- 12.05.2006, 11:00:00
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Das Ende des Arztgeheimnisses
Behörde nimmt Einsicht in Krankengeschichten
Wien (OTS) - Österreichs Hausärzte können ihren PatientInnen in
Zukunft nicht mehr garantieren, dass ihre Befunde und
Krankengeschichten vertraulich behandelt werden und nicht in fremde
Hände kommen. Auf Grund neuer gesetzlicher Bestimmungen ist das zum
Schutz der PatientInnen bislang unangetastete Arztgeheimnis praktisch
hinfällig. "Wir sehen darin eine gefährliche Entwicklung, die in
krassem Widerspruch zum Datenschutz und zur Menschenrechtskonvention
steht", warnt der ÖHV-Präsident der Landesgruppe Wien, Dr. Manfred
Weindl.
Steine des Anstoßes sind vor allem die Bestimmungen zur
"Gesundenuntersuchung neu" und die Befugnisse der neuen
Gesundheitsplattformen. Im Rahmen der "Gesundenuntersuchung neu"
müssen ÄrztInnen nun sämtliche Originaldaten inklusive Namen und
Sozialversicherungsnummer der PatientInnen an den Hauptverband der
Sozialversicherungsträger übermitteln, der diese in einer zentralen
Datenbank speichert.
Zwar werden die Daten im Hauptverband "pseudonymisiert" - sprich:
jedem Versicherten wird ein Schlüssel zugewiesen - über diesen Code
erhält man allerdings jederzeit Zugang zu den umfassenden
persönlichen Gesundheitsdaten. "Dies ist umso bedenklicher", warnt
ÖHV-Generalsekretär Dr. Norbert Jachimowicz, "als noch völlig unklar
ist, wer aller Zugriff auf die Datensammlung haben wird".
Laut Gesundheitstelematikgesetz sollen dies alle
"Gesundheitsanbieter" sein. Darunter fallen nicht nur Ärzte und
andere medizinische Berufe, sondern beispielsweise auch
Versicherungen und einschlägige Produktionsfirmen wie
Pharmaunternehmen oder Hersteller von Heilbehelfen. Ein detailliertes
Verzeichnis sämtlicher Gesundheitsanbieter wird bislang streng geheim
gehalten.
Die Hausärzte fürchten, dass ihren PatientInnen aus dieser
Datensammlung massive Nachteile entstehen können. "Wenn zum Beispiel
ein Personalchef einen Jobbewerber fragt, ob er in seine
Gesundheitsdaten Einsicht nehmen darf, kann dieser ja schlecht ‚Nein‘
sagen, ohne den Eindruck zu vermitteln, etwas verbergen zu wollen.
Wenn dann jemand in seinem Gesundheitsakt Diabetes oder einen
Bandscheibenvorfall, geschweige eine Hepatitis- oder gar eine
HIV-Infektion vermerkt hat, ist er möglicherweise schon
durchgefallen", so Dr. Jachimowicz.
Datensammlung ist medizinisch wertlos
Von den Befürwortern umfassender Gesundheitsdatensammlungen wird
vor allem das Argument strapaziert, die gespeicherten Daten würden
den behandelnden Ärzten wertvolle Informationen für eine qualitativ
bessere Versorgung der PatientInnen bieten. Dem widerspricht Dr.
Jachimowicz entschieden: "Kein Arzt verlässt sich auf einen drei
Jahre alten Blutbefund". Überdies gäbe es keine Sicherheit, dass
nicht entscheidende Daten fehlen, weil sie entweder noch nicht
erhoben oder auch bewusst verschwiegen wurden.
Unbestritten sei, dass die Gesundheitspolitik Daten brauche, um
Entwicklungen erkennen und gegebenenfalls entgegen steuern zu können.
Dazu würden aber auch völlig anonyme Daten ausreichen, die nach
Geschlecht, Alter und geografischen Gesichtspunkten ausgewertet
werden können. Eine Zuordnung zu konkreten PatientInnen sei dafür
nicht erforderlich. Behandlungsqualität ist gefährdet
Ein massiver Anschlag auf Datenschutz und Arztgeheimnis ist mit
dem Inkrafttreten des Wiener Gesundheitsfonds-Gesetzes am 1. Jänner
dieses Jahres erfolgt, mit dem die Wiener Gesundheitsplattform ihre
Tätigkeit aufnahm. Laut diesem Gesetz ist der Wiener Gesundheitsfonds
"insbesondere ermächtigt, die Gewährung von finanziellen Zuwendungen
davon abhängig zu machen, dass er berechtigt ist, durch eigene oder
beauftragte Organe in alle für die Abrechnung maßgebenden Bücher und
Aufzeichnungen (einschließlich der Krankengeschichten) ... Einsicht
zu nehmen".
Mit dieser Bestimmung steht für den Wiener ÖHV-Präsidenten, Dr.
Weindl nicht nur der Datenschutz, sondern auch die
Behandlungsqualität auf dem Spiel. De facto bedeutet das, dass ein
absolut fachfremdes und hauptsächlich parteipolitisch ausgerichtetes
Gremium die oberste Instanz zur Steuerung im Gesundheitssystem
darstellt. Die Devise für die medizinische Versorgung lautet nicht
mehr "möglichst gut für den Patienten", sondern "möglichst billig".
Ähnliche Symptome können bei fünf verschiedenen PatientInnen fünf
verschiedene Krankheiten bedeuten. Aber die freie Entscheidung, im
individuellen Fall auch eine optimale Lösung zu finden, wird es nicht
mehr geben. Die Symptome, die der Patient angibt, werden dann so
interpretiert, dass sie irgendwie in ein ICD-10-Code-Kastl halbwegs
hineinpassen und daraus ergibt sich dann automatisch die sparsamste
Form der Therapie. Vereinfacht gesagt: Nicht der Arzt, sondern der
Computer sagt, wie die Therapie auszusehen hat. Alles darüber hinaus
wird selbst zu bezahlen oder nur mit enormem Aufwand für alle
Beteiligten zu erlangen sein.
"Das bedeutet das Ende jeder Zuwendungsmedizin auf Kassenkosten.
Wir Hausärzte verstehen unter einer medizinischen Betreuung etwas
anderes", so Dr. Weindl.
"Wertvolle" und "weniger wertvolle" PatientInnen
Die Problematik hinter diesen jüngsten Entwicklungen im
österreichischen Gesundheitssystem sorgt auch anderenorts für
Konflikte. Die Gesundheitssysteme kämpfen EU-weit mit
Finanzierungsschwierigkeiten. Auf der Suche nach Kosteneffizienz
werden bei vorgegebenen Budgets "ärztliche Leistungen je nach Risiko
und volkswirtschaftlicher Wertigkeit von Patienten hin und her
geschoben", erklärt Vorstandsmitglied des deutschen "ÄrzteSynikats",
Dr. Christian Nehammer. Diese Ärztevereinigung kämpft unter anderem
auch massiv gegen die Einführung einer e-card in Deutschland.
Kommenden Freitag sollen rund 50.000 deutsche ÄrztInnen zu einem
Protestmarsch in Berlin antreten.
In einem sind sich die deutschen und österreichischen KollegInnen
jedenfalls einig: Gruselszenarien, wonach etwa PatientInnen ab einem
gewissen Alter bestimmte Therapien verweigert werden, sind keine
graue Utopie mehr. "In Deutschland gibt es beispielsweise 1,2
Millionen Demenz-PatientInnen, aber nur noch 170.000 werden
angemessen behandelt", weiß Dr. Nehammer.
Die neue Gesundheitspolitik: Identifizieren - disziplinieren -
eliminieren
Die Devise der Gesundheitspolitik lautet künftig "Identifizieren -
disziplinieren - eliminieren" fürchtet Dr. Jachimowicz:
Patientengruppen werden zuerst selektiv erfasst, und wer sich nicht
nach dem (computergesteuerten) Schema verhält, fällt einfach aus dem
Sozial(versicherungs)system raus. Die zentrale
Gesundheitsdaten-Sammlung macht´s möglich.
Rückfragehinweis:
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