- 15.04.2005, 10:00:00
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Erwin Lanc: Europa soll keine militärische Weltmacht werden
Vier Thesen zur Stellung der Europäischen Union in der Welt
Wien (OTS) - "Die EU ist eine Gemeinschaft demokratischer
Staaten", erklärt IIP-Präsident Erwin LANC auf dem heute mit Spannung
erwarteten zeitgeschichtlichen Symposion Moskauer Memorandum 1955 in
Wien. "Und sie kann auf die Dauer nur eine Politik betreiben, die von
ihren Bürgern akzeptiert wird."
Zwei Mal im Jahr wird durch eine Meinungsumfrage erhoben, was die
Bürger der 25 EU-Länder denken. Darauf Bezug nehmend sagt LANC: "Auch
wenn der überwiegende Teil mehr oder weniger mit den Lebensumständen
zufrieden ist, besteht doch überall Angst vor einer Verschlechterung
der Lebensverhältnisse, insbesondere als Folge der Entwicklung auf
dem Arbeitsmarkt. Ein Viertel der Europäer glaubt, dass sich auch
ihre persönliche Situation verschlechtern wird, ein Drittel hofft,
dass sie gleich bleibt. Das sind keine guten Voraussetzungen für
private Anschaffungen und Investitionen in die Wirtschaft!"
Die Meinung der EU-Bürger über den Einfluss der EU auf ihre
nationale Landesverteidigung sei im übrigen geteilt - in Österreich
hingegen gibt es nur 11%, die diesen Einfluss positiv benoten. Stark
verankert ist das Vertrauen zu nationalem und rechtlichem
Personenschutz, und die Funktionsfähigkeit der Demokratie im eigenen
Land werde in Österreich höher bewertet als in der Union.
Jobtransfers in Billiglohnländer, Anstieg des Drogenhandels und
der organisierten Kriminalität, Verlust von Sozialleistungen, eine
Wirtschaftskrise und Machtverlust kleinerer Mitgliedstaaten - so
lauten die Ängste heute. "Trotzdem oder gerade deshalb wünscht sich
eine Mehrheit der EU-Bürger eine Entwicklung zu einer europäischen
politischen Union", betonte LANC. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
(44%), der Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung (40%), Frieden
und Sicherheit in Europa (34%), Bekämpfung organisierter Kriminalität
und Drogenhandel (30%) - diese Punkte genießen für die Europäer
Priorität.
"Eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der EU hat
eine Dreiviertelmehrheit. Jene siebzig Prozent der Österreicher, die
die gemeinsame Verteidigungspolitik unterstützen, fordern aber
gleichzeitig ein Mitspracherecht der Neutralen in der
EU-Außenpolitik. Selbst in den Mitgliedsstaaten, die zum
überwiegenden Teil der Nato angehören, teilen 55 Prozent diese
Auffassung. Eine Zweidrittelmehrheit der EU-Bürger verlangt eine von
den USA unabhängige, gemeinsame EU-Außenpolitik. Das von der
EU-Kommission in Auftrag gegebene Meinungsbarometer stellt aber nicht
die Frage, welche Verteidigungspolitik die EU machen soll: ob sie
sich auf die Verteidigung des eigenen Territoriums beschränken und im
Ausland nur mandatierte Einsätze durchführen, oder auch nicht
mandatierte Einsätze im Ausland vorsehen soll."
Erwin LANC formuliert in diesem Zusammenhang vier Thesen zur
zukünftigen Stellung der Union in der Welt:
THESE 1
Die Bürger der 25 EU-Länder wollen wirtschaftliche und soziale
Sicherheit und Frieden. Zwei Weltkriege haben tiefe Spuren
hinterlassen. Ambitionen auf eine besondere Weltmacht oder gar
Vormachtstellung lassen sich nicht ablesen.
"Ist Europa so krank und schwach als es tut?", fragt der
Veranstalter des Symposions. "Wenn Institutionen und
Bürgerbewusstsein in einem auf echter Demokratie aufgebauten
Staatengebilde erst in Entwicklung sind, ihre Funktionstüchtigkeit
nachweisen müssen, verbietet sich auch eine Übernahme zusätzlicher
globaler Verantwortung. Die Verankerung des Rechtsstaates ist
national und in der EU weit gedienen. Es steht daher zu erwarten,
dass die Bürger eine solche Entwicklung auch global sehen wollen,
wofür auch die starke Ablehnung einer Bindung der europäischen an die
Außenpolitik der USA spricht."
THESE 2
Es spricht wenig dafür, dass bestimmende Kräfte in der Union in
militärpolitische Konkurrenz zu den USA treten wollen oder - im
anderen Extrem - als Janitscharen der USA aufzutreten wünschen.
Ist Europa nicht gezwungen als Rohstoffimporteur jene militärische
Kraft aufzubauen, die zur Sicherung der Rohstoffquellen notwendig
ist?" fragt LANC und wählt als Beispiel Erdöl: "Die Produzenten
müssen es verkaufen. Die Abnehmer fürchten den hohen Preis. Auch zur
angeblichen Sicherung der europäischen Erdölversorgung interveniert
die USA und Verbündete militärisch im Irak. Resultat:
durchschnittlich Verdreifachung des Erdölpreises.
Gewinner: die Produktionsgesellschaften bzw. deren Eigentümer,
darunter nicht wenige US-Firmen. Zahler: zu einem erheblichen Teil
die Europäer. Ihre Produkte werden teurer, ihre Exporte weniger
profitabel. Der Lohndruck nimmt zu, das Arbeitsplatzangebot ab. Die
Nettokaufkraft sinkt, die Zukunftsangst steigt. Es wird mehr gespart
und weniger investiert. Man hat eine stabilitätsorientierte
Zentralbank, der aber keine EU-Wirtschaftspolitik gegenübersteht."
THESE 3
Die Europäische Union braucht eine gemeinsame Wirtschafts- und
Steuerpolitik sowie einen Ausgleichsmechanismus zwischen Europäischer
Zentralbank und Wirtschaftspolitik. Die gemeinsame
Außenhandelspolitik kann nicht jene Grundlagen ersetzen, die zu einer
ökonomischen Einschätzung der Zukunft Europas als Handlungsanleitung
für Konsumenten und Investoren notwendig ist.
In der laufenden Diskussion um eine Reform der Vereinten Nationen
stellen sich für LANC folgende Fragen:
"Ist ein Staat, dem eine nicht unmittelbare Gefahr droht
berechtigt, in Selbstverteidigung einen Präventivschlag
durchzuführen?"
"Was geschieht wenn ein Staat eine Bedrohung für andere Staaten
und Menschen außerhalb seines Territoriums darstellt, aber der
Sicherheitsrat in der Wertung der Bedrohung uneinig ist?"
"Kann ohne Missachtung des Nichteinmischungsprinzips in innere
Angelegenheiten gegen einen Staat vorgegangen werden der in erster
Linie die eigene Bevölkerung bedroht?"
Die Antwort: Nach etabliertem Völkerrecht kann ein bedrohter Staat
militärische Maßnahmen ergreifen, insolange ein Angriff auf ihn
unmittelbar bevorsteht und anders nicht abwendbar ist. Zu prüfen sei
allerdings die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Offen bleibe, was
geschehe, wenn die Bedrohung zwar real dargestellt werde, aber nicht
unmittelbar fällig ist. Aktuelles Beispiel: Iran.
Diese und andere Reformvorschläge, die Generalsekretär Kofi Annan
der UN-Generalversammlung am 1. Dezember 2004, vorgelegt hat, münden
in alternativen Vorschlägen für den Sicherheitsrat.
Während die EU-Bürger für einen Sitz der Union im Sicherheitsrat
sind, bemüht sich als drittes EU-Land Deutschland unter die ständigen
Mitglieder des Sicherheitsrates zu kommen; gleichzeitig mit
Brasilien, Japan, Indien und einem afrikanischen Staat - ohne
Vetorecht. "Das EU-Model hat solcherart kaum eine politische Chance",
sagt LANC. "Das Erweiterungsmodel des Sicherheitsrates mit
zusätzlichen ständigen Mitgliedern zementiert die
Nationalstaatlichkeit der EU-Außen- und Sicherheitspolitik."
THESE 4
Europa kann nicht und soll auch nicht im militärischen Sinn
Weltmacht werden. Gestützt auf sein wirtschaftliches und kulturelles
Potential kann und soll es jedoch Weltautorität für gewaltfreie
Konfliktlösung werden.
LANC erinnert an den dieser Tage im Wiener Akademietheater
diskutierten Briefwechsel zwischen Einstein und Freud von 1932. Die
Antwort auf die Einstein’sche Frage "Warum Krieg" sei von Freud
seinerzeit als nicht ganz befriedigend bewertet worden: "Alles, was
die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg", sagte
Freud. Doch auch heute, so LANC, gehe es immer noch um nichts
anderes: um Kulturentwicklung.
SYMPOSIUM
MOSKAUER MEMORANDUM 1955
Signal für den Frieden in Europa
Das Moskauer Memorandum war Schlüssel zum österreichischen
Staatsvertrag 1955. Es begründete die außenpolitische Neutralität und
öffnete damit die Tür zur vollen Souveränität der Zweiten Republik
Österreich.
Am Freitag, den 15. April 2005, dem 50. Jahrestag der
Unterzeichung des diplomatischen Dokuments, lädt das Internationale
Institut für den Frieden (IIP) zu einem eintägigen
zeitgeschichtlichen Symposion mit abschliessender Podiumsdiskussion.
BEGINN: 10.00 Uhr, Mittagsbuffet 12.30 Uhr ORT: Diplomatische Akademie Wien, Festsaal 1040 Wien, Favoritenstraße 15a Ehrenschutz: Bundespräsident Univ.-Prof. Dr. Heinz Fischer Hauptreferat: Univ. Prof. emerit. Dr. Manfred Rotter, Linz Moderation: Dr. Leopold Specht, Univ. Prof. Dr. Helmut Kramer Zeitzeugen: Botschafter Dr. Rostislav Sergeev, Dolmetscher bei den
Verhandlungen 1954/55; Botschafter Dr. Ludwig Steiner, Sekretär von
Bundeskanzler Raab
HISTORISCHER TEIL:
Univ.-Doz. DDr. Oliver Rathkolb, Universität Wien: "Österreich aus
der Sicht der UdSSR - Sowjetische Geopolitik gegenüber Österreich
1941/1945/1950/1955"
Prof. Dr. Olga Velicko, Akademie der Wissenschaften der Russischen
Föderation: "Das Problem des österreichischen Staatsvertrages im
Spiegel der sowjetischen Presse 1945-1955"
Prof. Dr. Michél Cullin, Diplomatische Akademie Wien: "Frankreichs
Position zum Moskauer Memorandum"
Prof. Ronald W. Pruessen, University of Toronto/ Canada: "Die USA
und das Moskauer Memorandum"
Dr. Robert Graham Knight, Loughborough University/ U.K.:
"Österreichpolitik Großbritanniens in der Periode bis 1955"
PODIUMSDISKUSSION: "Muss Europa Weltmacht werden?"
Mit: Dr. Klaus von Dohnanyi, Bundesminister a.D.,
Oberbürgermeister von Hamburg a.D. (Hamburg), Emmy Werner,
Theaterintendantin (Wien), Mag. Gertraud Knoll, Leiterin der
Zukunfts- und Kulturwerkstätte (Wien), Erwin Lanc, Bundesminister
a.D. und IIP-Präsident (Wien), Prof. Herfried Münkler, Humboldt
Universität (Berlin)
Eintritt frei! Simultanübersetzung: Deutsch-Russisch-Englisch
TeilnehmerInnen
Prof. Dr. Michél CULLIN, geb. 1944, Studium der Germanistik und
der Politikwissenschaften in Paris, aktiver Studentenpolitiker,
franz. Kulturattaché in Wien und Berlin, Gastprofessor der
Universitäten Leipzig und Jena, gegenwärtig Diplomatische Akademie,
Wien, Redaktionsmitglied der Zeitschrift "Allemagne d'aujourd'hui"
Dr. Klaus von DOHNANYI, geb. 1928, Bundesminister a.D.,
Oberbürgermeister von Hamburg a.D.; Redner zum 60. Jahrestag der
Auslöschung Dresdens im Dresdner Schauspielhaus; zuletzt: "Im Joch
des Profits. Eine Antwort auf die Globalisierung" (1997)
Univ.-Prof. Dr. Heinz FISCHER, geb. 1938, Studium der Rechts- und
Staatswissenschaften, o. Uni.-Prof. seit 1994, 1971-2004 Abgeordneter
zum Nationalrat, 1983-87 Bundesminister für Wissenschaft und
Forschung, 1990-2002 1. NR-Präsident, Bundespräsident seit 16. Juni
2004; zuletzt "Wende Zeiten. Ein österr. Zwischenbefund" (2003)
Dr. Robert Graham KNIGHT, geb. 1952, Studium der intern.
Geschichte an der London School of Economics, Loughborough
University/ U.K., zuletzt: "'Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu
ziehen'. Wortprotokolle der österr. Bundesregierung 1945-52 über die
Entschädigung der Juden" (1998)
Mag. Gertraud KNOLL, geb. 1958, Studium der Theologie in Wien,
erste Superintendentin der Evangelischen Kirche in Österreich
1994-2002, Bundespräsidentschaftskandidatin 1998, heute Leiterin der
Zukunfts- und Kulturwerkstätte der SPÖ (Wien), zuletzt: "Im Anfang
war Beziehung" (2002)
Univ. Prof. Dr. Helmut KRAMER, geb. 1940, Studium der Geschichte,
Germanistik, Philosophie in Graz und Wien, Postgraduate-Ausbildung am
Institut für Höhere Studien, heute Professor am Institut für
Politikwissenschaften der Universität Wien; zuletzt: "Politische
Kompetenz und Demokratie" (2000)
Erwin LANC, geb. 1930, leitender Bankanstellter, Wiener
Gemeinderat 1960-66, Abgeordneter zum Nationalrat 1966-83, Verkehrs-,
Innen- und Außenminister 1973-84, Präsident des IIP seit 1989;
zuletzt: "Sozialdemokartie in der Krise" (1996)
Prof. Herfried MÜNKLER, geb. 1951, Studium der Germanistik,
Politikwissenschaften und Philosophie in Frankfurt und Heidelberg,
seit 1992 Lehrstuhl für Theorie der Politik am Fachbereich
Sozialwissenschaften der Humboldt Universität zu Berlin, publizierte
2002 den Sachbuchbestseller "Die neuen Kriege"
Prof. Ronald W. PRUESSEN, geb. 1944, Studium der Geschichte, lehrt
an der University of Toronto/ Canada, Spezialist für die Geschichte
der Stalin-Ära sowie für US-chinesische Beziehungen, Biograph von
John Foster Dulles, Secretary of State unter Eisenhower
Univ.-Doz. DDr. Oliver RATHKOLB, geb. 1955, seit 1984
wissenschaftlicher Angestellter des Ludwig Boltzmann Instituts für
Geschichte und Gesellschaft, dessen Leiter er heute ist. 1985-2000
wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Bruno Kreisky Archiv,
Gast-professuren in Havard und Chicago; wissenschaftlicher Leiter der
Internetplattform Demokratiezentrum Wien;
zuletzt: "Außenansichten. Europäische (Be)Wertungen zur Geschichte
Österreichs im 20. Jahrhundert" (2003)
Dr. Rostislav SERGEEV, geb. 1926, Studium am Moskauer staatliches
Institut für internationale Beziehungen, 1953-59 Teilnehmer bei den
Verhandlungen über die Probleme der Nachkriegsregulierung in
Österreich und Deutschland.1980-90 Botschafter der UdSSR in Mexiko,
seit 1991 der Vorsitzende des Rates zur wirtschaftlichen Sicherheit
der Außenpolitischen Vereinigung, zuletzt: "Im erschütterten Mexiko.
Botschaftsalltag" (2002).
Dr. Leopold SPECHT, geb. 1956, Studium der Rechtswissenschaften
und der Philosophie in Wien sowie an der Havard Law School,
zahlreiche Lehraufträge und Gastprofessuren, Mitglied des
Österreich-Konvents, heute Rechtsanwalt in Wien
Dr. Ludwig STEINER, geb. 1922, Studium der Volkswirtschaft, 1948
Eintritt in den diplomatischen Dienst, Sekretär des Bundeskanzlers
Julius Raab 1953-58, Staatsekretär im Bundesministerium für
Auswärtige Angelegenheiten 1961-64, Botschafter in Griechenland und
Zypern 1964-72, Abgeordneter zum Nationalrat 1979-90, Vorsitzender
des Österr. Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit
Prof. Dr. Olga VELICKO, russische Zeithistorikerin und
Politologin der Akademie der Wissenschaften der Russischen
Föderation. Seit 1994 Mitglied des wissenschaftliches Rates der
internationalen Historikerkommission der Arbeiterbewegung.
Forschungsschwerpunkte: politische Katholizismus, Religionswesen und
Arbeiterbewegungen in Westeuropa
Emmy WERNER, geb. 1938, Schauspielerin, Regisseurin,
Theaterleiterin, heute Volkstheater Wien
Rückfragehinweis:
Wolfgang Koch
IIP - International Institute for Peace Internationales Institut für den Frieden 1040 Vienna, Möllwaldplatz 5 Tel.: (01) 504 64 37 Fax: (01) 505 32 34 Mobil: 0699/ 124 629 56 (Presse) mailto: project@iip.at Web: www.iip.at
OTS0073 2005-04-15/10:00
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