• 26.04.2005, 10:29:38
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Psychiater Wuschitz zu Depressionen: "Das Arbeitsmarktservice ist unser größter Einzelkunde"

Wien (OTS) - Die Arbeitslosigkeit steigt in Österreich. Mit ihr
auch die Zahl der Menschen, die an Depressionen leiden. "Arbeitslose
sind doppelt so gefährdet an einer Depression zu erkranken wie ihre
berufstätigen Altersgefährten", sagt Facharzt Dr. Albert Wuschitz.

Ein deutliches Ansteigen der Depression unter Arbeitslosen
registriert Albert Wuschitz, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie.
"Inzwischen ist jeder Sechste meiner Patienten arbeitslos. Die
Entwicklung ist alarmierend", sagt Wuschitz.

15 Prozent von Wuschitz' Patienten im ersten Quartal hatten einen
Krankenschein vom Arbeitsmarktservice (AMS). Diese Zahl ist für ihn
bezeichnend. Denn: "Die Arbeitslosigkeit liegt in Österreich aktuell
bei 7,8 Prozent. Aber für Menschen ohne Beschäftigung ist das Risiko
an einer Depression zu erkranken doppelt so hoch wie für Menschen mit
einem Arbeitsplatz." Besonders betroffen sind Menschen, die einmal
ein sehr gutes Einkommen hatten.

Von Kollegen weiß Wuschitz, dass auch bei Ihnen die Situation
ähnlich ist. "Auch meine Kollegen registrieren, dass das AMS
mittlerweile einer unserer wichtigsten Arbeitgeber ist."

Dr. Gerhard Sobotka ist Allgemeinmediziner in Wien Favoriten. Er
kann den Trend bestätigen; auch von seinen Patienten sind viele
arbeitslos. "Von diesen Menschen sind etwa die Hälfte von
Depressionen betroffen. Anhaltende Arbeitslosigkeit stellt für
arbeitswillige Menschen ein massives Problem dar."

Beschäftigungstherapie statt Arbeitsplatz

Das Arbeitsmarktservice ist für Sobotka eine Institution, die die
Situation der Arbeitslosen nicht notwendigerweise verbessert: "Das
AMS bietet zwar viele Kurse an, die sehr teuer sind, aber in
Wirklichkeit keine Besserungen für die Menschen bringen. Das Belegen
von Kursen ist eine Beschäftigungstherapie, aber keine Garantie für
einen Arbeitsplatz. Für die öffentliche Hand sind die Kurse nur
insofern sinnvoll, weil die Teilnehmer aus der Arbeitslosenstatistik
herausfallen."

Wirkliche Hilfe biete das Arbeitsmarktservice nicht an. Dr.
Sobotka über seine Erfahrungen: "Mir hat noch kein einziger
Arbeitsloser erzählt, das AMS hätte ihm weitergeholfen. Im Gegenteil.
Die Menschen, die auf das AMS angewiesen sind, sind arm dran. Diese
Aussichtslosigkeit kann das Risiko für Depressionen nur erhöhen."

Vom AMS zum Psychiater

Der Psychiater Wuschitz beschreibt die Entwicklung vom Beginn der
Arbeitslosigkeit bis zum Ausbrechen der Depression folgendermaßen:

"Viele Menschen, die unerwartet arbeitslos werden, gehen zunächst
mit sehr viel Elan daran, eine neue Stelle zu finden. Aber mit der
Zahl der Absagen nimmt der Verlust des Selbstwertgefühls zu. Die
Menschen hören ständig, dass sie entweder zu jung oder zu alt und
immer öfter, dass sie überqualifiziert seien."

In der nächsten Phase fühlen sich die Menschen nach einigen
Monaten entwertet, nutzlos und überflüssig. Wuschitz: "Das kostet
Selbstsicherheit und schürt Zukunftsängste."

Betroffen sind nach Wuschitz' Beobachtung vor allem arbeitslose
Menschen ab dem 40. Lebensjahr. Wuschitz: "Die Vermittlung wird
schwieriger, weil viele Unternehmen oft nur noch billige
Arbeitskräfte aufnehmen, die entsprechend ausgebeutet werden."

"Je älter die Arbeitssuchenden, desto weniger haben sie eine
Chance, wieder Beschäftigung zu finden", bestätigt Dr. Sobotka. Es
sei auch schon oft der Fall gewesen, dass Patienten nach einer
Krankschreibung beim nächsten Arztbesuch von ihrer Kündigung erzählt
hätten. "Auswirkungen wie psychosomatische Beschwerden sowie
Depressionen sind in diesen Fällen besonders häufig die Konsequenz."

Patientin: "Oft keine Reaktionen auf Bewerbungen"

Eine Betroffene ist Magda Schendler (Name geändert). Die
Maturantin ist kultiviert, aber seit drei Jahren arbeitslos. Ihr
Arbeitswille ist intakt. Jede Woche bewirbt sie sich auf mindestens
zwei Stelleninserate. Das Ergebnis ist für sie frustrierend, weil
"inzwischen die Reaktionen der Unternehmen auf die Bewerbung
ausbleiben. Es gibt überhaupt kein Feedback mehr."

Die Chance auf ein persönliches Vorstellungsgespräch schwindet
ebenfalls. Das letzte Bewerbungsgespräch hatte Magda Schendler im
November 2004. "Da ist es kein Wunder, dass man depressiv wird", sagt
sie.

Heraus aus der Selbstisolation

Albert Wuschitz erfährt jeden Tag von Schicksalen wie diesem. Der
Arzt erläutert: "Viele meiner arbeitslosen Patienten fühlen sich vom
AMS inzwischen nur noch verwaltet, aber nicht mehr unterstützt. Wir
müssen den Menschen ohne Arbeit aber zeigen, dass sie mit ihrem
Problem nicht alleine sind."

Um das zu erreichen, schlägt Wuschitz vor, dass das "AMS
Selbsthilfegruppen für Menschen mit Depressionen und für alle
Arbeitslosen möglich machen sollte. Dort finden diese Menschen andere
in ähnlicher Situation. Gemeinsam können diese Menschen wieder aus
ihrer Selbstisolation herausfinden und neue Hoffnung schöpfen."

OTS0077    2005-04-26/10:29

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