• 31.05.2005, 09:37:04
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  • OTS0046 OTW0046

BFI: Geplante Änderungen bei der Berufsreifeprüfung wären ein Rückschritt in die bildungspolitische Steinzeit!

Wien (OTS) - Ein vom Bildungsministerium ausgesandter Entwurf zur
Änderung des Berufsreifeprüfungsgesetzes beinhaltet eine Reihe von
Verschlechterungen und bürokratische Hürden sowohl für die
PrüfungskandidatInnen als auch für die anerkannten
Erwachsenenbildungseinrichtungen, die in den vergangenen Jahren
wesentlich zum Erfolg der Berufsreifeprüfung beigetragen haben. Durch
die geplante Gesetzesänderung würde das moderne internationale
Vorzeigemodell zu einem beispiellosen schulbürokratischen
Hindernislauf werden und Weiterbildungswillige eher abschrecken als
motivieren. Ein völlig anachronistisches Vorhaben, das strikt
abzulehnen ist.

Mit der gesetzlichen Einführung der Berufsreifeprüfung im Jahr
1997 ist ein bildungspolitischer Meilenstein gelungen. Denn bis dahin
landeten AbsolventInnen des dualen Berufsausbildungssystems und von
berufsbildenden mittleren Schulen mit ihrem Bildungsweg in einer
Sackgasse. Erst mit der Berufsreifeprüfung wurde ihnen der Zugang zu
höherer akademischer Bildung faktisch möglich gemacht. Denn seither
können mit der Ablegung von zusätzlich vier Teilprüfungen auf höherem
Niveau in Deutsch, einer lebenden Fremdsprache, Mathematik und in
einem Fachbereich alle mit einer Reifeprüfung verbundenen
Berechtigungen erworben werden.

Die geplante Gesetzesänderung wird unter anderem damit begründet,
dass der Zugang zur Fachbereichsprüfung für jene
PrüfungskandidatInnen erleichtert werden soll, deren Berufsausbildung
in keinem eindeutigen Fachbezug zu einer berufsbildenden höheren
Schule liegt. Eine freie Wahl des Fachbereichs und ein Antrittsrecht
zur Prüfung ist allerdings nicht vorgesehen. Die Zulassung und
Zuordnung zur Fachbereichsprüfung bleibt dem Ermessen der
Schulbehörden vorbehalten. Solcherart wird der Zugang zur
Berufsreifeprüfung aber zur Lotterie. Es muss sichergestellt sein,
dass in allen Fällen, für die kein schulisches Ausbildungsäquivalent
existiert, die Möglichkeit zum Antritt zur Fachbereichsprüfung
besteht. Daher müsste ein "Auffangfachbereich" vorgesehen werden, den
die PrüfungskandidatInnen entsprechend ihrem Berufsfeld frei wählen
können.

Keinesfalls darf es dazu kommen, dass das für den Fachbereich
geforderte höhere Praxiswissen schon vor Prüfungsantritt bestehen und
nachgewiesen werden muss, wie dies in den Erläuterungen zum
Gesetzesentwurf zum Ausdruck kommt. Wenn es ausschließlich den
Schulbehörden obliegt, das höhere Niveau vorab zu attestieren, führt
dies die Berufsreifeprüfung als solche ad absurdum. Denn
selbstverständlich stellt die Vorbereitung auf die Berufsreifeprüfung
eine wichtige (und oft auch notwendige) Unterstützung für die
PrüfungskandidatInnen dar, das geforderte höhere Niveau zu erlangen.
Die Teilprüfungen zur Berufsreifeprüfung geben ausreichend
Gelegenheit, das Erreichen dieses Niveaus nachzuweisen. Unabhängig
davon wäre es künftig ausschließlich der Beratung an den Schulen
überlassen, das über die formalen Zugangsvoraussetzungen
hinausreichende höhere Praxisniveau zu beurteilen. Abgesehen von
fehlenden bzw. intransparenten Beurteilungskriterien und dem großen
zeitlichen Aufwand wären damit die PrüfungskandidatInnen dem
Wohlwollen von Einzelpersonen ausgeliefert.

Neben der Anerkennung von beruflich erworbenem Wissen und
ebensolchen Kenntnissen war mit der Einführung der Berufsreifeprüfung
ein zweites Novum verbunden. Drei der insgesamt vier Prüfungen können
an anerkannten Erwachsenenbildungseinrichtungen abgenommen werden.
Wie sinnvoll und innovativ diese institutionelle Öffnung war, zeigt
sich nicht zuletzt an der Tatsache, dass die Europäischen Union von
den Mitgliedsländern schon lange fordert, außerschulische
Bildungswege als gleichwertig anzuerkennen und dort erworbene
Kompetenzen zu zertifizieren. Gerade das dürfte so mancher heimischen
Schulbehörde ein Dorn im Auge gewesen sein. Denn künftig soll ein/e
vom Landesschulrat bestimmte/r Vertreter/in bzw. Experte/in den
Vorsitz auch bei den Prüfungen, die in
Erwachsenenbildungseinrichtungen abgelegt werden, übernehmen und
diese beurteilen dürfen.

Diese Möglichkeit gab es zwar bisher schon, nur wurde seitens der
Schulbehörden selten davon Gebrauch gemacht. Jetzt soll dies
verpflichtend werden und die PrüfungskandidatInnen müssten extra
dafür bezahlen. Damit sind die Probleme, die die Gesetzesinitiative
mit sich bringt, auch schon vorgezeichnet: aufwendige
Einreichformalitäten, ungewisse und weniger Prüfungstermine, lange
Wartezeiten nach vollendeter Vorbereitung auf die Berufsreifeprüfung,
ein finanzieller Mehraufwand, Verzögerungen bei der Beurteilung und
beim Ausstellen der Zeugnisse - insgesamt eine völlig unnötige
Verbürokratisierung. Diese Auswirkungen würden nicht der Intention
entsprechen, die Rahmenbedingungen für das lebensbegleitende Lernen
zu verbessern. Im Gegenteil, die geplanten Änderungen würden für die
PrüfungskandidatInnen, die zum überwiegenden Teil berufstätig sind,
unzumutbare bürokratische Hürden mit sich bringen und damit eine
gravierende Verschlechterung gegenüber dem Status quo bedeuten.

Insgesamt würden also nicht nur die Kompetenzen der
Erwachsenenbildungseinrichtungen deutlich eingeschränkt und eine
stärkere Anbindung an die Schulbehörden erfolgen, sondern es würde de
facto der Zugang für die PrüfungskandidatInnen erschwert und damit
längerfristig ein Rückgang der AbsolventInnenzahlen bewirkt werden.
Ob dies angesichts der rückläufigen SchülerInnenzahlen und der im
internationalen Vergleich ohnedies niedrigen MaturantInnenquote der
österreichischen Bevölkerung bildungspolitisch wünschenswert ist,
muss stark in Zweifel gezogen werden. Abgesehen davon würde
Österreich eines seiner wenigen international herzeigbaren,
innovativen Instrumente zu der von der Europäischen Union geforderten
Erhöhung der Durchlässigkeit der Bildungssysteme und der Anerkennung
außerschulisch erworbener Kenntnisse nachhaltig beschädigen. Denn
genau für diese Ziele ist die aktuelle Form der Berufsreifeprüfung
ein höchst erfolgreiches Modell. Diese bildungspolitische
Errungenschaft sollte nicht leichtfertig aufgegeben werden!

Rückfragehinweis:
bfi Österreich
Dr. Michael Sturm
Tel. (01) 586 37 03-11
E-Mail: m.sturm@bfi.at

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