• 11.02.2004, 17:33:54
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"Presse"-Kommentar: Die Schimäre vom ganz normalen Partner Russland (von Burkhard Bischof)

Ausgabe vom 12. Februar 2004

Wien (OTS) - Der Fall des tagelang untergetauchten
Präsidentschaftskandidaten Iwan Rybkin; die hitzige öffentliche
Debatte darüber, wie viele Menschen nun tatsächlich bei dem
verheerenden Terroranschlag auf die Moskauer Metro vergangene Woche
ums Leben gekommen sind: 39 Tote, wie offiziell behauptet oder aber
mehr als 100, wie die Tageszeitung "Nowaja Gaseta" ermittelt hat? Die
jüngsten Schlagzeilen aus der russischen Innenpolitik sind ein paar
weitere grobe Pinselstriche im politischen Sittenbild, das das größte
Land der Erde gegenwärtig bietet.
Putins Russland ist nach wie vor kein "normales Land" im
westlichen Sinne. Und nicht nur die liberale Herausforderin des
jetzigen Staatschefs bei den Präsidentenwahlen am 14. März, Irina
Hakamada, warnt: "Wir erleben die Renaissance der Sowjetunion - nur
dieses Mal ohne den Kommunismus, dafür wieder mit einer
Einparteienherrschaft."
Auch die US-Regierung ist inzwischen darauf gekommen, dass George
W. Bushs Schmusekurs gegenüber Wladimir Putin der Durchsetzung
westlich-liberaler Wertvorstellungen in Russland nicht wirklich
geholfen hat. Jetzt, im anlaufenden US-Wahlkampf, rudert Washington
zurück: Außenminister Colin Powell bewertete vor zwei Wochen in einem
Beitrag für die "Iswestija" den Stand der Demokratisierung in
Russland äußerst negativ ("die politische Macht ist noch nicht völlig
an das Gesetz gebunden"). Und der republikanische Senator John McCain
sprach jüngst bei der Münchner Sicherheitskonferenz gar offen von
einer "Erosion der Demokratie in Russland". Putins Herrschaft beruhe
weder auf Rechtsstaatlichkeit, noch auf Pluralismus und auch nicht
auf Respekt vor der Souveränität der Nachbarstaaten. Der
einflussreiche Senator aus Arizona legte auch gleich noch ein
Sündenregister vor - von der Gängelung der Opposition und der Medien
durch Moskau bis zum heimtückischen Treiben russischer Agenten in
Russlands Nachbarschaft.
Natürlich geht es zwischen Washington und Moskau letztlich genau
um diesen Punkt: um das geopolitische Ringen um Macht und Einfluss im
post-sowjetischen Raum. Die Russen versuchen dabei auszunützen, dass
die Glaubwürdigkeit Amerikas durch die außenpolitischen und
militärischen Alleingänge der jetzigen US-Regierung weltweit Schaden
genommen hat. Aber ist Moskau dadurch schon berechtigt, in der
Peripherie seines früheren Herrschaftsgebietes eine versteckte
neo-imperiale Agenda zu verfolgen?
Putin hat Russland in den vergangenen vier Jahren gewiss
Stabilität gebracht - allerdings die Stabilität einer Autokratie. Die
politischen Reflexe der jetzigen Herrschaftselite in Moskau nach
innen und nach außen sind bürokratisch und autoritär. Das zeigt sich
etwa in der Verfolgung des politisch unliebsam gewordenen Oligarchen
Michail Chodorkowskij; das zeigt sich aber auch, wenn neuerdings
wieder westliche Journalisten, die kritisch über die
Menschenrechtslage in Russland und den Krieg in Tschetschenien
berichtet haben, kein Einreisevisum mehr bekommen, also ausgesperrt
werden.
Putin kann bei den Wahlen am 14. März nach Stand der Dinge mit 80
Prozent Zustimmung der Wähler rechnen. Nichts deutet derzeit aber
darauf hin, dass er seine zweite Amtszeit dazu nutzen wird, das Land
hin zu einer echter Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu steuern.
Russland wird also in der Ära Putin-II vielleicht ein stabiles,
aber sicher kein normales demokratisches Land werden. Für die USA,
aber genauso für die EU kann das nur bedeuten, dass es normale
Beziehungen zu Moskau nicht geben kann: Das heißt in der Praxis, dass
Russlands Demokratie-Defizite nicht weiter schamhaft verschwiegen
werden können, wie das der US-Präsident und viele europäische
Regierungschefs in den vergangenen vier Jahren getan haben, ohne
damit irgendeine Verhaltensänderung ihres "guten Freundes" Putin zu
bewirken.

OTS0207    2004-02-11/17:33

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