• 22.11.2006, 18:46:50
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Ein König der Wiederaufbauzeit Festakt für Karl Waldbrunner im Hohen Haus

Wien (PK) - Mit einem Festakt beging das Parlament heute den 100.
Geburtstages des ehemaligen Nationalratspräsidenten und Ministers
Karl Waldbrunner. Aus diesem Anlass wurden von
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer zahlreiche prominente Gäste
und Weggefährten des Jubilars in das Hohe Haus geladen, an der Spitze
Bundespräsident Heinz Fischer. Im Rahmen des Gedenkens an die
Wiederkehr des 100. Geburtstages von Karl Waldbrunner wurde auch im
Eingangsbereich des Besucherzentrums des Hohen Hauses ein
Sonderpostamt eingerichtet.

Nationalratspräsidentin Prammer begrüßte eingangs eine Menge
erlesener Ehrengäste, darunter zahlreiche ehemalige Mitglieder der
Bundesregierung sowie eine Vielzahl ehemaliger und aktiver
Abgeordneter und Mitglieder des Bundesrates. Sie würdigte Waldbrunner
als eine Persönlichkeit, die in ihren vielen öffentlichen Ämtern die
Nachkriegszeit in Österreich wesentlich mitgestaltet habe. Er baute
Österreichs Infrastruktur wieder auf und in der Folge maßgeblich aus
und nahm zahlreiche wichtige Weichenstellungen vor.

Prammer ging auch auf das parlamentarische Wirken Waldbrunners ein
und verwies dabei insbesondere auf die schwierigen Bedingungen
während seiner Zeit als Nationalratspräsident, da es einerseits eine
Minderheitsregierung, andererseits eine Teilaufhebung der
Nationalratswahl vom März 1970 gegeben habe. Dass diese Situation
erfolgreich gemeistert werden konnte, sei auch der Umsicht und
Besonnenheit Waldbrunners zu verdanken, meinte die Präsidentin, die
sich sodann mit einzelnen Stationen im Leben Waldbrunners
auseinandersetzte.

Bundespräsident Heinz Fischer erinnerte am Anfang seiner Festrede
daran, dass das Wissen um die jüngere Geschichte des Landes von
großer Bedeutung sei, und daher der Einfluss und die Verdienste Karl
Waldbrunners nicht hoch genug eingeschätzt werden könne. Mit bewegten
Worten schilderte Fischer seine persönlichen Eindrücke und seine
Erinnerungen an den Jubilar, die in das Jahr 1957 zurückreichen, als
Fischers Vater, Rudolf Fischer, Präsidialchef im Bundesministerium
für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft wurde, welches Waldbrunner
leitete. Für Waldbrunner war es auch bezeichnend, dass er sich für
Hochschulfragen interessierte, eine Eigenschaft, die junge,
engagierte Studenten wie Karl Blecha, Hannes Androsch oder er,
Fischer, besonders zu schätzen wussten.

Bei Weichenstellungen in der österreichischen Innenpolitik wie der
Olah-Krise 1964 oder der absoluten ÖVP-Mehrheit 1966 habe Waldbrunner
souveräne und vorausblickende Analysen angestellt, meinte Fischer,
der auch Waldbrunners "strategische Partnerschaft mit Kreisky"
ansprach, die von einer großen persönlichen Wertschätzung getragen
war. Karl Waldbrunner war einer - so der Bundespräsident abschließend
-, "der eine Meinung vertreten hat, die hielt" und der genau den
Unterschied zwischen "Freundschaft und Freunderlwirtschaft" kannte.

Der ehemalige Vizekanzler Hannes Androsch wies darauf hin, dass
Waldbrunners Lebenszeit nahezu ident mit jener Epoche gewesen sei,
die Eric Hobsbawm das "Zeitalter der Extreme" und das "kurze
Jahrhundert" genannt habe. Geprägt von den Ereignissen der ersten
Hälfte dieser Zeitspanne konnte er die zweite auch mitgestalten und
die Bedingungen maßgeblich verbessern, weshalb es ihm, Androsch, ein
Anliegen sei, die Tätigkeit Waldbrunners im Rahmen dieser
Veranstaltung gebührend zu würdigen.

Waldbrunner sei eine ganz wichtige Persönlichkeit gewesen, von dessen
Erfahrungen, Ratschlägen und Handlungen man viel habe lernen können.
Mit all seinem Tun habe Waldbrunner die Entwicklung der
demokratischen Republik prägend mitgestaltet, hielt Androsch fest,
der besonders an Waldbrunners Verdienste um die heimische
Infrastruktur und ganz wichtiger Teile der österreichischen Industrie
erinnerte. Waldbrunner sei nicht nur eine Persönlichkeit von höchstem
Verantwortungsgefühl gewesen, sondern habe sich auch stets um
Ausgleich bemüht. Entsprechend beeindruckend sei die Erfolgsbilanz,
die Waldbrunner hinterlassen habe, schloss Androsch.

Karl Waldbrunner 1906-1980

Mit Karl Waldbrunner kam im März 1970 erstmals seit März 1933 wieder
ein Mitglied der Sozialdemokratie auf den Präsidentensessel des
Nationalrats. Wenngleich er dort nur 20 Monate residierte, leitete er
damit eine langjährige Entwicklung ein, stammten doch von 1970 bis
2002 alle Nationalratspräsidenten aus den Reihen der SPÖ, und auch
seit Oktober 2006 stellt die SPÖ wieder die Präsidentin des
Nationalrates.

Waldbrunner wurde am 25. November 1906 in Wien geboren. Nachdem er
die Realschule absolviert hatte, begann Waldbrunner an der
Technischen Hochschule Elektronik zu studieren. Er trat der
Sozialdemokratischen Partei bei und wurde alsbald führender
Funktionär der Sozialistischen Studenten. Wiewohl Waldbrunner als
Diplomingenieur eine ausgewiesene Fachkraft war, fand er im
Österreich der Weltwirtschaftskrise keine Arbeit und emigrierte daher
in die Sowjetunion, wo er als leitender Ingenieur tätig war. Erst
1937 gab es für ihn auch in Österreich wieder einen Posten, und bis
1945 war Waldbrunner in leitender Funktion bei den Stahlwerken
Schoeller-Bleckmann beschäftigt.

Die Kontakte zur Sozialdemokratie hatte Waldbrunner nie abreißen
lassen, und so verwundert es nicht, dass Karl Renner ihn im April
1945 als Unterstaatssekretär für Industrie, Gewerbe, Handel und
Verkehr in sein Kabinett holte. Nach den ersten freien Wahlen der
Zweiten Republik - bei welchen Waldbrunner in den Nationalrat gewählt
wurde - avancierte Waldbrunner zum Staatssekretär für
Wirtschaftsplanung. Dieses Amt übte er allerdings nur drei Monate
lang aus, ehe er im März 1946 als österreichischer Botschafter nach
Moskau ging, um dort Wege und Möglichkeiten zur Erlangung eines
Staatsvertrages für Österreich auszuloten.

Nach den Neuwahlen kehrte Waldbrunner nach Österreich zurück und
wurde im November 1949 Minister für Verkehr und verstaatlichte
Betriebe, was er bis Dezember 1962 bleiben sollte. In jener Zeit
sprachen Kommentatoren gerne vom "Königreich Waldbrunner", stand er
doch über 13 Jahre lang dem Herzstück der österreichischen Industrie
vor. Betriebe wie die VÖESt galten als internationale Visitkarte
Österreichs, das "LD-Verfahren" genoss Weltachtung, und das
Wirtschaftswunder war zu einem nicht geringem Teil der Leistung der
österreichischen Verstaatlichten zu verdanken. Kein Wunder, dass
Waldbrunner große Popularität genoss.

Diese spiegelte sich auch in seinem innerparteilichen Aufstieg wider,
wurde Waldbrunner doch stellvertretender Parteiobmann der SPÖ und
Bundesobmann des BSA. Ab 1960 war er überdies Präsident der Konferenz
der Europäischen Verkehrsminister.

Im Dezember 1962 schied Waldbrunner aus der Regierung aus und wurde
in der Nachfolge von Friedrich Hillegeist Zweiter Präsident des
Nationalrates. Im März 1970 krönte sich seine Karriere mit dem
zweithöchsten Amt im Staate, welches er bis zum Ende der
Legislaturperiode im November 1971 bekleidete, ehe er sich 65jährig
aus der Politik zurückzog. Waldbrunner starb am 5. Juni 1980 in Wien.

In seinem Wirken vereinigten sich technische Intelligenz und
Wirtschaftskompetenz, die er vor allem als Minister im öffentlichen,
verstaatlichten Sektor geltend machte. Innerparteilich sowie als
Zweiter und Erster Präsident des Nationalrats oder als Erster
Vizepräsident der Oesterreichischen Nationalbank erwies er sich als
stabilisierender politischer Faktor, der entscheidend an Österreichs
Weg zum Wohlstand mitwirkte.

Im Anschluss an die Festreden wurde ein von Elisabeth Stenitzer
gestaltetes Filmporträt Waldbrunners gezeigt, für die musikalische
Umrahmung des Festakts sorgte das Nexus Quartett mit seinen
Darbietungen.

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie - etwas
zeitverzögert - auf der Website des Parlaments im
http://www.parlament.gv.at/pls/portal/url/PAGE/SK/FOTOALBUM/:
http://www.parlament.gv.at.(Schluss)

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