• 14.05.2005, 10:58:27
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Seggauberger Pfingstmemorandum "Geist und Gegenwart"

Die Teilnehmer des Pfingstdialogs "Geist und Gegenwart" halten fest:

Graz (OTS) - 60 Jahre nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs,
wenige Jahre nach den blutigen Konflikten in Südosteuropa, ein Jahr
nach der größten Erweiterung der Europäischen Union in ihrer
Geschichte und zeitgleich mit verschiedenen mitgliedstaatlichen
Verfahren zur Annahme der Europäischen Verfassung gilt es, die
brennenden Herausforderungen, Aufgaben und Zukunftschancen Europas
und der Europäischen Union in verantwortungsvoller Überzeugung zu
erkennen und mit dynamischem, offensivem Gestaltungswillen
aufzugreifen.

Die europäische Integration hat sich als richtige Antwort auf die
Irrwege Europas und größtes Friedens- und Sicherheitsprojekt in der
Geschichte der Menschheit bewährt. Nicht zuletzt die etwa 15 Jahre
seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa haben eindrucksvoll die
Kraft und Vitalität der europäischen Integration veranschaulicht.
Dieser Prozess ist mit produktiver Beharrlichkeit weiterzuverfolgen.
Die Europäische Union hat ihre Verantwortung über ihre jetzigen
Grenzen hinaus wahrzunehmen und für alle Staaten Europas, die ihre
Werte achten, offen zu stehen. Es gilt, diese Staaten und Völker beim
Hineinwachsen in den europäischen Einigungsprozess zu unterstützen.

Die Steiermark ist durch die Erweiterung der Europäischen Union
geografisch in das Herz Europas gerückt. Sie kann damit noch stärker
ihre Tradition des Brückenbauens wahrnehmen, gerade auch angesichts
der zunehmenden Bedeutung der Regionen innerhalb der Europäischen
Union. Mit der "EU-Zukunftsregion" wurden seitens der Steiermark
optimale Rahmenbedingungen geschaffen, um die Verbindungen zu den
"alten Nachbarn und neuen Partnern" zu intensivieren. Der baldige
Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union wird von der Steiermark mit
Nachdruck unterstützt. Sie ist sich ihrer weitergehenden
Verantwortung für den ganzen Raum Südosteuropa bewusst und wird auch
die Integrationsbemühungen Bosnien und Herzegowinas, Serbien und
Montenegros, Mazedoniens und Albaniens umfassend unterstützen.

Immer deutlicher wird, dass die Vielfalt Europas zu seinen großen
identitätsstiftenden Stärken zählt. Die vielen einzelnen Bausteine -
in Europa ist jedes Volk eine Minderheit - ergeben gleichsam wie ein
Mosaik oder Kaleidoskop ein fruchtbringendes, zukunftsorientiertes
Ganzes. In ihrer gelebten Heterogenität ist die Europäische Union ein
großes Laboratorium unserer Zeit. "Einheit in Vielfalt" darf dabei
aber jedenfalls kein leeres Schlagwort sein, sondern muss auch durch
bestgeeignete Institutionen, Strukturen und Mechanismen mit Leben
gefüllt werden. Mit der Europäischen Verfassung wurde noch lange kein
Endpunkt erreicht, aber jedenfalls ein wichtiger und richtiger
Schritt in eine neue Phase der europäischen Integration, die als
offener Prozess der Freiheit zu sehen ist, gesetzt.

Die seit einiger Zeit wahrnehmbaren Schwierigkeiten von
Bürgerinnen und Bürgern in fast allen Staaten Europas, das
Voranschreiten der europäischen Integration als Gewinn und Chance zu
verstehen, sind ernst zu nehmen. Es gilt, neue Wege der Kommunikation
und Partizipation zu entwickeln, die es allen Bürgern möglich machen,
die großen Vorteile der europäischen Integration deutlicher
wahrzunehmen. Wenn die europäische Integration anfangs vor allem ein
Eliteprojekt war, so ist jedenfalls jetzt eine starke Breiten- und
Bürgerorientierung unabdingbar, um Legitimität, Motivation und
Leistung zu gewährleisten.

Die Europäische Union hat die Lösung wirtschaftlicher Probleme als
wichtiges Ziel weiterzuverfolgen und dabei ein umfassendes
Verständnis von Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu
berücksichtigen. Die notwendigen Maßnahmen zur Sicherung des
Wirtschaftsstandortes Europa, zur Sicherung des Wohlstands und zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben auf der Basis einer ökosozialen
Marktwirtschaft in einer bildungs- und wissensbasierten Gesellschaft
zu erfolgen.

Europa ist mehr als eine Rechts- oder Wirtschaftsgemeinschaft. Es
gilt, die "Seele" Europas - die sich in seinen geistig-kulturellen
Grundlagen, im Dialog der Religionen, in der Begegnung und
wechselseitigen Befruchtung der Kulturen, im gemeinsamen Eintreten
für die universellen Rechte des Menschen wie für Freiheit, Demokratie
und Rechtsstaat, in der Dialogfähigkeit der Völker und im Verständnis
von Toleranz als aktives Nutzbarmachen der Unterschiede des anderen
für sich selbst immer deutlicher erkennen lässt - nicht nur zu
entdecken, sondern auch fruchtbar zu machen. Der europäische
Einigungsprozess braucht Werthaltungen und Wertorientierungen, die
staatliche Strukturen und Recht allein nicht zu schaffen vermögen.

Europa hat sich seinen Aufgaben in der Welt zu stellen. Die Zeit
der globalen Machtpolitik ist vorbei, es geht heute vielmehr um
globale Verantwortung. Die europäische Ordnung ist modern und
zukunftsträchtig. Diesen Fortschritt gilt es gemeinsam mit den
Partnern Europas zum Wohle aller Völker und zur Sicherung der
unabdingbaren und unteilbaren Rechte aller Menschen zu nutzen.

Die Geschichte der europäischen Integration war niemals frei von
Problemen und Rückschlägen. Auch gegenwärtige Schwierigkeiten dürfen
daher kein Anlass zu Jammer und Verzagen sein, sondern sind als
Ansporn und Herausforderung zur bestmöglichen Weiterentwicklung der
europäischen Integration zu verstehen.

Unterzeichner:

Harald Baloch
Elmar Brok
Günther Burkert-Dottolo
Erhard Busek
Daniel Dettling
Mercedes Echerer
Oscar W. Gabriel
Hans-Dietrich Genscher
Jiri Grusa
Andreas Görgen
Hans Haider
Zoran Hamovic
Harald Haslmayr
Hans Hermann Hoppe
Herwig Hösele
Jasmin Imamovic
Egon Kapellari
Gerald Karner
Hans Kitzmüller
Waltraud Klasnic
Otto Kolleritsch
Christiane Landgrebe
Paul Michael Lützeler
Rusmir Mahmutcehajic
Wolfgang Mantl
Joseph Marko
Michele Nicoletti
Hermann Nitsch
Lia Perjovschi
Wolfgang Petritsch
Klaus Poier
Martin Polaschek
Manfred Prisching
Bernhard Rinner
Gabriele Russ
Elisabeth Sandor-Szalay
Josef Schmid
Kurt Scholz
Norbert Schreiber
Eugen-Maria Schulak
Stephan Schulmeister
Anke Sembacher
Veit Sorger
Fuada Stankovic
Janez Ujcic
Werner Weidenfeld
Martin Weiß
Lojze Wieser
Werner Wintersteiner
Anita Ziegerhofer-Prettenthaler
u.a.

Rückfragehinweis:

KSG Kultur Service GmbH
   Mag. Bernhard Rinner
   Trauttmansdorffgasse 2
   8010 Graz
   Tel.: +43 316 877-2434
   Fax:  +43 316 877-2477
   bernhard.rinner@instyria.at 
   www.instyria.at
   www.geistundgegenwart.at

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