Wien (OTS) - Am Montag präsentierte Franz Schnabl, Präsident des
Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs, im Rahmen einer Pressekonferenz
in Wien ein 10 Punkte-Programm zur Lösung des Pflegenotstandes in
Österreich. "In den Bereichen Pflege und Altenbetreuung bestehen in
Österreich akute Probleme, die man angesichts des Mangels an
umfassenden Lösungsvorschlägen hinsichtlich Personal, rechtlicher
Situation und Finanzierung berechtigterweise als ,Pflege-Notstand’
bezeichnen kann", erklärt Schnabl die Ausgangssituation.
Nach den Worten des Samariterbund-Präsidenten bestehen folgende
Problemstellungen:
- Fehlende Personalressourcen für die stationäre und für die
häusliche Pflege. Österreich ist europäisches Schlusslicht bei der
Anzahl von qualifiziertem Pflegepersonal (Quelle: WHO). Zum
Vergleich: Finnland verfügt über 21,7; Norwegen über 20,7; Dänemark
über 13,5; Deutschland über 9,5 und Österreich über 5,8
Pflegepersonen pro 1.000 EinwohnerInnen.
- Qualifiziertes Pflegepersonal ist im europäischen Vergleich sehr
schlecht bezahlt. Tschechische, polnische oder slowakische
PflegerInnen gehen eher z.B. nach Großbritannien, wo wesentlich
höhere Einkommen als in Österreich zu erzielen sind. Im Gegensatz
dazu wurde in Österreich tw. sogar ein Absenken der
Einkommensmindestgrenze auf Euro 1.200.- in die Diskussion
eingebracht (vgl. Wirtschaftsminister Martin Bartenstein).
- Die Begrifflichkeit ist im Sprachgebrauch irreführend, was an der
derzeitigen Diskussion deutlich erkennbar ist: Es wird nicht zwischen
Unterstützungstätigkeiten und "echter" Pflegeleistung, die eine
entsprechende Qualifikation voraussetzt, unterschieden.
- Pflege zu Hause wird bei weitem nicht ausreichend finanziell
unterstützt. Pflegende Angehörige, die mangels finanzieller
Möglichkeiten und wegen fehlendem Personals die Hilfe ausländischer
PflegerInnen in Anspruch nehmen, machen sich strafbar und werden
kriminalisiert.
- Es fehlen bundeseinheitliche Qualitätsstandards für Betreuung und
Pflege sowie entsprechendes Controlling zugunsten der
Qualitätssicherung.
- Es fehlt an ausreichendem, kostenlosem Schulungsangebot für
betreuende Angehörige.
- Es mangelt an einem ausreichenden Informationsmanagement.
- Es bestehen uneinheitliche Richtlinien betr. Anerkennung
ausländischer Diplome und Qualifikationsnachweise.
- Es bestehen unterschiedliche und teilweise mangelhafte Konzepte
für die Einrichtung von Betreuungsplätzen.
- Es mangelt an einer nachhaltigen Finanzierungssicherung:
kurzfristig hinsichtlich des derzeit benötigten Umfanges an
Betreuungs- und Pflegeleistung und langfristig hinsichtlich des
abschätzbaren Aufkommens dafür in der Zukunft. Es fehlt akut an
Pflegekräften und an nachhaltigen Finanzierungskonzepten.
Im Bundesländer-Vergleich sind die aufgezeigten Probleme
unterschiedlich ausgeprägt. Was die Leistungen (z.B.: keine
Selbstbehalte) und Angebote (Dienste und Pflegeplätze, betreutes
Wohnen, Betreuung zu Hause, etc.) betrifft, ist Wien als positives
Beispiel hervorzuheben.
Festzuhalten ist, dass pflegebedürftige Menschen Anspruch auf
Unterstützung und Pflege haben, unabhängig von Ihrer Einkommens- und
Vermögenssituation. Pflege darf keine Sache des Geldes sein.
Anzeigen und Strafen sind im entwickelten Sozialstaat keine Antwort
auf eine Problematik, die uns alle betrifft. Menschen, die sich in
Fürsorge um Ihre pflegebedürftigen Verwandten derzeit keinen anderen
Ausweg wissen, als illegale Hilfe anzunehmen, dürfen nicht
kriminalisiert werden.
Es muss darum gehen, raschest tragfähige und leistbare Lösungen zu
finden - die Problematik auf die lange Bank zu schieben, ist nicht
akzeptabel. Die Politik ist gefordert, umgehend Lösungen zu finden -
und zwar sowohl zur kurzfristigen Entschärfung der Situation, als
auch im Hinblick auf nachhaltige Zukunftskonzepte. Denn die Situation
verschärft sich de facto täglich: aufgrund der demografischen
Entwicklung wie auch wegen der Abnahme an Personalressourcen.
Bisher kolportierte Vorschläge wie eine "Au pair-Lösung", die Senkung
des Mindesteinkommens oder eine Adaptierung des
Hausangestelltengesetzes sind keine tragfähigen Ansätze, diese
Herausforderungen jetzt und in Zukunft zu bewältigen.
Das Samariterbund-Maßnahmenpaket: 10 Punkte zur Lösung
Sofortmaßnahmen:
1. Keine Kriminalisierung der Betroffenen.
Bis zur rechtlichen Neuregelung des gesamten Pflegevorsorgebereiches
muss einerseits bei derzeitigen und möglichen künftigen
Strafverfahren mittels behördlicher Ermahnung von einer Bestrafung
abgesehen werden.
2. Sofortige Erhöhung des Pflegegeldes mit Zweckbindung.
Gefordert wird zumindest eine Valorisierung auf Basis der
Inflationsanpassung zwischen der letzten und der vorletzten Erhöhung
(entspricht einer Anhebung um ca. 10%), um der tatsächlichen
Kostenentwicklung näher zu kommen. Ab Stufe 5 ist das Pflegegeld um
etwa 40% anzuheben - mit Zweckbindung des Erhöhungsbetrages an die
Inanspruchnahme qualifizierter Pflegekräfte im Rahmen legaler
Beschäftigungsverhältnisse (siehe auch 3.).
3. Sofortige Einführung einer Sonderquote für ausländische
PflegeheferInnen.
Die entstehenden Mehrkosten bei Beschäftigung nach den bestehenden
österreichischen Regelungen sollten einerseits aus der Erhöhung des
Pflegegeldes und für Personen ab der Pflegegeldstufe 5 durch
Sonderbeiträge aus dem bestehenden Fonds getragen werden.
Mittel- und langfristige Maßnahmen:
4. Einführung einer staatlichen Volksfürsorgeversicherung.
Die Finanzierung soll nicht aus einer weiteren Belastungen des
Faktors Arbeit resultieren, sondern aus einer Verbreiterung des
Beitragsaufkommens. In mehreren europäischen Staaten - wie z.B. in
Norwegen oder Malta - werden sämtliche erforderlichen
Pflegeleistungen aus einer staatlichen Volksfürsorgeversicherung in
vollem Umfang abgedeckt, wobei ein Selbstbehalt des
Pflegeversicherten (nicht der Angehörigen!) bis zu einer
Mindestgrenze des Einkommens (nicht jedoch des Vermögens) - in
Norwegen dzt. Euro 752.- aus Gehalt/Pension - besteht.
5. Koppelung der Gesundheits- und Pflegefinanzierung.
Eine solche Koppelung bedeutet einerseits, dass Sozialversicherte
auch Pflegevorsorgeversichert sind (wesentlich verbreiterte
Finanzierungsbasis). Andererseits werden dadurch Doppelgleisigkeiten
vermieden und einheitliche Kotroll- und Qualitätsstandards sowie
einheitliche Zahlungsströme sichergestellt.
6. Verbesserung, Verbreiterung und Förderung des Angebotes.
Das Angebot an Pflege- und Betreuungseinrichtungen muss verbessert
werden: Zwischen dem Ausbau von Pflegeplätzen (Pflegeeinrichtungen)
und der Pflege zu Hause gibt es den Bedarf an zusätzlichen
Einrichtungen und zu schaffenden räumlichen Angeboten wie
behinderten- und altengerechtes integriertes betreubares Wohnen,
Pflegeurlaub (Kurzzeitplätze), betreute(betreubare)
Wohngemeinschaften, Tageszentren usw. Die bedarfskonforme Errichtung
dieser Einrichtungen soll durch die Wohnbauförderung im Ausmaß von
bis zu 100% Förderbeitrag getragen und gesteuert werden. Bis zum
Erreichen zumindest des Durchschnittswertes des Österreichweiten
Angebotes (überdurchschnittlich dzt. Wien und Oberösterreich
vorhanden) sollen Mittel der Wohnbauförderung in den betreffenden
Bundesländern dafür zweckgebunden werden.
7. Förderung von Pflegenetzwerken - Ausbau der ambulanten Dienste,
Schaffung eines differenzierten Angebotes.
Neben den infrastrukturellen Voraussetzungen ist auch eine Vielzahl
an abgestuften Maßnahmen erforderlich um ein individuelles,
Bedarfsgerechtes Unterstützungssystem sicherzustellen. Wie im
Rettungs- und Krankentransportbereich sollten Länder und Gemeinden
entweder durch Eigenangebote oder über Dienstleistungsverträge mobile
Dienste, Tagesheimtransporte, Tagesheime, Senioren- und
Pflegeurlaube, Seniorenalarm, Menüservices sowie mobile Betreuung in
Wohngemeinschaften sicherstellen.
8. Einheitliches Berufsbild - Ausbildung - Qualitätsstandard.
Für den gesamten Bereich der extramuralen Versorgung wäre ein
"Zwei-Säulen-Modell" denkbar:
- Die/der HeimpflegeherlferIn - mit dem Aufgabengebiet der
täglichen Grundpflege und der Alltagsunterstützung (vergleichbar dem
Berufsbild PflegehelferIn nach dem Gesundheits- und
Krankenpflegegesetz), sowie:
- Die/der diplomierte(r) HeimpflegerIn (Gesundheits-und
KrankenpflegerIn) - mit dem erweiterten Aufgabengebiet (analog GuKG)
von fachlich und qualitativ hochstehenden Pflegemaßnahmen
(Injektionen, Katheder, Verabreichung von Medikamenten, etc.).
Zusätzlich zur Berufsaus- und Weiterbildung werden Intensivseminare
für pflegende Angehörige angeboten.
9. Neue Struktur im Pflegebereich - die Gemeinden als Drehscheibe.
HeimpflegehelferInnen und diplomiertes Fachpersonal werden über die
Gemeinden (eigenes Personal oder vertragliche private Dienstleister)
zur Verfügung gestellt. Detto Pflegeheimplätze (eigene Pflegeheime
oder vertragliche Bedarfsplätze, sowie Möglichkeiten der
Kurzzeitpflege zur Entlastung für Familien von PatientInnen, die zu
Hause gepflegt werden). Abrechnungen und Qualitätssicherung
sämtlicher Leistungen erfolgt ebenfalls direkt durch die Gemeinden,
wobei die individuelle Wahlmöglichkeit der zu betreuenden Person
bestehen bleibt. Für pflegende Angehörige wird beispielsweise (wie in
Norwegen/Malta) eine Beitragsleistung zur Sozialversicherung im
Höchstausmaß aus der Volksfürsorgeversicherung getragen.
Sozialregelung für pflegende Angehörige: Das derzeitige Pflegegeld
soll künftig gemäß dem festgestellten und sich je nach Entwicklung
ändernden Bedarf (Stunden und notwendige Qualifikation) entweder als
Aufwand abzüglich der Sozialversicherung an pflegende Angehörige
ausbezahlt werden oder zur Abrechnung mit dem jeweiligen
Dienstleister verwendet werden.
10. Aufhebung der Übergangsfristen für den Pflegebereich,
Festlegung einer jährlichen Sonderquote, bundeseinheitliche
vereinfachte Nostrifizierung von Ausbildungsnachweisen.
In Österreich besteht, wie die WHO-Studie zeigt, ein außerordentlich
hoher Nachholbedarf an Ausbildung von qualifiziertem Pflegepersonal.
(mittelfristig ca. 40.000 Personen). Dies kann durch den
österreichischen Arbeitsmarkt allein bei weitem nicht aufgebracht
werden. Neben der kurzfristigen Einführung einer Sonderquote (siehe
auch 3.) soll daher die Zugangsbeschränkung zum Arbeitsmarkt für
EU-Staaten (geltend bis 2011) sofort aufgehoben und zusätzlich eine
jährliche Sonderquote für qualifiziertes Fachpersonal bis zur
Bedarfsdeckung festgelegt werden. Gerade auch wegen der
demografischen Entwicklung besteht in diesem Bereich hoher
Handlungsbedarf.
Zusammenfassung und Schlussbemerkungen
Entgegen anders lautender Meinungen gibt es einen Pflegenotstand und
demzufolge akuten Handlungsbedarf in Österreich. Die Strafanzeigen
haben eine längst überfällige Diskussion über den Bereich Pflege in
Österreich ausgelöst. Nur insofern haben sie ihren Zweck erfüllt.
Eine Kriminalisierung in diesem wesentlichen Bereich ist strikt
abzulehnen. Die verantwortlichen Bundesminister Martin Bartenstein,
Ursula Haubner und Karl-Heinz Grasser sind gefordert, im Interesse
der pflegebedürftigen Menschen und deren Angehöriger nicht mit
Strafen und fortgesetzter Negierung der Konfliktsituation zu
reagieren, sondern endlich tragfähige Zukunftslösungen zu
implementieren.
Eine neue Struktur, ein breites Angebot, eine Palette zusätzlicher
Maßnahmen sowie eine sichere und nachhaltige Finanzierung auf
solidarischer Basis sind möglich - wie der Samariterbund hier
aufzeigt. Private Pflegevorsorgeversicherungen sind eine Ergänzung
für jene Menschen, die sich das leisten können, aber keine
solidarische und sozial gerechte Lösung. Ein wesentlicher Bestandteil
des Gesamtpaketes ist die Qualität der Pflege. Denn es geht um die
Bedürfnisse jener Menschen, die Pflege brauchen und deren
Menschenrecht auf jene Pflege, die sie benötigen. Die Vorschläge des
Wiener Patientenanwaltes Dr. Walter Dohr sowie des österreichischen
Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes - insbesondere hinsichtlich
der Pflegequalität - sind aus Sicht des Samariterbundes in vollem
Umfang zu unterstützen. Qualitativ adäquate Pflege hat auch ihren
Preis - für Ausbildung, Sachmittel und angemessene Entlohnung.
Finanzierungsmöglichkeiten wurden daher an internationalen Beispielen
aufgezeigt.
Gefordert ist eine vorausschauende und umgehende Lösung der
Gesamtproblematik. Das 10-Punkte-Maßnahmenprogramm des
Samariterbundes bietet dafür ein zukunftsfähiges Konzept.
Rückfragehinweis:
Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs Bundesverband Presse und Öffentlichkeitsarbeit: Erika Bettstein 1150 Wien, Hollergasse 2 - 6 Tel.: +43-1-89 145-186, Fax: +43-1-89 145-99186, Mobil: +43-664-844 60 31 E-Mail: erika.bettstein@samariterbund.net; Web: www.samariterbund.net
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