- 30.08.2006, 18:22:24
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DER STANDARD-Kommentar "Unbescheidener Präsident" von Conrad Seidl
"Verzetnitschs finanzielle Forderungen sind typisch für das System"
Wien (OTS) - "Menschen, die ihrem Unternehmen ein Leben lang
gedient hätten und damit einen maßgeblichen Anteil am Aufbau der
Republik getragen hätten, würden jetzt 'um ihre zugesicherten und
ehrlich verdienten Leistungen betrogen‘". Daher würden Gewerkschaft
und Arbeiterkammer mit einer Verbandsklage die betroffenen
Pensionisten und Arbeitnehmer unterstützen.
Nein, diese Aussage bezieht sich nicht auf die 2652 Arbeitnehmer und
Pensionisten, die um ihre Ansprüche aus teilweise jahrzehntelanger
Arbeit als hauptamtliche ÖGB-Mitarbeiter zittern müssen - und schon
gar nicht auf deren ehemaligen Chef Fritz Verzetnitsch, der seine
Ansprüche nach 36 Dienstjahren auf die Kleinigkeit von 800.000 Euro
hochrechnet.
Das einleitende Zitat ist vielmehr 18 Jahre alt. Es stammt aus einer
Zeit, als der ÖGB noch eine schlagkräftige Kampforganisation war,
deren oberste Priorität die Verteidigung der Ansprüche seiner
Mitglieder war. Heute aber muss die Organisation selbst um ihr
Überleben kämpfen - ein Betrag von 800.000 Euro scheint dem einst als
unermesslich reich geltenden Gewerkschaftsbund tatsächlich wehzutun.
Noch mehr zu schmerzen scheint, dass durch den Streit mit dem
Ex-Präsidenten der Eindruck entsteht, dass es sich in der Zentrale
des ÖGB ein paar superreiche Bonzen richten können. Dass mit dem
daraus abgeleiteten Neidgefühl in Österreich gut Politik zu machen
ist, versteht nicht nur die ÖVP-Arbeitnehmerorganisation ÖAAB (die
bemüht ist, sich als Alternative zur Gewerkschaft zu profilieren),
man weiß es in der Gewerkschaftsorganisation selbst nur allzu gut.
Für jene, die über dem Durchschnitt verdienen, ist wenig Solidarität
zu erwarten - das war schon seinerzeit so, als in der
österreichischen Öffentlichkeit Unverständnis für die Arbeitskämpfe
von Piloten und Beamten herrschte, weil "die doch eh gut verdienen".
Gewerkschaftsarbeit ist aber Arbeit für alle Arbeitnehmer, nicht nur
für die allerärmsten unter ihnen. Und Gewerkschaftsarbeit, die
hauptberuflich ausgeübt wird, gehört auch gut bezahlt. Aber das traut
man sich kaum deutlich zu sagen. Daraus ist ja die
geheimnisumwitterte Konstruktion entstanden, nach der man dem
Gewerkschaftspräsidenten zwei Einkommen (jeweils zwischen 7500 und
8000 Euro aus Nationalrats- und ÖGB-Tätigkeit) zubilligte. Und ein
schönes, preisgünstiges Penthouse dazu.
Und weil die Einzelbeträge eben nicht zu hoch erscheinen sollten,
sind dann auch noch betriebliche Pensionszusagen dazugekommen - nicht
nur für den Präsidenten, bei dem sie besonders hoch waren. Bei
Verzetnitsch wird das Arbeitsgericht zu klären haben, ob die
Ansprüche zu Recht bestehen.
Bei seinen früheren Mitarbeitern sind die Pensionszusagen derzeit
Gegenstand eines gewerkschaftsinternen Tauziehens zwischen ÖGB und
Betriebsrat. Dahinter steckt System: Die Idee, Beschäftigten relativ
wenig zu zahlen, das aber bis ans Lebensende, ist ja eine in
Österreich sehr populäre. Nach diesem Muster sind viele
Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen gestrickt, da wirkt man im
Augenblick sehr bescheiden.
Man muss aber, wenn sich die Verhältnisse ändern, um seine Ansprüche
bangen. Das betrifft derzeit eben 2652 (ehemalige) ÖGB-Mitarbeiter -
in ähnlicher Weise, wie es seinerzeit, in den Achtzigerjahren, die
Mitarbeiter aus der verstaatlichten Industrie tun mussten. Ihnen war
- ehe man überfallsartig die Betriebspensionen kürzte - jahrelang
eingeredet worden, dass sie auf unsinkbaren Schiffen Dienst täten.
Dass sich solche Illusionen plötzlich auflösen können, ist
Gewerkschaftern in schmerzlicher Weise bewusst. Daher noch ein Zitat,
diesmal aus dem Jahr 1993 und bezogen auf die Zusatzpensionen bei
Gerngross: "Wir werden uns gemeinsam gegen den Griff in die Taschen
der Pensionisten zur Sanierung eines Unternehmens wehren." Aber das
funktionierte damals, im Umfeld der Konsum-Pleite, auch schon nicht
mehr recht.
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Der Standard
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