• 23.07.2004, 11:01:29
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Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer zur Eröffnung der Salzburger Festspiele am 23. Juli 2004

Wien (OTS) - Sperrfrist: 23. Juli 2004, 17.00 Uhr!
Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede

Ich teile mit Ihnen die Vorfreude auf die bevorstehenden
Veranstaltungen und Aufführungen der Salzburger Festspiele und
bedanke mich für die Ehre, diese zum ersten Mal eröffnen zu dürfen.

Einen ganz besonderen Dank möchte ich gleich zu Beginn an die Adresse
jener richten, die - meistens hinter den Kulissen - zu der gewaltigen
Organisation eines solchen Festspielsommers beigetragen haben und
beitragen und deren Leistungen nicht unerwähnt bleiben sollen.

Ich habe in den vergangenen Jahren oft die Gelegenheit wahrgenommen,
Aufführungen und Veranstaltungen der Salzburger Festspiele zu
besuchen und es hat manchmal ein Spannungsverhältnis zwischen meinen
subjektiven Empfindungen und den vorherrschenden beziehungsweise
veröffentlichten Meinungen zu einzelnen Aufführungen oder zu
bestimmten Themen gegeben. Aber genau das macht die Salzburger
Festspiele und die Kunst schlechthin spannend.

Zum Wesen der Kunst gehört es ja, dass der Kunstschaffende und der
Rezipient - damit meine ich die, die sich mit einem Kunstwerk
auseinander setzen - in einem komplexen, ja dialektischen Verhältnis
zueinander stehen. Einerseits müssen die beiden - also der Künstler
und sein Publikum - auf einander zugehen und zum Empfindungsaustausch
bereit sein., vielleicht sogar um eine gemeinsame Sprache bemüht
sein. Andererseits muss das Spannungsverhältnis und die
Individualität der Rezeption aufrecht bleiben. Distanzlosigkeit macht
die Kunst zur Gewohnheit, die angenehm sein kann, aber bei der die
Empfindungsintensität abnimmt. Es ist eher so, wie Thomas Mann es
einmal formulierte, dass erst die Gemeinsamkeit ermöglicht, dass man
unterschiedlicher Meinung ist. Diese Möglichkeit darf nicht
nivelliert und zugeschüttet werden.

Meine Damen und Herren!

Ich zähle es zu den Pluspunkten der Salzburger Festspiele, dass sie
auf Grund ihrer Geschichte, auf Grund ihrer Prägungen, aber auch auf
Grund ihres Selbstverständnisses immer wieder zu Assoziationen mit
bestimmten aktuellen Themen Anstoß geben.

Wenn ich mir die Nationalität der hier gastierenden Künstlerinnen und
Künstler vor Augen führe, wenn ich das Publikum betrachte, wenn ich
an die Auswahl des Festredners denke, dann spüre ich und dann weiß
ich, dass die Salzburger Festspiele ein europäisches Festival sind;
dem kommt im Jahr der Erweiterung der Europäischen Union und im Jahr
der Diskussion um eine europäische Verfassung besondere Relevanz zu.

Auch in dieser Beziehung stehen die Salzburger Festspiele in der
Tradition Hugo von Hofmannsthals, der kurz vor dem Ende des 1.
Weltkrieges die "Idee Europa" als Gegenkonzept zur Bankrotterklärung
des Krieges gesehen hat.
Die Bemühungen seiner Generation sind leider gescheitert, die Saat
einer Berta von Suttner und anderer ist zunächst nicht aufgegangen,
der Wahnsinn des 2. Weltkrieges war die nicht vorstellbare Steigerung
des vorangegangenen Wahnsinns des 1. Weltkrieges.

Und doch gibt es Fortschritt in der Geschichte.
Die Einigung Europas ist die Antwort auf die beiden verheerenden
Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine
Friedenszone von Irland bis Malta, von Estland bis Portugal ist ein
eindrucksvoller Beweis dafür, dass wir ja doch aus der Geschichte
lernen können. In Umkehrung eines verhängnisvollen Satzes römischer
Feldherren möchte ich daher sagen: "Si vis pacem para pacem", also:
"Willst du den Frieden, dann bereite den Frieden"!

Was das mit den Salzburger Festspielen zu tun hat?
Sehrt sehr viel, denke ich. Und zwar nicht nur deshalb, weil Kunst
und Politik, Kunst und Friede, Kunst und Gewalt immer wieder Themen
des Festspielprogramms sind, sondern auch deshalb, weil wir den
Römern den klugen Satz verdanken: Wo Mars regiert, schweigen die
Musen. Und ich denke, auch das Gegenteil davon ist wahr,
beziehungsweise sollte zur Wahrheit gemacht werden: Wenn die Musen
regieren, hat Mars zu schweigen. Betrachten wir das vereinigte Europa
als eine Errungenschaft, die uns hilft, den Musen ihren Stellenwert
zu geben und so dem Friedenswerk dienen. Das bedeutet ja nicht, dass
wir verpflichtet sind, jedem Kunstwerk mit Lob und Begeisterung zu
begegnen. Auch der Betrachter von Kunst hat seine Freiheit. Aber:
Kunst muss möglich sein. Und sie muss die faire Chance haben, unsere
Selbstgefälligkeit heraus zu fordern und unsere Lebenswelt auf den
Prüfstand zu stellen. Und sie darf nicht auf Festspiele und auf
exklusive Plätze im Scheinwerferlicht beschränkt sein. Kunst muss die
Chance zur Auseinandersetzung erhalten. Ich empfinde es auch als
einen perfiden Untergriff gegen die Kunst, alles und jedes gut zu
heißen. Undifferenziertes Lob verweigert den Dialog mit der Kunst
ebenso, wie jede pauschale Verurteilung. Damit umgeht man die
Auseinandersetzung. Kritik ist nicht nur erlaubt, sondern notwendig.
Sie muss allerdings die Proportionen wahren und muss sich auf
Argumente stützen, nicht auf Macht. Und sie darf nicht dazu dienen,
Kunst zu verhindern.

Ich möchte der Kunst und den Künstlern jedenfalls ein Wort der
Ermunterung sagen und sie ermutigen, uns, das Publikum ernst zu
nehmen - und heraus zu fordern.

Die Salzburger Festspiele sind eröffnet.

OTS0089    2004-07-23/11:01

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