- 22.04.2005, 18:06:48
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DER STANDARD-Kommentar "Die Saisonalkulturarbeiter" von Ronald Pohl
Intendanten ohne Grenzen: Die "Wiener Festwochen" und ihre Leiter - Ausgabe vom 23./24.4.2004
Wien (OTS) - Es hätte das Direktionspodium der Wiener Festwochen
noch ausnehmender geschmückt, wenn aus Anlass der (eigentlich
wievielten?) Programmpräsentation 2005 auch Opernchef Stéphane
Lissner Zeit gefunden hätte, für den von ihm verantworteten
Programmzweig mit hilfreichen oder auch nur stolzen Erklärungen
physisch einzustehen. Das ging leider nicht: Lissner wurde gerade in
Mailand, wo die weltberühmte, aber hoch verschuldete Scala sich
seiner viel gefragten Dienste versicherte, von Kamerateams umringt.
Die Pointe eines Kulturmanagementwesens, das sich auf immer weniger
Köpfe beschränkt, die wie Spielmarken über die Festivallandkarten
geschoben werden, liegt in der flächendeckenden Verschaltung einer
tatsächlich "global" gemeinten Ästhetik.
Lissner ermöglicht in Aix-en-Provence Opernproduktionen, mit denen
sich auch die Festwochen schmücken lassen. Schon weil in der
luftgeisterhaften Gestalt von Intendant Luc Bondy ein Regisseur in
Südfrankreich tätig ist, der in Wien, wo er die Leitungsgeschäfte
versieht, als Einkäufer und Verwertungsagent seiner eigenen
Produktionen das heimische Festival mit viel kosmopolitischem Flair
versieht.
Hinter solchen üblich gewordenen Operationen einer symbolischen, auf
Image-Putz gerichteten Standortsicherung stehen aber auch Realien.
Ganzjährig beschäftigte Vertragsbedienstete eines hoch dotierten
Festivals finden genügend Zeit und Muße, sich andernorts mit den
kompliziertesten Materialien und Stoffen zu beschäftigen.
Selten wurde das quecksilbrige Phänomen der Saisonalarbeit derart
zweideutig etikettiert. Monsieur Lissner wird im Mai, wenn die
Festwochen in Wien gerade heißlaufen, an der Scala nach dem Rechten
sehen - und den angeschlagenen Mailändern irgendwie helfen, das
Mozartjahr 2006 würdig einzuläuten.
Nun wurde dem Ämter-Multi (Lissner) sogar von seinem Intendanten
(Bondy) bedeutet, er möge sich wenigstens von einer der drei
aufgebürdeten Managementwürden trennen. Es nimmt sich schon ein wenig
verwunderlich aus, dass sich der Subventionsgeber in Gestalt des
Wiener Kulturstadtrats schon andeutungsweise auf Koproduktionen mit
der Scala freut, noch ehe überhaupt klar ist, wofür Lissners so
quälend mehrfach gespaltenes Herz denn nun eigentlich schlägt.
Immer häufiger steht der Beobachter, dem es doch nur um die
Entdeckung ästhetischer Freuden ginge, vor den Kumulationshäufchen
von Verantwortlichkeiten - und einer parallel dazu schwindenden
Kunstbedeutung. Die Regie- und Intendanzmärkte bringen, wiewohl sie
doch ausschließlich aus öffentlicher Hand gespeist werden,
Konkurrenz- und Monopolsituationen hervor, die die Nachfrage - und
damit auch den Absatz - garantieren.
Wie Autokraten werden jene Regisseure gehandelt, die sich ihre
lukrativen Gagen von rund 100.000 Euro durch zusatzmusikalische
Bonifikationen aufbessern, ihre von ihnen kaum benützten
Intendantensessel bereitwillig vergolden lassen. Managementdirektoren
halten die Leitungsbefugnis von Theatern gleich im Halbdutzend.
Diese Überhitzungen eines völlig auf sich selbst verwiesenen Marktes
wären nicht des Achselzuckens wert, wenn nicht andauernd das Argument
der "Weltläufigkeit" ins Spiel gebracht würde: als ewige Mahnung an
die im Grunde ihres Herzens verstockten Konsumenten, nur ja nicht das
Staunen zu verlernen, wenn über leidlich interessanten Objekten der
Schaulust das Etikett "Festwochen" darüberklebt.
Eine solche Kritik erscheint angesichts des aktuellen
Festwochen-Programms nicht einfach an den Haaren herbeigezogen: Man
hat das Kartenangebot von rund 70.000 auf 52.000 Tickets ordentlich
gedrosselt, man bietet sichere Renner wie Dantons Tod in der Regie
von Christoph Marthaler gerade zwei Mal an - die zweite Aufführung
als Nachmittagsvorstellung, was auch jene freut, die sich ihre mit
der Familie zu verbringenden Tage vom Munde absparen.
OTS0241 2005-04-22/18:06
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