- 13.04.2005, 16:28:00
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WirtschaftsBlatt Kommentar vom 14.4.2005: Zukunft ohne Experimente: Ein Plädoyer für eine Grosse Koalition - von Peter Muzik
Wien (OTS) - Der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, die
heute 60 ist, und der Österreichischen Volkspartei, die dieses
Jubiläum am Sonntag feiert, geht’s wie typischen Sechzigern: Sie
wirken zwar relativ rüstig und sind noch ganz passabel erhalten, aber
die Falten im Gesicht und der Speck am Bauch sind bereits
unübersehbar. Deshalb wäre es hoch an der Zeit, wenn sich die beiden
Parteien etwas einfallen liessen, um für die Wähler wieder etwas
begehrenswerter zu werden.
Es muss ja nicht gleich eine Neugründung unter neuem Namen sein, was
derzeit in der österreichischen Innenpolitik in ist - auch ein
professionelles Facelifting in Verbindung mit einer profunden
Entschlackungskur würde wohl reichen, um besser für die Zukunft
gerüstet zu sein.
Schliesslich haben sich SPÖ und ÖVP in den vergangenen sechs
Jahrzehnten mit Volldampf ins Zeug legen müssen; und sie haben sich
dabei einigermassen verausgabt - was ein Blick in die Statistik
unschwer belegt.
34 Jahre Schwarz-Rot. Alles in allem gab es nach der provisorischen
Staatsregierung, an deren Spitze Karl Renner gestanden ist, seit 1945
gleich 24 österreichische Bundesregierungen. Diese wurden von neun
Bundeskanzlern angeführt. Fünf davon - etwa Leopold Figl und Julius
Raab - gehörten den Schwarzen an, und vier kamen aus dem roten Lager
- darunter die Polit-Legende Bruno Kreisky.
Die beiden Grossparteien sind bislang, in unterschiedlichen
Konstellationen, unterschiedlich lang für die Geschicke der Republik
verantwortlich gewesen: Die Sozialisten sassen 51 Jahre an den
Schalthebeln, die Konservativen waren 43 Jahre an der Macht. 17 Jahre
hat es eine Alleinregierung gegeben: Das schwarze Kabinett Klaus II
regierte vier Jahre allein (1966 bis 1970), Sonnenkönig Kreisky stand
sodann 13 Jahre an der Spitze des Staates. Mit den Freiheitlichen
koalierte die SPÖ vier Jahre lang (1983 bis 1987), die ÖVP hielt
(seit Februar 2000) sogar ziemlich genau fünf Jahre durch.
Am längsten war jedenfalls eine Grosse Koalition aus ÖVP und SPÖ am
Ruder - und zwar in zwei Etappen gleich 34 Jahre. Fazit: Die beiden
unterschiedlichen Lager stehen damit massgeblich für die letzten
Endes eindrucksvolle Erfolgsstory, die Österreich nach dem Krieg
gelungen ist.
Vier Phasen. Die Volkspartei prägte als Nummer eins die -
konservativ angehauchte - Aufbruchsphase nach dem Kriegsende. Der
Staatsvertrag, damit die Neutralität des Landes, die
Sozialpartnerschaft, aber auch Fehlentwicklungen wie der grässliche
Proporz stammen aus dieser Ära. Die Sozialisten wiederum waren ab
1970 in der - allseits herbeigesehnten - Modernisierungsphase
federführend. Damals hat Österreichs Wirtschaft den Anschluss an
internationale Standards gefunden. In der darauf folgenden - recht
ungestümen und etwas wirren - Neuorientierungsphase mit
Voest-Tragödie, Fall des Eisernen Vorhangs und EU-Beitritt waren
gleich sieben Kabinette mit Schlagworten wie Liberalisierung,
Flexibilisierung oder Privatisierung gefordert, bisweilen auch
überfordert. Schliesslich kam es in der - vor allem hektischen -
Reformphase seit Februar 2000 unter Federführung von Wolfgang
Schüssel zum hinlänglich bekannten schwarz-blauen Experiment, dessen
finales Scheitern wir gerade live miterleben durften.
Der Mut, mit dem die VP/FP-Koalition dringend nötige Reformen
anzupacken bereit war, wird ihr zu einer Erwähnung in den
Geschichtsbüchern verhelfen, womit allerdings über die Qualität von
Pensions-, Steuer-, Gesundheits- und ihren sonstigen Reformen noch
nichts Wesentliches ausgesagt ist. Ihr einstmals oberstes Ziel, das
Nulldefizit, wurde allerdings vorerst verfehlt und musste folglich in
die Zukunft vertagt werden.
Gemeinsame Bilanz. Auch wenn sich Volkspartei und Sozialdemokraten
seit Jahren nicht mehr riechen können, verbindet sie letztlich mehr,
als ihnen recht sein kann: Beide Parteien haben dafür gesorgt, dass
die Budgetdefizite zeitweise völlig ausser Kontrolle geraten sind;
beide haben es zu verantworten, dass die Staatsschulden immer neue
Rekordmarken überschritten haben; beide haben in recht kongenialer
Weise einen Beitrag geleistet, dass die Steuerquote ein
unerträgliches Mass erreicht hat; und beide müssen sich nachsagen
lassen, dass sie etliche Strukturprobleme von gravierender Bedeutung
viel zu spät erkannt, geschweige denn rechtzeitig angegangen haben.
Zugleich sieht die gemeinsame Bilanz kurioserweise auch gar nicht
übel aus: Österreich zählt bekanntlich zu den reichsten Ländern der
Welt, steht besser als etwa Deutschland da und wird neuerdings sogar
in der Schweiz als Vorbild gehandelt. Die rot-weiss-rote Wirtschaft
hat den Konjunktureinbruch der letzten Jahre relativ gut überstanden,
eilt von Exportrekord zu Exportrekord und profitiert von der
EU-Erweiterung im Osten wie kein anderes Land.
Neue Spielregeln. Die grosse Frage lautet im Moment: Wie kann, wie
soll, wie muss es weitergehen?
Die Fortsetzung der Kleinen Koalition - unter Umfärbung von Blau auf
Orange - ist aus heutiger Sicht nicht nur unwahrscheinlich, sondern
auch besonders riskant - und genau deshalb zu vergessen.
Ein rot-grünes Bündnis,
das derzeit am wahrscheinlichsten anmutet, wäre nach den nächsten
Wahlen einen Versuch wert - jedoch nur unter der Voraussetzung, dass
man hier zu Lande künftig keine Wirtschaftspolitik braucht.
Bleibt also nur jene Regierungsform, für die wir hier und heute eine
Lanze brechen wollen: Eine Grosse Koalition, vermutlich in neuer
personeller Besetzung, mit frischem Elan und viel Kreativität, wäre
dank ihrer breiten Basis wohl am besten geeignet, die richtigen
Weichen in die Zukunft zu stellen und die vielen offenen Probleme
zügig anzupacken.
Für eine solche Konstellation, in der die stimmenstärkste Partei
dominieren würde, müssten allerdings neue Spielregeln gelten, die
einen klaren Bruch mit vergangenen Ritualen signalisieren: Die
Aufhebung des Klubzwangs, um Abgeordnete nicht mehr länger zu
entmündigen, oder die Aufwertung der Kontrolle durch einen
effizienteren Rechnungshof wären nur zwei Ideen, wie das politische
Umfeld rasch verbessert werden könnte.
OTS0260 2005-04-13/16:28
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