• 11.02.2004, 17:52:48
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"DER STANDARD"-Kommentar: "Mühlstein am Hals der Koalition", von Michael Völker

Karl-Heinz Grasser hat sich selbst in die politische Isolation begeben - Ausgabe vom 12.2.2004

Wien (OTS) - Der Industriellenvereinigung war Karl-Heinz Grasser
mehr wert als ÖVP und FPÖ gemeinsam. Für die Unterstützung des damals
noch blauen Finanzministers waren im Jahr 2001 insgesamt 370.000 Euro
vorgesehen, das ist mehr als die IV jährlich an Parteispenden an ÖVP
und FPÖ überweist. Das Ergebnis ist mager: Eine hausbackene Jubel-
Homepage, die anderswo um einen Bruchteil des verprassten Geldes
erstellt werden hätte können. 10.000 Euro der industriellen Spende
wurden an den KHG-Sozialfonds umgeleitet, ein beträchtlicher Teil des
Geldes versickerte aber im Umfeld des Ministers, ohne dass überhaupt
ein Ergebnis zustande gekommen wäre.

Die Etablierung der Marke KHG mit der finanziellen Unterstützung der
Industriellenvereinigung und der wohlwollenden Billigung durch die
ÖVP lässt den Schluss zu, dass bereits lange vor Knittelfeld versucht
wurde, Grasser aus seinem blauen Umfeld he^rauszulösen und ihn so dem
Einfluss Jörg Haiders zu entziehen. Letztendlich ist das zwar
gelungen, aber es ist Wolfgang Schüssel und, wenn auch nicht ganz
freiwillig, Jörg Haider gelungen.

Die Spende aus der Industrie wäre dazu gar nicht notwendig gewesen.
Sie kann aber als Teil einer langfristig angelegten Strategie
angesehen werden, einen Keil in die FPÖ zu treiben und sie - im
Idealfall durch die Neugründung einer Partei unter Grasser - zu
spalten.

Die Industriellenvereinigung hätte ihr Geld aber besser anlegen
können, als es dem flugs gegründeten "Verein zur Förderung der New
Economy" zu überlassen. Von der ursprünglichen Konzeption, Grasser
als ersten New-Economy-Minister Österreichs und als
wirtschaftsliberalen Vordenker und Dialogpartner aufzubauen, ihn als
"Moderator eines Kreises von Vordenkern, Querdenkern, Idealisten und
Idealisten" einzusetzen, wurde nichts umgesetzt.

Statt "Moderator" zu werden, geriet ein mittlerweile isolierter
Grasser auch dank des Dilettantismus seines Vereins in die Defensive.
Und mit ihm die Industriellenvereinigung, der Bundeskanzler und die
ÖVP. Da lacht sich so mancher beim Koalitionspartner FPÖ ins
Fäustchen.

Der Kanzler aber hält anscheinend unbeirrt an seinem Finanzminister
fest - nicht nur aus Dankbarkeit für die Mithilfe an einem
Wahlerfolg: Schüssel ist in eine Abhängigkeit geraten. Lässt er
Grasser fallen, wäre das auch ein Eingeständnis seiner
Fehleinschätzung.

Täglich werden neue Details bekannt, die Grasser und seinen Verein
in ein schiefes Licht stellen und der Opposition geradezu eine
Einladung sind, den angeblich besten Finanzminister zu demontieren.
So dilettantisch sein Verein agierte, so ungeschickt verhält sich
Grasser, indem er nichts zur Aufklärung der gegen ihn erhobenen
Vorwürfe beiträgt, sondern mauert - als ob er etwas zu verbergen
hätte.

Grasser ist vom Sonnyboy, den sich die Oppositionsparteien noch im
Wahlkampf im Herbst 2002 wegen dessen ausgezeichneten Umfragewerten
auch bei der eigenen Klientel nicht anzugreifen getraut hatten, zur
großen Belastung dieser Koalition geworden. Wolfgang Schüssel irrt
ganz gewaltig, wenn er meint, das Thema sei "erledigt". Das
Vermitteln von politischen Inhalten ist dank der täglich neu belebten
und durch immer neue Details so leicht belebbaren Debatte über
Grasser kaum noch möglich.

Die Oppositionsparteien haben die Schwachstelle, die Grasser
entblößt hat, richtig erkannt und bleiben konsequent dran. Das
Netzwerk aus Freunden, Bekannten und Geschäftspartnern, in dem
anscheinend das Prinzip des Geben und Nehmens hochgehalten wird, die
verschwiegenen Anteile an einem Unternehmen, das indirekt von den
Auftragsvergaben des Ministeriums oder des privaten Grasser-Vereins
profitiert, ergeben jenen Stoff, aus dem

Geschichten um Korruption, Bereicherung und Abhängigkeiten gewoben
werden.

Auch wenn nichts bewiesen ist, Staatsanwaltschaft und Steuerbehörden
prüfen, noch ohne Ergebnis - dieses Bild hat Grasser selbst
entworfen.

OTS0208    2004-02-11/17:52

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