• 02.02.2004, 11:09:52
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  • OTS0065 OTW0065

ARBÖ: Beim Überqueren ohne Schutzwegen sind Lenker und Fußgänger gefordert

Laut OGH müssen Fußgänger generell aufpassen, in speziellen Fällen sind Lenker dran

Wien (OTS) - Generell müssen Fußgänger sehr genau aufpassen, wenn
sie die Straße außerhalb der Schutzwege überqueren wollen. Denn kommt
es zu einem Unfall, tragen sie die Verantwortung, wenn sie die nötige
Sorgfalt vermissen haben lassen. Anders ist es bei speziellen
Fußgängergruppen, wie Kindern oder gebrechliche Menschen: ihnen
gegenüber gilt der Vertrauensgrundsatz nicht und die Fahrzeuglenker
werden in die Pflicht genommen, bekräftigte der Oberste Gerichtshof
(OGH). Die ARBÖ-Verkehrsjuristin Dr. Barbara Auracher-Jäger rät zur
größter Vorsicht auf beiden Seiten.

Fußgänger, die außerhalb von Zebrastreifen und sonstigen
Schutzwegen die Straße überqueren, müssen in der Mitte stehen bleiben
und sich noch einmal vergewissern, dass kein Fahrzeug kommt,
bestätigte der OGH seine ständige Rechtssprechung. Davon können die
Autofahrer "grundsätzlich" ausgehen, sie müssen die Geschwindigkeit
nur geringfügig drosseln.

"Die Betonung liegt auf grundsätzlich", erläutert die
ARBÖ-Verkehrsjuristin Dr. Barbara Auracher-Jäger. "Bei bestimmten
Gruppen von Fußgängern können sich die Autofahrer trotzdem nicht auf
die Fußgänger verlassen". Wenn Kinder-Seh- und Hörbehinderte,
gebrechliche Personen oder Betrunkene die Straße überqueren, sind
wieder die Autofahrer gefordert. In diesen Fällen gilt der
Vertrauensgrundsatz nach Paragraf 3 Straßenverkehrsordnung (StVO)
nicht.

Der OGH-Fall im Detail

An einem Oktobertag gegen 17 Uhr ereignete sich im Ortsgebiet von
P. ein Verkehrsunfall, an dem ein Fußgänger (Kläger) und eine
Pkw-Lenkerin (Erstbeklagte) beteiligt waren. Die Fahrbahn war nass,
es herrschte Dämmerung und die Straßenbeleuchtung war eingeschalten.

Der Kläger wollte die Straße überqueren, ein Schutzweg war nicht
vorhanden, aufgrund einer Gehbehinderung ging er am Stock. Als er die
Straßenmitte erreichte, blickte er nach rechts, sah die
Abblendlichter eines ca. 26 m entfernten Pkw und setzte die
Überquerung der Fahrbahn fort, weil er meinte, den gegenüberliegenden
Gehsteig noch erreichen zu können. Er wurde jedoch vom Fahrzeug der
Erstbeklagten erfasst und schwer verletzt, weil diese ihn erst
wahrgenommen hatte, als sie nur mehr 2 bis 3 Fahrzeuglängen entfernt
war.

Das Erstgericht ging vom Alleinverschulden der Pkw-Lenkerin
(Beklagten) aus und gab dem Klagebegehren zur Gänze statt, das
Berufungsgericht bestätigte das Urteil.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte zunächst die Ausführungen des
Berufungsgerichtes, wonach gemäß Paragraf 76 Abs 4 lit b StVO an
Stellen, wo der Verkehr weder durch Arm- noch durch Lichtzeichen
geregelt wird, Fußgänger, wenn ein Schutzweg nicht vorhanden ist,
erst dann auf die Fahrbahn treten dürfen, wenn sie sich vergewissert
haben, dass sie andere Straßenbenützer nicht gefährden. Gemäß
Paragraf 76 Abs 5 StVO dürfen Fußgänger beim Überqueren der Fahrbahn
den Fahrzeugverkehr nicht behindern. Außerhalb eines Schutzweges
dürfen sie die Fahrbahn nur an Kreuzungen überqueren, es sei denn,
dass die Verkehrslage ein sicheres Überqueren auch an anderen Stellen
zweifellos zulässt (Paragraf 76 Abs 6 StVO).

Daher entspricht es der ständigen Rechtssprechung des Obersten
Gerichtshofes, dass Fußgänger vor Betreten der Fahrbahn sorgfältig
prüfen müssen, ob sie diese noch vor Eintreffen eines herannahenden
Fahrzeuges mit Sicherheit überqueren können. Allerdings ist eine
geringfügige Verminderung der Geschwindigkeit jedem Fahrzeuglenker
zuzumuten.

Ebenfalls der ständigen Rechtssprechung entspricht es, dass sich
jeder Fußgänger beim Überqueren einer breiten Fahrbahn bei Erreichen
ihrer Mitte vergewissern muss, ob sich nicht von seiner rechten Seite
her ein Fahrzeug nähert und stehen bleiben muss, wenn ein Fahrzeug
schon so nahe ist, dass er die Fahrbahn nicht mehr vor diesem
gefahrlos überschreiten kann. Es darf daher grundsätzlich jeder
Fahrzeuglenker darauf vertrauen, dass sich ein Fußgänger bei
Erreichen der Fahrbahnmitte von der weiteren Durchführbarkeit der
Überquerung überzeugt.

Im vorliegenden Fall hat die Pkw-Lenkerin den Fußgänger jedoch
erst nach Überschreiten der Fahrbahnmitte wahrgenommen, darüber
hinaus gilt aufgrund des Alters des Klägers und der Gehstockbenützung
der Vertrauensgrundsatz nicht. Die Lenkerin wäre nach ständiger
Rechtsprechung verpflichtet gewesen, die gesamte vor ihr liegende
Fahrbahn einschließlich der beiden Fahrbahnränder und etwaiger
anschließender Verkehrsflächen im Auge zu behalten, dann hätte sie
den von links nach rechts gehenden Fußgänger wahrnehmen müssen.

Da der Oberste Gerichtshof für entscheidend erachtet, welche
zeitlichen Verhinderungsmöglichkeiten der Pkw-Lenkerin zur Verfügung
gestanden wären, wenn sie den Fußgänger bereits bei Erreichen der
Fahrbahnmitte wahrgenommen hätte, wurden die Entscheidungen der
Vorinstanzen aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche
Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

(jur)

OTS0065    2004-02-02/11:09

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