• 09.10.2004, 09:56:20
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Leitartikel WirtschaftsBlatt - Samstagsausgabe: Ehrliches Scheitern ist keine Schande - von Herbert Geyer

Im Interesse der Ehrlichen gehören kriminelle Pleitiers aufgedeckt

Wien (OTS) - Erfolg und die Möglichkeit des Scheiterns sind zwei
Seiten einer
Medaille. Der eine ist nicht ohne die andere zu haben. Es ist daher
gut, dass sich auch in der Öffentlichkeit schön langsam eine
Einstellung breit gemacht hat, die ehrliches Scheitern nicht mehr
kriminalisiert: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt - und jedes Wagnis
beinhaltet eben die Möglichkeit zu verlieren.

So schlimm auch jede einzelne Insolvenz für die Betroffenen ist -
für die Beschäftigten, die ihren Job verlieren, ebenso wie für die
Gläubiger, die durch die Finger schauen (und auch für den
Unternehmer, der sich und der Öffentlichkeit sein Scheitern
eingestehen muss) -, die Alternative wäre ein Wirtschaftssystem, in
dem es kein Risiko und daher auch keinen Gewinn gibt. Ein solches
System wurde über mehrere Jahrzehnte praktisch erprobt und ist
spektakulär gescheitert.

Mit ehrlichem Scheitern hat es freilich nichts zu tun, wenn
jemand eine Insolvenz benützt oder gar herbeiführt, um sich oder
andere auf Kosten der Gläubiger zu bereichern. Für solche Fälle hält
das Strafgesetzbuch einige Paragrafen bereit, die im Interesse der
Allgemeinheit - und der ehrlich Gescheiterten - strengstens
anzuwenden sind.

Der Kreditschutzverband (KSV) warnt seit Jahr und Tag, dass sich
hinter den mangels Masse abgelehnten Konkursanträgen berproportional
viele derartige Fälle verbergen. Nach Schätzungen des KSV wären zwei
Drittel dieser ohne Verfahren eingestellten Fälle strafrechtlich zu
ahnden.

In den ersten neun Monaten dieses Jahres hat erstmals die Zahl der
abgewiesenen Konkurse jene der eingeleiteten Verfahren überstiegen.
Das verringert zwar die Kosten der Bürokratie, verschlechtert aber
die Situation der Gläubiger und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass
Gauner, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern, ungestraft
davonkommen. Denn Staatsanwaltschaft und Wirtschaftspolizei kümmern
sich um solche Fälle nur, wenn sie einen "konkreten Tatverdacht"
erkennen. "Wie viel Tatverdacht braucht denn die
Staatsanwaltschaft?", entgegnet da KSV-Experte Hans-Georg Kantner.
Wenn mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vorgegangen würde,
gebe es kaum abgewiesene Konkurse. Kantner fordert seit Jahr und Tag,
jeden dieser Fälle routinemässig auf Strafbarkeit zu untersuchen.

Dass das nicht längst geschieht, ist - man kann es kaum anders
ausdrücken - ein Skandal.

OTS0010    2004-10-09/09:56

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