• 14.11.2003, 18:05:56
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"Die Presse" - Kommentar: "Das Ende eines überflüssigen Streiks" von Andreas Unterberger

Ausgabe vom 15.11.2003

Wien (OTS) - Gewerkschaften sind fast nur noch im öffentlichen
Bereich imstande, Streiks zu organisieren. Die übrigen Arbeitnehmer
haben nämlich längst begriffen, dass Ausstände ihnen selbst
mindestens ebenso schaden wie dem Arbeitgeber. Effiziente Streiks
schaden den Umsätzen, auch langfristig. Schlechte Umsätze sind
schlecht für die Arbeitsplätze; bisweilen auch für die Firma.
Geschieht dem Chef schon recht, wenn meine Finger abfrieren, ist kein
rationales Handlungsprinzip.
Nur im öffentlichen Bereich gibt es keine Konkurse. Nur dort ist
der Arbeitgeber auch politisch erpressbar (während kein Firmenchef
sich Wahlen stellen muss, bei der sich Mitarbeiter heimlich rächen
können). Nur dort sind Privilegien entstanden, die für den Rest
Österreichs einfach nicht mehr erträglich sind.
Haben nun auch die Eisenbahner das alles begriffen? Das Auslaufen
ihres Streiks ist noch kein Beweis für die Rückkehr der Vernunft.
Vielleicht bauen sie noch einmal darauf, dass ein Bahnstreik seit der
Zwischenkriegszeit ein absolutes Trauma ist. Wegen der früheren
Bedeutung der Bahn haben sich ja Zustände entwickelt, bei denen man
sich nicht einmal von total unwilligen Mit"arbeitern" trennen konnte,
bei denen Österreichs Eisenbahner um zehn Jahre früher in Pension
gehen als andere, bei denen die Gewerkschafter selbst den Dienstplan
machen - was wenig überraschend eine absolute Überstundenoptimierung
bringt.
Dennoch stellen ORF-Moderatoren mit von Empörung geprägter Stimme
die Frage nach einer Teilprivatisierung der Bahn. Ob überhaupt jemand
bereit wäre, sein Geld in diese Bahn zu investieren, wird hingegen
nicht gefragt. Es wird zwar ständig von den Problemen der britischen
Bahn gesprochen, von der nicht privatisierten Londoner U-Bahn jedoch
überhaupt nicht, obwohl deren Zustand viel jämmerlicher ist. In
Wahrheit ist auch in Großbritannien nicht die Privatisierung das
Problem, sondern die Jahrzehnte ohne jede Investition in die damals
rein staatlichen Schienensysteme. Und heute wird in die privatisierte
Bahn weit mehr investiert als in die U-Bahn.
Erfolg hat offenbar das Verlangen gefunden, dass der Staat den
ÖBB-Streit den Sozialpartnern überlassen soll. Das klingt vernünftig,
ist aber in Wahrheit brandgefährlich: Denn der schwache ÖBB-Vorstand
wird sich gegen das Diktat der Gewerkschaft viel weniger durchsetzen
können als die Regierung. Ist der Vorstand doch auch in den letzten
Jahrzehnten daran gescheitert.
Das wäre in der Privatwirtschaft bloß privates Risiko. Im Fall der
ÖBB zahlen jedoch wir alle jedes einzelne Privileg, das sich die
Gewerkschaft in den Kollektivvertrag schreiben kann. Der Steuerzahler
sitzt jedoch nicht am Verhandlungstisch. Oder wird Herr Leitl
persönlich für den Schaden haften, der durch einen nun aufgeweichten
Kollektivvertrag von uns allen zu tragen sein wird? War es doch
wieder er, der die geschlossene Front der wirtschaftlichen Vernunft
durchbrochen hat.
Aber auch die Sündenliste der Regierung ist lang: Der ständige
Wechsel der freiheitlichen Verkehrsminister war ebenso
kontraproduktiv wie der Austausch an der ÖBB-Spitze. Die Koalition
hat auch die schwachsinnige Fehlinvestition in den Koralm-Tunnel zu
verantworten (Jörg Haiders Privatbahn). Sie hat sich bis heute unter
dem Druck der Länder nicht zu einer Schließung aller unrentablen
Nebenbahnen durchgerungen. Und sie hat die widersinnige Fusion des
Post-Busses mit dem Bahn-Bus zu verantworten. Statt Kosten-senkenden
und Service-erhöhenden Wettbewerbs und Hereinnahme privater Anbieter
hat man einen neuen streiklustigen Moloch gezüchtet.
Auch wenn es zu früh für eine Endbilanz ist, so bleibt die größte
Sorge und das größte Risiko des Nachgebens der Regierung beim
Dienstrecht: Kommt am Ende eine Lösung heraus, die den
Privilegienstadl nur verlängert? Wozu hätten die Österreicher dann
die Krot des Arbeitskampfes geschluckt?

andreas.unterberger@diepresse.com

Haben die ÖBBler die Lektion gelernt, dass Streiken die eigene
Zukunft gefährdet - auch im öffentlichen Dienst?

OTS0274    2003-11-14/18:05

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