• 24.01.2003, 10:00:00
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LEOPOLD MUSEUM präsentiert "DER NEUE STAAT. Polnische Kunst zwischen Experiment und Repräsentation von 1918 bis 1939."

Wien (OTS) - Vom 25. Januar bis 31. März 2003 zeigt das LEOPOLD
MUSEUM, im Rahmen des Polnischen Jahres in Österreich, die
Ausstellung "Der Neue Staat. Polnische Kunst zwischen Experiment und
Repräsentation." Präsentiert wird das Kunstgeschehen im Nachbarstaat
aus der Zeit von 1918 bis 1939. 200 Werke von 84 Künstlern und
Künstlerinnen werden in markanten Werkgruppen aus den Bereichen
Malerei, Skulptur, Zeichnung und Kunstgewerbe gezeigt. Präsentiert
werden darüber hinaus Beispiele "neuer Massenmedien" wie Plakatkunst,
Industriedesign, Typografie, Fotografie und Film. Erstmals wird in
Österreich ein solch breites Spektrum an künstlerisch polarisierenden
Positionen vorgestellt. Vielfältige Kunstvermittlungsprogramme
begleiten die Schau. Die konkreten Angebote und Termine entnehmen Sie
bitte unserer Website: http://www.leopoldmuseum.org

Ausstellungskonzept

Eine zentrale Position in der Ausstellung nehmen die Werke und
theoretischen Überlegungen des Künstlers, Logikers und Philosophen
Leon Chwistek (Krakau 1884 - Moskau 1944) ein. Chwistek führt bereits
1918 in Auflehnung gegen das dualistische Modell der ersten
Avantgarden das Theorem der "Pluralität der Wirklichkeit in der
Kunst" ein. In den folgenden Jahren plädiert er in interdisziplinären
Diskursen über Kunst, Mathematik, Poesie, Architektur und Politik im
Gegensatz zum Agitprop und zur missionarischen Geste der
Avantgardisten für eine offene, moderne und transnationale
Gesellschaft. In der Kunst entwirft Chwistek die Theorie des
Strefismus (poln. Strefizm), derzufolge eine Bildfläche mittels
Farben und Formen, die in kontrastreichen Zonen angeordnet sind,
konstruiert wird. Die Kuratorinnen versuchen eine auf Chwisteks
Zonentheorie basierende Matrix auf das Spektrum des damaligen
Kunstschaffens anzuwenden und daraus acht divergierende ZONEN
abzuleiten.

Die zentrale Zone DER NEUE STAAT enthält mehrere einander
durchdringende rivalisierende Werkgruppen, Denkmäler und Monumente,
die sich mit dem Phänomen der Repräsentation in einem öffentlichen
urbanen Raum auseinandersetzen. Anhand dieser medial erschaffenen
Raumstruktur soll untersucht werden, welche Art von Kunst für die
Präsenz und Repräsentation des neuen (National-)Staates zur Verfügung
steht. Zum einen wird hier eine Kunst des "Heraufbeschwörens der
Vergangenheit" durch Aufsehen erregende Stilisierung vorgestellt
(Stanislaw Szukalski, Leon Chwistek), zum anderen eine Kunst, die zu
einer Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum genötigt wird
(Marek Wlodarski), aber auch eine Kunst, die experimentell die
visuelle Sprache von Gegenwart und Zukunft in den Dienst der
Information und Kommunikation mit dem Massenpublikum stellt, um
dieses mit propagandistischen Illusionen ähnlich der Werbung zu
beeinflussen oder zu verführen (Tadeusz Gronowski, Stefan Norblin,
Teresa Zarnower). Neben den Bildfindungen der traditionellen "freien"
Kunstmedien wie Malerei und Skulptur (Ludomir Slendzinski, Edward
Wittig) sind vor allem die Bilder der neuen "mechanischen"
(Kunst-)Massenmedien wie Film (Jalu Kurek, Franciszka und Stefan
Themerson), Fotografie (Stanislaw Ignacy Witkiewicz), Typographie
(Henryk Berlewi, Wladyslaw Strzeminski), Zeitung (Tadeusz Peiper) und
Plakate vertreten. Damit wird die neue Teilung der Gesellschaft in
Individuen (Bürger) und Masse thematisiert.

NEUE WELTEN und NEUE FORMEN stellen zwei miteinander verbundene
amorphe und temporäre Zonen des Alltags und der Kunstwelt dar, die,
den Aporien einer avantgardistischen Moderne folgend, sich ständig
verändern und erneuern. Die Kunstwerke von Leon Chwistek, Tytus
Czyzewski, Zbigniew Pronaszko, Wiktoria Gorynska, Wladyslaw Roguski,
Leon Dolzycki, Konrad Winkler, Waclaw Wasowicz, Wladyslaw
Strzeminski, Waclaw Szpakowski und Stanislaw Rzecki, die auf den
innovativen Errungenschaften des Kubismus, Futurismus,
Konstruktivismus, Dadaismus und Surrealismus aufbauen und sie
transformieren, geben Einblick in die jeweilige Umbruchphase und
lassen ein eigenes neues Konstruktionsprinzip großteils anhand von
tradierten Sujets wie dem Porträt erkennen. Aber auch Exponate
angewandter Kunst wie Kaffeetassen (Bogdan Wendorf), Möbel (Jerzy
Hulewicz, Jan Kurzatkowski, Wojciech Jastrzebowski) oder Keramik
(Jozef Szewczyk) drücken die Sehnsucht nach einer ästhetischen
Erneuerung der alltäglichen Lebensräume aus. Die zunehmende
Aufmerksamkeit dem Kunstgegenstand gegenüber ergibt sich aus dem
Bedürfnis nach Geborgenheit, Glück und Schönheit im Neuen Staat. Die
Verknüpfung der (polnischen) Tradition mit modernen Ideen und Formen
bildet die Grundlage für die "Pluralität der Wirklichkeit" (Leon
Chwistek) der Neuen Welten und Neuen Formen.

NEUES LAND rekapituliert die durch die Illusionskraft der Malerei
und die Vervielfältigungstechnik des Plakats im Zeitalter der
zunehmenden Mobilität veränderte Landschaftsauffassung im Neuen
Staat. Die 20er und vor allem die 30er Jahre des vergangenen
Jahrhunderts, die Epoche der Industrialisierung Polens, brachten
einen neuen Stil in der Landschaftsmalerei mit sich. Einerseits galt
es die große Diskrepanz zwischen der Kraft der Natur und der
zerstörerischen Macht des allem unterworfenen Menschen kritisch zu
deuten, andererseits kam es infolge des Wachstumsschubs in der
Tourismusbranche zu einer wechselseitigen Beeinflussung der
traditionellen Kunstgattungen wie der Malerei (Rafal Malczewski,
Ludomir Slendzinski, Jan Spychalski) und der attraktiven, ideologisch
geprägten Sprache der Reklame (Edmund Ludwik Bartlomiejczyk, Wojciech
Kossak).

Die Zone der REALISMEN bezieht sich auf die traditionelle
Darstellungsform der unmittelbaren Umwelt und bleibt dem
historisierend-klassizistischen "Erinnerungsraum" verhaftet. Aber
auch bei den Realisten ist ein neues Wirklichkeitsgefühl spürbar.
Dieses drückt sich in einer Palette künstlerischer Stile aus: dem
melancholischen (Boleslaw Cybis, Roman Kramsztyk, Wladyslaw Lam,
Ludomir Slendzinski), dem sensationellen (Jan Godard), dem
fantastischen (Jacek Malczewski) und dem grotesken (Bronislaw
Wojciech Linke, Antoni Michalak). Für Leon Chwistek entfalten sich in
dieser Zone, die der physikalischen Natur der Dinge entspricht, die
Anatomie und die Perspektiventheorie als "universal wirkende
Registrierung des Experiments" in der Malerei.

KOLORISMEN - diese Zone zeichnet sich durch eine gemäßigte
Modernität aus, deren Anhänger sich sowohl über die radikale
Avantgarde als auch über die traditionalistische Narrativität einer
auf Inhalte bezogenen Kunst hinwegsetzen. Statt Manifeste und
Proklamationen zu verfassen, schreiben sie lieber Tagebücher und
Briefe an Freunde. Statt politisch zu wirken, huldigt man konsequent
der Autonomie der Farbe und hält sich von jeglichen nationalen
Idiosynkrasien fern. Die polnischen Koloristen wie Jan Cybis, Jozef
Czapski, Felicjan Szczerski Kowarski, Piotr Potworowski, Waclaw
Taranczewski und Romuald Kamil Witkowski erheben die Farbe zum
absoluten Stoff ihrer Kunst, der Komposition, Struktur, Oberfläche,
Materie, Lichtverhältnisse, meisterhaftes Können sowie das Motiv
(meist Stillleben) als Inhalt definiert. Diese sonst als L'art pour
l'art verstandene Richtung nahm in der polnischen Moderne ihren
Anfang, als ein Anhänger des Postimpressionismus, Jozef Pankiewicz,
und seine Schüler 1924 in der französischen Hauptstadt das "Pariser
Komitee" gründeten, um die Tradition des französischen
Impressionismus zu pflegen.

Die Kolorismen haben Berührungspunkte mit den EXPRESSIONISMEN, was
sie aber trennt, ist die Art der Emotionen. Bei den Koloristen
entsprechen sie der farblichen Ausdrucksqualität, bei den
Expressionisten der psychologisierenden Ausdrucksqualität der
Empfindungen. Versuchen die Koloristen, sich vom Erbe des
Romantizismus mittels der Farbmaterie zu distanzieren, so lassen die
Expressionisten wie Stefan Szmaj, Artur Maria Swinarski, Bronislaw
Wojciech Linke, Bruno Schulz und Wladyslaw Skoczylas dieses Erbe in
ihren rätselhaften und symbolhaften, vergeistigten und irrealen
Bildfindungen fortleben, sodass die Grenzen zwischen Physik und
Metaphysik, Materie und Geist künstlich erscheinen.

Die Zone der VISIONEN wirkt vor allem in ihrem inhaltlichen Ansatz
frappierend. Visionäre sind meist vielseitige Metadenker, die ihre
mentalen Konstruktionen in einer immateriellen Gestalt erfinden und
dadurch experimentell und erkenntnistheoretisch anmuten. In dieser
Zone des Strefismus mischt sich die künstlerische Einbildungskraft
(Henryk Berlewi, Karol Hiller, Kazimierz Podsadecki) am
einprägsamsten mit politischen Ambitionen (Leon Chwistek, Tadeusz
Wojciechowski) und dem Willen zur Macht. Bei Letzteren zeigen sich
mindestens zwei verschiedene Haltungen: eine konformistische und eine
oppositionelle, wobei oft nicht eindeutig hervorgeht, wo die Grenze
verläuft. Die Vertreter dieser Zone waren für Leon Chwistek zu seiner
Zeit Formisten (Stanislaw Ignacy Witkiewicz) und Futuristen, er sah
sie aber als keine abgeschlossene Richtung an.

In Kooperation mit dem Nationalmuseum in Warschau, im Rahmen des
Polnischen Jahres in Österreich.

Kuratorinnen: Romana Schuler, Goschka Gawlik
Koordination in Polen: Katarzyna Nowakowska-Sito
Ausstellungsarchitektur: Angela Hareiter, Studio Wien

Katalog: DER NEUE STAAT. Polnische Kunst zwischen Experiment und
Repräsentation, Hrsg. Romana Schuler, Goschka Gawlik für die Leopold
Museum-Privatstiftung, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2002, 352
Seiten, ca. 200 Abbildungen, Preis: Euro 32,90

Öffnungszeiten: täglich außer Dienstag: 10 - 19 Uhr,
Freitag: 10 - 21 Uhr
Eintritt: Euro 9, regulär
Führungen: Sonntags um 16 Uhr und nach Vereinbarung
Audioguides: Deutsch, Englisch, Euro 2
Kunstvermittlung: siehe http://www.leopoldmuseum.org
Kontakt: Leopold Museum, Museumsplatz 1 im MQ
A-1070 Wien
Tel. +43 1 52570
Fax +43 1 52570-1500
mailto:office@leopoldmuseum.org

Wir danken unseren Sponsoren: RE-Bau GmbH, Raiffeisen Zentralbank
Österreich AG (RZB-Austria), Die Presse

Rückfragehinweis:
Leopold Museum
Öffentlichkeitsarbeit
Ute Weber
Tel. +43 1 52570 - 1507
mailto:presse@leopoldmuseum.org

OTS-ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | NEF

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