"Vorarlberger Nachrichten" Kommentar: "Wer will Neuwahlen?" (Von Kurt Horwitz)
Ausgabe vom 19.02.2005
Wien (OTS) - Noch nicht einmal ganz zwei Jahre ist diese Regierung alt, und schon wieder geistert das Neuwahlgespenst durch Österreich. Wer genau hinsieht, entdeckt zwei Gesichter - eines sieht aus wie Wolfgang Schüssel und das andere ähnelt aufs Haar jenem von Jörg Haider.
Die beiden tun derzeit alles, um baldige Neuwahlen herbeizuführen:
Haiders missglückter Versuch, mit einer Anti-Schüssel-Biographie Aufsehen zu erregen, hat den Kanzler ebenso verärgert wie die freiheitlichen Attacken gegen Außenministerin Plassnik im Gefolge der Tsunami-Katastrophe.
Das Fass zum Überlaufen gebracht hat dann FP-Klubobmann Herbert Scheibner: Die Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate war zwischen den Koalitionspartnern fix paktiert. Als Verteidigungsminister Platter wie vereinbart die entsprechende Verordnung erließ, war das für Scheibner und FP-Wehrsprecher Bösch auf einmal nur "ein billiger Gag".
Bei Schüssel dürften damals alle Alarmglocken Sturm geläutet haben. Die Situation muss ihn fatal an den September 2002 erinnert haben. Damals konnte die damalige Parteiobfrau und Vizekanzlerin Riess-Passer dem Regierungschef nicht mehr garantieren, dass die freiheitliche Parlamentsfraktion hinter der Koalition stand. Das Ergebnis ist bekannt: Neuwahlen.
Auch jetzt spielt die FPÖ wieder mit dem Feuer. Jörg Haider steht mit dem Rücken zur Wand und schlägt wild um sich. In Kärnten geht dem Landeshauptmann schief, was nur schief gehen kann: Die wirtschaftliche Situation ist triste, rund um das neu zu bauende Klagenfurter Fußballstadion gibt es den Verdacht der Parteienfinanzierung.
Haider sucht sein Heil in der Flucht nach vorne: Er glaubt seine Telefongespräche abgehört, vergleicht das (von der Schüssel-Vertrauten Liese Prokop geführte) Innenministerium mit dem berüchtigten rumänischen Geheimdienst Securitate und droht dem Koalitionspartner mit "Revanchefouls". Das Paradoxe daran ist nur, dass Haider der Allerletzte sein müsste, dem ein Platzen der Koalition gelegen kommt.
Die FPÖ hat nichts zu gewinnen: Sie wird in ihrer derzeitigen Verfassung in der nächsten Regierung nicht mehr vertreten sein. Es wird ihr schlicht die notwendige Zahl an Parlamentssitzen fehlen, um als Mehrheitsbeschafferin zu dienen.
Wolfgang Schüssel hat bei Neuwahlen zwar alles zu verlieren - nämlich die Macht als Chef der stärksten Partei und den Kanzlerposten -, aber im Gegensatz zu Haider doch zumindest eine gute Chance, neuerlich zu gewinnen: Laut Umfragen liefern einander ÖVP und SPÖ derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen, obwohl die Koalition bisher (laut Parlamentspräsident Andreas Khol) "die Mühen der Ebene" hinter sich und die "Zeit der Ernte" - also der Wahlzuckerln - erst vor sich hat. Solange Alfred Gusenbauer an der Spitze der sozialdemokratischen Partei steht, kann Schüssel hoffen, neuerlich zu siegen. Je früher gewählt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, einem Führungswechsel bei der großen Oppositionspartei zuvorzukommen. Beide Koalitionsparteien müssten zwar heilfroh sein, noch zwei Jahre gemeinsam an den Futtertöpfen der Macht bleiben zu dürfen. Wenn sich das gegenseitige Misstrauen und der Hass zwischen Schüssel und Haider verselbstständigen, sind allerdings auch baldige Neuwahlen nicht auszuschließen. Dann stellt sich nur noch die Frage: Wer mit wem? Ob es dazu kommt, hängt vor allem von der psychischen Verfassung des Kärntner Landeshauptmanns ab. Die Parallelen zur Situation vor zwei Jahren sind verblüffend. Auch damals ist Haider die Kontrolle entglitten, Schüssel hat dann hoch gepokert und gewonnen. Wenn Haider aus seinen damaligen Fehlern gelernt und seine Partei noch in der Hand hat, wird sich das politische Klima bald entspannen. Wenn nicht, begeht er endgültig politischen Selbstmord.
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