- 24.09.2004, 11:19:01
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Was ist ein "Landestatthalter"?
Vorarlbergs Erinnerung an den Schweizer Föderalismus
Bregenz (VLK) – "Wieso führt der Stellvertreter des
Landeshauptmanns in Vorarlberg den Titel
'Landesstatthalter'?" Eine häufig gestellte Frage, auf die
das Vorarlberger Landesarchiv Antwort weiß: Der
"Landesstatthalter" nach Schweizer Vorbild erinnert daran,
dass sich Vorarlberg mit seiner Landesverfassung 1923 nur
widerwillig in das zentralistische Korsett der neuen
österreichischen Bundesverfassung fügte. ****
"Häufig wird gemutmaßt, der Landtag habe mit dem
'Landesstatthalter' an die Habsburgermonarchie oder gar an
die nationalsozialistische Diktatur angeknüpft", weiß
Ulrich Nachbaur von zahlreichen Anfragen an das
Vorarlberger Landesarchiv zu berichten. Mit dem "k. k.
Statthalter für Tirol und Vorarlberg", dem Chef der
staatlichen Landesverwaltung bis 1918, oder gar mit dem
"Reichstatthalter in Tirol und Vorarlberg", dem Führer der
staatlichen Reichsgauverwaltung 1939 bis 1945, hat der
Begriff "Landesstatthalter" jedoch gar nichts zu tun. Ganz
im Gegenteil. Er soll die Eigenstaatlichkeit Vorarlbergs
betonen.
Die Landesversammlung erklärte Vorarlberg am 3. November
1918 zum selbstständigen Land im Rahmen des
Deutschösterreichischen Staates - neun Tage bevor die
Nationalversammlung in Wien Deutschösterreich zur Republik
und gleichzeitig zum Bestandteil der Deutschen Republik
erklärte. Bereits im März 1919 verabschiedete die
Landesversammlung eine Landesverfassung, die sich deutlich
an Schweizer Kantonalverfassungen orientierte. Vorarlberg
hielt sich offen, den Anschluss an die Schweiz statt an
Deutschland zu suchen. Doch mit den Friedensverträgen vom
Mai 1919 wurden alle Anschlussüberlegungen unrealistisch.
1920 verabschiedete die Nationalversammlung ein Bundes-
Verfassungsgesetz, mit dem die betont föderalistische und
direktdemokratische Vorarlberger Landesverfassung nicht in
Einklang zu bringen war.
"Mir schwebt der Gedanke an die Schweiz vor"
Der Landtag sah sich daher gezwungen, 1923 im engen
Korsett der Bundesverfassung eine neue Landesverfassung zu
beschließen. In dritter Lesung stellte der spätere
Finanzminister Johann Mittelberger (1879 bis 1963) den
Antrag, dass der Landeshauptmannstellvertreter künftig als
"Landesstatthalter" betitelt werden soll: "Mir schwebt der
Gedanke an die Schweiz vor, wo ebenfalls der Vertreter des
Landammanns nicht den Titel 'Landammann-Stellvertreter',
sondern den Titel 'Landesstatthalter' hat. Ich glaube, dass
man diesem Wunsch nachkommen könnte. Nicht nur, weil dieser
Titel schöner und anziehender ist als der Titel
'Landeshauptmannstellvertreter', den ein normaler Mensch in
der Regel nicht gebrauchen kann und mag; mir scheint durch
den Titel Landesstatthalter auch die Eigenstaatlichkeit des
Landes stärker betont zu werden, als es bis jetzt der Fall
war."
Den Titel "Landesstatthalter" als Vertreter des
"Landammanns" (Regierungschefs) gibt es heute noch in den
Kantonen Uri, Schwyz, Obwalden, als "Statthalter" in
Nidwalden, Glarus, Aargau und Zug.
Seit 1923 nur noch ein Stellvertreter des Landeshauptmanns
Vorarlberg und Burgenland kommen übrigens mit einem
Stellvertreter des Landeshauptmanns aus, während es in den
übrigen österreichischen Bundesländern zwei gibt. Die
Vorarlberger Sparvariante hängt auch damit zusammen, dass
es in Vorarlberg seit 1923 bei der Regierungsbestellung
keinen Proporz mehr gibt, sondern die Mehrheit des
Landtages die Regierung frei bestimmen kann. Seit 1870 gab
es nur eine Wahl, bei der die Vorarlberger Christdemokraten
die absolute Mehrheit im Landtag verfehlten, und das war
1999. Deshalb sah sich die ÖVP gezwungen, die Position des
Landestatthalters 1999 bis 2004 dem Koalitionspartner FPÖ
zuzugestehen.
Lange Zeit eine Juristendomäne
Da die Landesstatthalter lange Zeit für das Ressort
"Gesetzgebung" zuständig waren, dominierten über weite
Strecken Juristen in dieser Funktion. Die Vorarlberger
Landestatthalter seit 1923: Ferdinand Redler (1923-1930),
Martin Schreiber (1930-1931), Ferdinand Redler (1931-1934),
Alfons Troll (1934-1938), Martin Schreiber (1945-1954),
Ernst Kolb (1954-1959), Eduard Ulmer (1959-1963), Gerold
Ratz (1964-1973), Martin Müller (1973-1974), Rudolf Mandl
(1974-1984), Siegfried Gasser (1984-1990), Herbert
Sausgruber (1990-1997), Hans-Peter Bischof (1994-1999),
Hubert Gorbach (1999-2003), Dieter Egger (seit 2003).
(un/ug/Archiv,nvl)
OTS0121 2004-09-24/11:19
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