• 08.10.2003, 15:47:38
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BIOPATENT-RICHTLINIE: DIE STIMMEN DER EXPERTEN Auch die Experten vertreten unterschiedliche Standpunkte

Wien (PK) - Nach den PolitikerInnen kamen bei der Enquete über
die Biopatent-Richtlinie die ExpertInnen zu Wort. Auch in dieser
Runde wurden die unterschiedlichen Standpunkte deutlich.

Gynäkologe Johannes Huber, Vorsitzender der Bioethik-Kommission
beim Bundeskanzleramt, räumte ein, dass die Problematik extrem
komplex und facettenreich sei, er sprach sich aber klar für eine
Umsetzung der EU-Biopatentrichtlinie in Österreich aus. Die
österreichische Bevölkerung solle einen Zugang zur
biomedizinischen Forschung haben und dieser dürfe nicht
schlechter sein als in anderen Ländern, argumentierte er. Die
Umsetzung der Biopatentrichtlinie wäre ein Schritt in diese
Richtung, dem, so Huber, jedoch weitere Schritte folgen müssten.

Als besonders wichtig qualifizierte es Huber allerdings, im
Rahmen der Umsetzung der Richtlinie die Möglichkeiten des
Monitorings so weit wie möglich auszunutzen und darüber hinaus
die Patenterteilung genau zu überwachen. Man müsse sich in
zunehmender Weise den Kopf darüber zerbrechen, wie die
Patentämter observiert werden können, meinte er.

Was für die Umsetzung der Biopatentrichtlinie spricht, ist Huber
zufolge nicht zuletzt die Tatsache, dass die Materie immer
komplexer wird und sich die Situation beispielsweise in zwei
Jahren noch komplizierter darstellen werde. Selbst wenn man bis
dahin eine befriedigende Lösung für die heutigen Fragestellungen
gefunden hätte, würde es bereits neue Problemstellungen geben,
skizzierte er und prophezeite, das Parlament werde der
Entwicklung der Biotechnologie und der Medizin immer
hinterherlaufen. Gerade deshalb hält Huber es für wichtig, mit
einer Basiskonvention Unklarheiten einzugrenzen und zu
limitieren.

Huber gab weiters zu bedenken, dass Patente eine ökonomische
Verwertung von Erfindungen schützten, wissenschaftliche Forschung
auf dem entsprechenden Gebiet aber nicht behinderten. Seiner
Ansicht nach gilt es außerdem, zwischen angemeldeten und
tatsächlich erteilten Patenten zu unterscheiden.

Zum Thema Ethik merkte Huber an, im angelsächsischen Raum stehe
nicht so sehr die Individualethik im Vordergrund, sondern der
Utilitarismus. Der ethische Aspekt werde danach bewertet, welchen
Vorteil eine Gemeinschaft habe. Huber selbst misst, wie er sagte,
Güterabwägung große Bedeutung bei.

Othmar Kloiber (Deutsche Bundesärztekammer) führte ins Treffen,
durch diese Richtlinie werde ein Wettbewerbsregulativ auf den
Bereich der Medizin übertragen. Dies komme einem
Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik gleich und mache die
Medizin zu einer Handelsware.

Das Argument, dass nur Patente Investitionen fördern können, ließ
Kloiber nicht gelten. Die Medizin habe sich im Lauf der
Jahrhunderte auch ohne Patente sehr rasant entwickelt, meinte er.
Wenn nun aber wissenschaftliche Schritte patentfähig werden, dann
dürfen in Zukunft patentrelevante Informationen nicht vor ihrer
Patentierung veröffentlicht werden, warnte er. Dies bedeute eine
massive Beschränkung der medizinischen Publikationen und eine
wesentliche Verzögerung der Kommunikation unter den Forschern.
Als Folge müssten dann medizinische Versuche wiederholt werden,
die sonst nicht notwendig wären, was, wie Kloiber zu bedenken
gab, zu ethischen Problemen führe.

Wolfgang Schallenberger (Wirtschaftskammer Österreich)
befürwortete hingegen aus Sicht der kleinen
forschungsorientierten Biotech-Unternehmungen die Umsetzung der
Richtlinie. Diese Betriebe würden mit viel wirtschaftlichem
Risiko arbeiten, die Entwicklungszeiten ihrer Produkte seien sehr
lang, entsprechend schwierig wäre es daher auch, ein solides
Geschäftskonzept zu erarbeiten, auch würden diese kleinen Firmen
kaum über materielle Werte verfügen, argumentierte er. In dieser
Situation sei geistiges Eigentum oft der einzige reale
Vermögenswert, an den sich ein Investor halten kann. Nach Meinung
Schallenbergers gebe es daher keinen anderen vernünftigen
Investitionsschutz als eine Stärkung des Patentschutzes.

Gerade der Biotech-Sektor sei in Österreich nur schwach
entwickelt. Dies führe zu einer starken Abwanderung an Forschern
aus Österreich und zu versteckter Arbeitslosigkeit in diesem
Bereich. Wäre die Biotechnologie stärker ausgebaut, dann würde
Österreich das angestrebte Ziel bei der F&E-Quote nicht nur
erreichen, sondern komfortabel übertreffen, glaubte
Schallenberger. Österreich brauche eine leistungsfähige,
dynamische Biotech-Industrie, ein adäquater Schutz des geistigen
Eigentums sei unverzichtbare Voraussetzung dafür, resümierte er.

Christine Godt (Universität Bremen/Zentrum für Europäische
Rechtspolitik) wies auf den Charakter der Richtlinie als
europäischen Kompromiss hin und betonte, bei der Umsetzung gehe
es um eine Gestaltung und nicht um bloßes Abschreiben.
Hinsichtlich der Patentfähigkeit von isolierter DNA würden der
politische Wille des Europäischen Parlamentes und die
juristischen Formulierungen des Textes einander widersprechen,
strich sie unter Hinweis auf Entschließungen des Parlamentes
heraus. Sie sah deshalb die nationalen Parlamente aufgefordert,
auf Neuverhandlungen zu drängen.

Die nationalen Parlamente hätten darauf zu achten, dass der
politische Kompromiss, der auf europäischer Ebene gefunden wurde,
nicht bei der Umsetzung verloren geht, mahnte sie. Die jeweiligen
Gesetzgeber treffe daher eine neue Verantwortung, diesen
Kompromiss als Antwort auf die ethischen und sozialen Belange in
das nationale Recht überzuleiten, sagte Godt. (Forts.)

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OTS0238    2003-10-08/15:47

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