• 16.03.2004, 19:48:08
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"Kleine Zeitung" Kommentar: "Gusenbauer nimmt Abschied von der Vranitzky-Doktrin" (von Erwin Zankel)

Ausgabe vom 17.03.2004

Graz (OTS) - Mit Verrenkungen und Hakenschlagen versuchen die
roten Parteistrategen, die Weichenstellung in Kärnten als ein
lokales Ereignis zu verniedlichen: Bloß ein Flirt an den Gestaden
des Wörthersees. Vor allem keine ernsten Absichten für eine
dauerhafte Verbindung.

Seine Kärntner Freunde hätten ja gar keine andere Wahl gehabt, als
die Wiederwahl von Jörg Haider zum Landeshauptmann zu ermöglichen,
sagt Alfred Gusenbauer. Nach der Landesverfassung seien die drei in
der Regierung vertretenen Parteien gleichsam zur Zusammenarbeit
verpflichtet. Sich diesem Gebot zu entziehen, hätte
Obstruktionspolitik und eine Lähmung des Landes bedeutet.

Gusenbauers Argumentation ist eine geschickte Verkürzung der
Wirklichkeit. Im Kärntner Landtag, von dem der Landeshauptmann
gewählt wird, gibt es mit den Grünen nun vier Parteien. Peter
Ambrozy hätte theoretisch eine rot-schwarz-grüne Ablehnungsfront
gegen Haider schmieden können. Abgesehen davon, dass er nicht die
Führungskraft hat, um eine solche Allianz zu bilden, waren aber auch
die Erfolgsaussichten gleich null.

Man soll nicht herumreden und ablenken, sondern festhalten: Blau-Rot
passt Ambrozy und Gusenbauer ins Konzept. Die Kärntner SPÖ sichert
sich Macht und Einfluss; der Parteivorsitzende eröffnet sich für die
nächsten Nationalratswahlen eine zusätzliche Option.

Gusenbauer verabschiedet sich damit endgültig von der Doktrin der
Ausgrenzung, die Franz Vranitzky gleichsam zur Staatsreligion
erhoben hat. Die Aufkündigung der kleinen Koalition 1986 nach dem
Sturz von Norbert Steger war mehr taktisch als prinzipiell
motiviert, weil das rot-blaue Zweckbündnis ohnehin abgewirtschaftet
hatte. Erst später wurde die Ausgrenzung Haiders zum kategorischen
Imperativ. Ihm unterwarf sich auch die ÖVP, die sich bis 1999
lammfromm mit der Rolle des Juniorpartners in der großen Koalition
begnügte.

Die Ausgrenzung war aus der Sicht der SPÖ ein Erfolg. Sie bot
überdies die Gelegenheit, Österreich in Gute und Böse zu teilen. Die
Ironie der Geschichte war, dass sich diese Strategie in der Zeit der
Sanktionen gegen ihre Erfinder wandte und Wolfgang Schüssel der
Profiteur war.

Gusenbauer zog die Konsequenzen. Zunächst nahm er von den Haider-
Wählern den Makel, Aussätzige zu sein; jetzt lässt er sich auch mit
dem Unberührbaren ein. Die Partei folgt nur murrend. Wer verzichtet
gerne auf das Gefühl der moralischen Überlegenheit? Gusenbauer wird
erst Recht bekommen, wenn er die Wahlen gewinnt. ****

OTS0236    2004-03-16/19:48

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