die so genannten
Pflegefälle und ihre Familien die Angst vor dem Heim verlieren - nur
wenn Heime als Lebensraum attraktiv und in eine lebendige Umgebung
eingebettet sind, werden sie als Alternative zur Pflege zuhause
überhaupt angenommen.
Dazu kommt, dass die Alternative Pflegeheim/Pflege daheim zu scharf
gezeichnet ist: Was die Politik leisten muss, ist ein genauerer Blick
auf den Bedarf, der etwa durch betreute Wohnformen (die billiger als
Heime und erst recht als persönliche 24-Stunden-Betreuung sind)
abgedeckt werden könnte. Und dann muss sie entschlossen diese
Angebote schaffen.
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