- 16.06.2005, 17:55:56
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Wiener Zeitung: Andreas Unterbergers Kommentar
Wien (OTS) - Wenn es derzeit im Lande großen Handlungsbedarf gibt,
dann in der Frage Studienzugang: Nach dem - nicht sehr logischen,
jedoch fast sicheren - Beschluss der obersten EU-Richter, freien
Studienzugang für alle EU-Ausländer zu erzwingen, müssen binnen 24
Stunden nach Verlautbarung des Urteils alle Universitäten alle
Ausländer mit Abitur aufnehmen. Das wird etwa die Medizin-Unis unter
dem Ansturm deutscher Numerus-clausus-Flüchtlinge lahmlegen. Das
immer älter werdende Österreich wird aber sehr viele Ärzte benötigen.
Alle wissen, was zu tun wäre: Der Studienzugang muss reguliert
werden - aber ohne die verbotene Diskriminierung der
Nichtösterreicher. Sondern durch Aufnahmsprüfungen, durch Reihung
nach den Noten des Maturazeugnisses oder ähnliche Maßnahmen. Aber
statt einer eingehenden Diskussion über die effizienteste Methode
schiebt jeder den Ball weiter: die Regierung den Unis, und diese dem
Gesetzgeber. Die Rektoren diskutieren Modelle, in denen erst nach
sechs(!) Semestern über die weitere Studienberechtigung entschieden
würde. Die SPÖ glaubt gar, die EU zum Verzicht auf das Kernstück der
Integration, nämlich die Gleichbehandlung aller EU-Bürger, zwingen zu
können. Und sonst warten wir halt untätig, bis die Katastrophe
eingetreten ist. Verantwortlich ist ja niemand.
*
Es gibt aber auch durchaus erfreuliche Meldungen. Wenn der Wiener
Börseindex, der jahrelang bei der Ausgangsmarke 1000 herumgegrundelt
ist, plötzlich die 3000er Grenze übersteigt, und wenn dieses
jahrelang als Todeskandidat gehandelte Institut nun eine
Mitteleuropa-Börse aufbaut, dann ist schon eine gründliche Wende
geglückt. Brauchen wir aber überhaupt eine Börse? Eine legitime
Frage. Die freilich gleichbedeutend ist mit der nächsten: Wollen wir
nicht lieber etwas ärmer sein?
*
Von der Wirtschaftskammer bis zu den Bauern wollen nicht ganz
einflussarme Gruppen im gegenwärtigen EU-Disput, dass Österreich
höhere Beiträge zur EU zahlt. Ganz uneigennützig tun sie das nicht.
Ein Teil der Mittel fließt ja über diverse Förderprogramme in der Tat
wieder nach Österreich zurück. Aber eben nur ein Teil. Auch wenn man
die kleinliche Neidkampagne des Boulevards gegen die EU ablehnt, und
auch wenn man viel Sympathie für - befristete - Bedürfnisse der neuen
EU-Länder hat (weniger dafür, dass Italien, Griechenland, Spanien und
Portugal offenbar auf ewig am EU-Tropf hängen wollen), so mag man
doch nicht mit Milchmädchenrechnungen hineingelegt werden. Österreich
ist Nettozahler und nicht Nettokassierer.
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