- 12.01.2007, 17:00:00
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"Vorarlberger Nachrichten" Kommentar: "Ins Ziel gestolpert" (Von Kurt Horwitz)
Ausgabe vom 13.01.2007
Wien (OTS) - Berauschend war dieser Start beileibe nicht. Die 2000
Demonstranten, die den "Umfaller-Kanzler" nach der Angelobung auf dem
weitläufig abgesperrten Ballhausplatz mit einem Pfeifkonzert
empfingen, waren dabei noch das geringste Übel. In seiner Jugend wäre
wohl auch Gusenbauer unter den Protestierenden gewesen.
Viel mehr zu denken gibt, wie unvorbereitet die SPÖ in diese
Regierung gestolpert ist und wie chaotisch Personalentscheidungen
getroffen wurden.
Glaubt man seiner Mutter, so hatte Alfred Gusenbauer schon in der
Sandkiste nur einen Berufswunsch: Er wollte Bundeskanzler werden.
Seit dem Wahltag vor drei Monaten weiß er, dass dieser Traum in
Erfüllung gehen konnte.
Trotzdem gab der SP-Chef Claudia Schmied nur gerade einmal eine halbe
Stunde Zeit, um sich zu entscheiden, ob sie Bankdirektorin bleiben
oder Ministerin werden will. Sie sagte zu und ist jetzt Bildungs- und
Kunstministerin. Viel Glück - und möge es im Interesse unserer Jugend
und der Kultur kein böses Erwachen geben.
Personalentscheidungen auf diese Weise zu treffen, zeugt in hohem Maß
von mangelnder Teamfähigkeit, von chaotischem Führungsstil und von
eklatantem Mangel an Planung. Das Fehlen jedes personellen und
inhaltlichen Konzepts erklärt auch, warum die ÖVP ihren
Koalitionspartner so über den Tisch ziehen konnte.
Die öffentlichkeitswirksamen Schlüsselressorts Finanzen, Innen- und
Außenpolitik sowie das Wirtschaftsministerium zu besetzen, der SPÖ
das unpopuläre Verteidigungsministerium aufs Auge zu drücken und dem
roten Sozialminister die milliardenschweren Familienagenden
wegzunehmen: Das war eine Meisterleistung von Wolfgang Schüssel.
Diese Niederlagen werden Gusenbauer noch mehr schmerzen als seine
unerfüllbaren Wahlversprechen zu Eurofightern und Studiengebühren.
Zu denken geben muss auch, dass Schüssel offenbar bis zur letzten
Minute versucht hat, die SPÖ zu überfahren. Die Hoffnung des
VP-Chefs, dass die Sozialdemokraten Karl-Heinz Grasser als
Vizekanzler nicht akzeptieren können und aus der Koalition
abspringen, ist nur am Veto aus seiner eigenen Partei gescheitert.
Bedauerlich ist das nicht, am allerwenigsten für die ÖVP: Grasser ist
zwar ein überaus bunter und schillernder Vogel, aber ein
unberechenbarer Selbstdarsteller mit zweifelhaften Vorstellungen von
politischer Moral. Ein Parteichef Molterer unter einem Vizekanzler
Grasser wäre absurd gewesen.
Was die Sacharbeit anlangt, ist vorerst noch fast alles offen. Das
Regierungsprogramm wirkt wie schnell zusammengeschusterter Pfusch. Es
ähnelt darin den Personalentscheidungen auf SPÖ-Seite. Genaueres wird
man daher erst wissen, wenn die von der Regierung geplanten
Expertengruppen ihre Vorschläge unterbreiten.
Die von Wolfgang Schüssel als Teil seiner "Wende-Politik"
entmachteten Sozialpartner könnten damit wieder zu Einfluss kommen.
Wenn sie ihn verantwortungsbewusst nützen, könnte das ein Gewinn
sein. Experten müssen ja nicht gewählt werden und können daher auch
unpopuläre, aber vernünftige Vorschläge machen.
Problematisch könnte es werden, falls dem ins Ziel gestolperten
SPÖ-Chef die neue Macht zu Kopf steigt. Wenn Gusenbauer das
Kanzleramt mit dem Sandkasten seiner Jugend verwechselt und fehlende
Konzepte durch Show-Auftritte ersetzt, wird er scheitern.
Die von der SPÖ versprochene und von der ÖVP in den
Koalitionsverhandlungen verhinderte Wende von der Wende wird es dann
nicht geben. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Es würde auch
nicht zu den dringend notwendigen Reformen in der Verwaltungs-,
Verfassungs- und Steuerpolitik kommen, die die letzte Regierung
verschlafen hat.
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