Wien (PK) - Die Bundesstelle für Sektenfragen fungierte auch im Jahr
2005 als wichtige Informations- und Beratungsstelle rund um das Thema
Sekten. Das geht aus dem jüngsten Bericht der Sektenstelle hervor,
der vor kurzem von Familienministerin Andrea Kdolsky dem Nationalrat
übermittelt wurde (III-60 d.B.). Insgesamt konnte die Sektenstelle -
neben ihrer allgemeinen Recherche- und Informationsarbeit - 5.279
fachspezifische Kontakte, 1.789 anfragende Personen und 623
Beratungsfälle verzeichnen.
An den Befunden aus den vorangegangenen Jahren änderte sich dem
Bericht zufolge wenig. Nach wie vor ist eine immer weitere
Zersplitterung der weltanschaulichen Szene in verschiedene
Organisationen, kleine Gruppierungen und EinzelanbieterInnen zu
beobachten, was den Markt zunehmend unüberschaubar macht. Vor allem
der Esoterik-Markt boomt und stößt in der Bevölkerung auch auf breite
Akzeptanz, was, wie die Autoren des Berichts festhalten, eine
explizit kritische Auseinandersetzung damit oftmals schwierig macht.
Überdies sind die Betroffenen fast immer volljährige und mündige
Erwachsene.
In Zusammenhang mit dem Esoterik-Bereich macht der Bericht auch auf
die Problematik von Doppelqualifikationen aufmerksam, also auf Fälle,
wo Personen über eine seriöse und fachlich anerkannte Ausbildung z.B.
im psychosozialen oder medizinischen Bereich verfügen und sich
daneben gleichzeitig für esoterisches Gedankengut und dazugehörige
Praktiken engagieren. Für KundInnen und KonsumentInnen sei eine
deutliche Trennung zwischen den beiden Rollen kaum möglich, meinen
die Autoren, die Seriosität und Qualität im Grundberuf scheine häufig
auf den esoterischen Bereich übertragen zu werden. Sie beobachten
überdies eine zunehmende Kommerzialisierung bei esoterischen
Angeboten, wobei etwa Gesundheit und Heilung ebenso wichtige Themen
sind wie allgemeines Wohlbefinden und Erlebnischarakter.
Anfragen zu 303 verschiedenen Gruppierungen
Die zunehmende Zersplitterung der weltanschaulichen Entwicklung
spiegelt sich auch in den Anfragen an die Sektenstelle wider. So
wurden im Jahr 2005 zu immerhin 303 verschiedenen Gruppierungen
Erkundigungen eingeholt. Darunter befanden sich allerdings auch
gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgemeinschaften wie die
Evangelische Kirche und die Mormonen sowie staatlich eingetragene
religiöse Bekenntnisgemeinschaften wie Baha'i. Am meisten Anfragen
gab es zu Scientology (176), der Guru-Bewegung Sahaja Yoga (172) und
dem Themenkomplex Esoterik (157), aber auch (vermeintliche)
Satanismus-Aktivitäten und die Zeugen Jehovas lösten großes Interesse
aus. Neu unter den 20 am häufigsten angefragten Gruppierungen waren
etwa das Forum Religionsfreiheit (FOREF) und "Human Design System".
Der Spitzenplatz von Scientology im Anfragen-Ranking der Sektenstelle
ist nicht neu. Schon seit Jahren rangiert die Gruppierung im
Spitzenfeld, wobei nicht zuletzt das breite Medienecho auf die
Veröffentlichung des Buches "Scientology: Wahn und Wirklichkeit"
eines ehemaligen Scientology-Mitglieds im Jahr 2005 den
Bekanntheitsgrad der Organisation in Österreich weiter hoch gehalten
haben dürfte. Seit Ende des Jahres 2004 gibt es mit "Narconon Tirol"
außerdem auch in Österreich ein von Scientology betriebenes
Selbsthilfezentrum für Drogenkranke, wobei die Erfolgswirksamkeit der
angewandten Methoden vielfach angezweifelt wird.
Das Phänomen "Satanismus" stellt sich dem Bericht zufolge in
vielfältigen Formen dar. So können sich unter dem Etikett u.a.
okkulte, neugnostische, antikirchliche, antichristliche,
neuheidnische, aber auch rechtsextreme Traditionen und Ansichten
versammeln, wobei die Beschäftigung von Jugendlichen mit
satanistischen Themen den Autoren zufolge häufig Protestverhalten
oder Hilferuf ist. Entsprechendes Verhalten müsse daher in jedem
einzelnen Fall ernst genommen werden, bekräftigen sie, auch wenn, wie
der Bericht festhält, viele der Sektenstelle gemeldete Beobachtungen
über Satanismus häufig einer tiefer gehenden Exploration nicht
standhalten.
In Österreich noch ein Randphänomen ist laut Bericht der so genannte
"Vampirismus", wobei - neben der Praxis des Bluttrinkens - auch die
oftmals unverhohlene Verherrlichung von Gewaltakten z.B. bekannter
Serien- und Massenmörder als problematisch gewertet wird.
Ausdrücklich heben die Autoren auch die hohe Bedeutung des Internet
für die Verbreitung und Propagierung des Satanismus und seiner
Spielarten hervor.
In Bezug auf die seit 1998 eingetragene religiöse
Bekenntnisgemeinschaft "Jehovas Zeugen" merkt der Bericht an, dass
eine Reihe von Menschen hier durchaus ein gewisses Konfliktpotential
wahrnimmt. So wird immer wieder vom Verlust von familiären und
freundschaftlichen Beziehungen nach einem Bruch mit der Gemeinschaft
berichtet. Gleichzeitig verweisen die Autoren allerdings auf ein
Urteil des Berliner Oberverwaltungsgerichtes vom März 2005, das viele
vorgebrachte Bedenken gegen die Zeugen Jehovas als nicht belegbar
wertete und feststellte, dass die Gemeinschaft die Voraussetzungen
für die Verleihung der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts
erfüllt. Bezüglich der österreichischen Rechtslage haben die Zeugen
Jehovas 2005 den Europäischen Menschengerichtshof (EGMR) angerufen,
weil sie sich gegenüber den gesetzlich anerkannten Kirchen und
Religionsgemeinschaften benachteiligt fühlen.
Als relativ neues Phänomen in der weltanschaulichen Szene Europas
werten die Autoren die Präsenz afroamerikanischer Religionen wie
Voodoo, Candomble, Umbanda, Macumba und Santeria, wobei als
gemeinsames Merkmal die Verehrung von Geistwesen genannt wird, die
zumeist durch speziell ausgebildete Medien in Trance empfangen
werden. Diese Geistwesen werden häufig durch katholische Heilige
symbolisiert. Zudem handelt es sich durchwegs um Gemeinschaften, in
die man eingeweiht werden muss.
Kritisch setzt sich der Bericht schließlich mit Seminar- und
Trainingsangeboten auf dem Lebenshilfemarkt im Allgemeinen und mit
"Familienstellen nach Bert Hellinger" im Speziellen auseinander.
Überdies wird auf die Vereinnahmung der Tsunami-Katastrophe im
Dezember 2004 durch eine Vielzahl von Gruppierungen und das
gestiegene Interesse an (Welt-)Verschwörungstheorien verwiesen.
Großes Interesse am Beratungsangebot der Sektenstelle
Großes Interesse herrscht nach wie vor auch am professionellen
Beratungsangebot der Bundesstelle für Sektenfragen. Es wurde von 623
Personen (349 Frauen und 274 Männer) in Anspruch genommen, wobei im
Jahr 2005 erstmals jene Personen die größte Kategorie darstellten,
die im beruflichen Kontext Hilfestellung benötigten, also etwa
Entscheidungen über Kindeswohl, Obsorge oder Besuchsrechte treffen
mussten. Aber auch Familienangehörige, Bekannte und
ArbeitskollegInnen von - vermeintlichen - Sektenopfern wandten sich
häufig mit dem Wunsch nach psychosozialer Beratung an die
Sektenstelle. 90 Personen suchten in eigener Sache um Rat und Hilfe,
etwa um ihre Situation kritisch zu reflektieren oder um über negative
persönliche Erfahrungen zu berichten und diese aufzuarbeiten. Nicht
zuletzt aus geographischen Gründen kamen die meisten Beratungsfälle
aus Wien und Niederösterreich.
Für Betroffene erleichtert wird die Kontaktaufnahme mit der
Bundesstelle für Sektenfragen dadurch, dass Verschwiegenheit,
Sachlichkeit und Datenschutz zu den wichtigsten Kriterien der
Informations- und Beratungstätigkeit zählen. Dem Wunsch anfragender
Personen nach Anonymität wird stets entsprochen. Zu den
Grundprinzipien der Arbeit der Sektenstelle gehören aber auch
Toleranz gegenüber allen Glaubensgemeinschaften und Weltanschauungen,
die Achtung von Grundfreiheiten und Menschenrechten einschließlich
der Glaubens-, Religions- und Gewissenfreiheit sowie das Bemühen,
Vorurteile abzubauen.
Über die Informations- und Beratungstätigkeit hinaus stand auch im
Jahr 2004 das Sammeln und Dokumentieren von Informationen im
Mittelpunkt der Tätigkeit der Sektenstelle. So umfasst etwa die
Fachbibliothek mittlerweile bereits 3.639 Bände. Zudem wurden wieder
Fachgespräche mit unterschiedlichen Zielgruppen, Veranstaltungen und
Vorträge angeboten sowie das InfoService weitergeführt.
Als österreichweite zentrale Servicestelle steht die Bundesstelle für
Sektenfragen allen Bürgerinnen und Bürgern, privaten Institutionen
und staatlichen Einrichtungen zur Verfügung. Das Büro der Stelle ist
werktags von Montag bis Freitag von 9 Uhr bis 18 Uhr durchgehend
besetzt, darüber hinaus sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter per
e-mail (bundesstelle@sektenfragen.at) und - zwischen 10 Uhr und 17
Uhr - telefonisch (01/513 04 60) erreichbar. (Schluss)
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