• 07.11.2003, 16:26:27
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Einem zu EU-Konvent: "Binnenmarkt ist nicht mehr das Ziel, sondern das Mittel zur Wohlfahrt für die BürgerInnen"

Wien (SK) Mit der Frage "Eine neue Wirtschaftsordnung für
Europa? - Zwischen wirtschaftspolitischer Koordinierung, neuer
Ordnungspolitik und Regierungskonferenz" befasste sich Klaus
Gretschmann (Generaldirektor im Generalsekretariat des Rats, Brüssel)
in einem Referat im Renner-Institut am Freitag. Im Anschluss an das
Referat diskutierten der Vizerektor für Finanzen der
Wirtschaftsuniversität Wien und ehemalige Vizepräsident der
Europäischen Investmentbank Ewald Nowotny und SPÖ-Europasprecher
Caspar Einem. Der Verfassungsentwurf des EU-Konvents bringe einen
Orientierungswandel mit sich, so Einem. "Der Binnenmarkt nicht mehr
das Ziel, sondern das Mittel für das neue Ziel, die Wohlfahrt der
BürgerInnen." ****

Einem hielt fest, dass die strikten Formen des
Stabilitätspaktes einstmals von Deutschland aus Angst vor Italien
gefordert worden waren. "Europäische Politik kann für die heimische
Galerie gespielt werden oder für europäische Interessen", so Einem.
Es zeige sich am Beispiel Deutschlands, dass eine Politik für
nationale Interessen nach dem Motto "Brot oder Spiele" nicht
zwangsläufig vorteilhaft ist. Dass es in der Wirtschaftspolitik nur
zu einer "lockeren Koordinierung" komme, müsse man als "wenigstens
das" beschreiben, so Einem, angesichts der vielen nationalen
Interessen.

Der Verfassungsentwurf des EU-Konvents bringe allerdings einen
Orientierungswandel mit sich. Der Binnenmarkt sei nun nicht mehr das
Ziel, sondern das Mittel für das Ziel "der Wohlfahrt der Bürgerinnen
und Bürger", hielt Einem fest.

Die EU sei ein Instrument, um bessere Politik zu machen, so Einem,
das aber des Interesses der Bürger bedürfe. "Es lohnt sich, den
nationalen Spielern in Brüssel auf die Finger zu schauen", so Einem,
und alle, die sich über die "hohen Herrn in Brüssel" ärgern würden,
hätten durch Wahlen die Möglichkeit, ihre nationalen Vertreter in
Europa neu zu besetzen.

Bisher sei die europäische Integration vor allem ein Modell der
Liberalisierung gewesen, führte Gretschmann in seinem Referat aus. In
der Kommission sei der reine Liberalisierungsansatz vorherrschend, so
Gretschmann, es sei aber auch hier in den letzten zwei bis drei
Jahren eine Tendenz der Abkehr vom Marktfundamentalismus zu aktiver
Wirtschaftssteuerung hin erkennbar. Im Rat und im Europäischen
Parlament würden hauptsächlich nationale wirtschaftliche Interessen
den ordnungspolitischen Ansatz bestimmen. "Jeder fischt für seine
eigenen Interessen", beschrieb Gretschmann. Diese Uneinigkeit auf
verschiedenen Ebenen würde aber zu großen Problemen in der
Koordination der Wirtschaftspolitik führen.

Zur Thematik des Stabilitätspaktes und dem Umgang mit diesem
fragte Gretschmann, ob das Festhalten an diesem nicht den Euro
gefährde. Eine Konsolidierung in Deutschland und Frankreich könnte
das Wachstum um ein Prozent senken. "Der Stabilitätspakt ist
konjunkturblind", so Gretschmann, es bedürfe einer neuen
Interpretation und einer Modifizierung.

Auch Nowotny sprach davon, dass der "Zwang zur Konsolidierung" das
"schwache Pflänzchen Konjunktur" abwürgen würde, dies hätte sowohl
wirtschaftliche als auch politische Probleme zur Folge. Kurz vor der
"Riesenherausforderung" der EU-Erweiterung, sei eine starke
wirtschaftliche Position wichtig, so Nowotny.

Gretschmann und Nowotny hielten fest, dass der Vergleich
Europas mit den USA auch ein Vergleich von zwei verschiedenen
Gesellschaftsmodellen sei. Das Schwergewicht in sozialen Ausgaben und
nicht im Erreichen des militärischen Levels der USA zu suchen, sei
für ihn erstrebenswert, so Nowotny. Gretschmann meinte, es sei eine
"Positionierung der Völker und Bürger", ob sie das amerikanische
Gesellschaftsmodell übernehmen wollen würden. (Schluss) js

OTS0272    2003-11-07/16:26

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