- 26.01.2004, 17:56:06
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"DER STANDARD"-Kommentar: "Ein Fossil wird lebendig" von Conrad Seidl
Die Arbeiterkammern gewinnen Bedeutung - mehr, als der Regierung lieb sein kann, vom 27.1.2004
Wien (OTS) - Redet noch jemand von "Zwangsmitgliedschaft"? Der
Terminus war in den Acht^ziger- und frühen Neunzigerjahren ein gerne
gebrauchtes Schmähwort - nicht nur im Fundus der Freiheitlichen,
sondern auch vieler Liberaler und Konservativer. Die Kammern galten
als Hort undurchsichtiger Interessenpolitik.
Selbst den Akteuren schien es recht zu sein, wenn über die Kammern
nicht allzu viel in den Medien zu erfahren war - denn speziell bei
der Arbeiterkammer hieß Öffentlichkeit damals üblicherweise:
Ver^öffentlichung von als skandalös empfundenen Mehrfachbezügen.
Sonst wusste man wenig davon, was die Arbeiterkammer tut. Nur, dass
man zahlen musste, weil jeder Arbeitnehmer Pflichtmitglied war. Und
dass man alle paar Jahre wählen durfte - was nie auf allzu großes
Interesse stieß. Man wusste ja, wie die Dinge lagen: Die AK, das ist
eine weit gehend "rote" Kammer (wie die Wirtschaftskammer eine
"schwarze" ist) - einzelne Stimmen für schwarze oder kommunistische,
freiheitliche oder grüne Minderheitenfraktionen änderten daran wenig.
Und es herrschte eine allgemeine Stimmung, die gegen die
Sozialpartnerschaft im Allgemeinen und gegen die
Pflichtmitgliedschaften in den Kammern im Speziellen gerichtet war.
Jörg Haider, der jederzeit eine feine Nase für solche Stimmungen
hatte, trommelte kräftig - die Kämmerer schienen sich zu Tode zu
fürchten, zumindest politisch.
Dass diese Stimmung heute völlig verflogen ist, ist nicht das
Verdienst der Arbeiterkammern allein: Es waren die
Landwirtschaftskammern, die als Erste eine Urabstimmung über die
Pflichtmitgliedschaft durchgeführt haben (und sie dank massiver
Aufklärung über die Servicefunktionen der Kammer haushoch gewonnen
haben). Es war der Gesetzgeber, der damals noch mit rot-schwarzer
Mehrheit die Strukturen (inklusive oft intransparenter
Gehaltsstrukturen) bereinigte und die AK weitest gehend vom Geruch
des Bonzentums befreite.
Das Verdienst der Kammer und ihrer Funktionäre ist aber, dass sie
die Chancen genützt haben: Die AK ist heute als Service- und
Rechtshilfeorganisation so unbestritten, dass Angriffe auf die
Organisation auf weit gehendes Unverständnis stoßen. Es ist kein
Zufall, dass Jörg Haider und die Seinen derzeit so sanft auftreten;
punkten kann man allenfalls, wenn man noch weitere Verbesserungen
verlangt - nicht, wenn man die Institution an sich infrage stellt.
Punkten kann man aber auch, wenn man die Sozialpartnerschaft, die in
den Neunzigerjahren als Fossil im Schatten der großen Koalition
gegolten hatte, ernst nimmt. Und auch da haben sich die Kämmerer
geschickt verhalten: Sie haben das in ihren Fachabteilungen
erarbeitete Wissen klug vermarktet. Sie haben sich kooperativ
gezeigt, wo es notwendig erschienen ist (etwa im Konsumentenschutz,
bei dem auch der freiheitliche Justizminister gelernt hat, was die
Kammer-Expertise wert ist) - und sie sind trotzdem auf die Straße
gegangen, wenn es opportun war.
Das war es in den letzten Jahren öfters - die Kammerfunktionäre
setzten einfach statt der AK- die ÖGB-Kappe auf und marschierten
gegen das, was nach ihrer Beurteilung "arbeitnehmerfeindliche Politik
der Regierung" war.
So ist das Fossil AK gleich doppelt zu neuem Leben erwacht: als
Serviceorganisation und als politische Vertretung. So fügt es sich,
dass einige Monate nach den vom ÖGB inszenierten Streiks eine
Möglichkeit entsteht, die Position der Arbeitnehmervertretung
festzulegen. Arbeitnehmer, die für die Politik der Regierung sind,
können ja deren AK- Fraktionen stützen (vor allem, wenn diese mutig
genug sind, die Reformen ihres Lagers auch offensiv zu vertreten).
Arbeitnehmer, die gegen den schwarz-blauen Reformkurs sind, wissen
auch, wo ihre Stimmen gut aufgehoben sind.
Dann steht der Regierung nach der Wahl eine kompetente
Arbeitnehmervertretung gegenüber - vielleicht stärker, als der
Regierung lieb sein kann. Aber eben am grünen Tisch - und nicht an
der Streikfront.
OTS0189 2004-01-26/17:56
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