Ausgabe vom 25.02.2005
Wien (OTS) - Eine Zeitlang schien sie so gut wie tot, jetzt gibt
sie wieder kräftige Lebenszeichen von sich: Die "Heilige Kuh" der
Sozialpartnerschaft. Im Hauptverband der Sozialversicherungsträger
hat sie diese Woche ein kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben.
Vergangenen Mittwoch wurde Franz Bittner, Sozialdemokrat und Obmann
der Wiener Gebietskrankenkasse, zum "Vorsitzenden der Trägerkonferenz
im Hauptverband der Sozialversicherungsträger" gewählt. Er wurde
damit praktisch Aufsichtsrats-Vorsitzender und löst in dieser
Funktion Wirtschaftsbund-Generalsekretär Karlheinz Kopf ab. Der
musste als einer der drei Stellvertreter Bittners ins zweite Glied
zurück und hat seine Rückreihung nicht nur erstaunlich leise zur
Kenntnis genommen, sondern sie nach eigenen Worten sogar selbst
betrieben.
Anfang April vorigen Jahres hat Kopf dem jetzt neu bestellten Bittner
in einer Aussendung noch "fehlendes Kostenbewusstsein" bescheinigt
und ihm wörtlich vorgeworfen, dass er "die Wiener Gebietskrankenkasse
an den Rand des Ruins abgewirtschaftet und sich als völlig
reformunwillig herausgestellt" hat. Bittner sollte "im Interesse der
Versicherten möglichst rasch seinen Hut nehmen".
Dieser Mann wurde jetzt auf Betreiben von Wirtschaftskammerpräsident
Leitl (und gegen heftigen ÖVP-internen Widerstand, vor allem seitens
des Arbeitnehmerbundes ÖAAB) zum Vorsitzenden der Trägerkonferenz
bestellt. Die wiederum hat unter anderem die Budgethoheit, während
der Vorstand (mit dem von den Arbeitgebervertretern nominierten Erich
Laminger an der Spitze) die operativen Geschäfte leitet.
Alle Abstimmungen, auch die über den angeblich reformunwilligen
Bittner, erfolgten einstimmig. Es fällt schwer, darin etwas anderes
zu sehen als eine Mastkur für die Sozialpartnerschaft. Die
eigentliche Bewährungsprobe folgt allerdings erst: Jetzt müssen die
nach dem klassischen Proporzsystem bestellten Gremien der
Sozialversicherung beweisen, dass sie tatsächlich arbeitsfähig sind.
Ähnliche Megaflops wie mit der mehrfach verschobenen Einführung der
elektronischen Sozialversicherungskarte anstelle des Krankenscheins
dürfen nicht mehr passieren, und ständige Beitragserhöhungen oder
zusätzliche Selbstbehalte dürfen auch nicht zum einzigen Patentrezept
gegen die chronische Finanzmisere der Kassen erklärt werden.
Es wird an den neuen Spitzenfunktionären liegen, die Selbstverwaltung
der Sozialversicherungen zu rechtfertigen. Besonderer Optimismus ist
angesichts der offenkundigen gegenseitigen Abneigung nicht
angebracht. Geht das Experiment neuerlich schief, bleibt wohl nur
eine Alternative: Die jeweilige Regierung übernimmt die volle
Verantwortung für die Sozialversicherungen und für die Durchsetzung
der dort überfälligen Reformen.
OTS0233 2005-02-24/17:00
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