"Tiroler Tageszeitung" - Kommentar: "Ach ja, die Koalition" (Von Claus Reitan)
Ausgabe vom 11. Jänner 2003
Innsbruck (OTS) - Noch ist ungewiss, wann welche Koalition auf der Grundlage der Nationalratswahl 2002 die Regierungsgeschäfte übernimmt. Aber was sie zu tun hat, wird mit jedem Tag der öffentlichen Sondierungen, diskreten Treffen und inszenierten Konferenzen erschreckend deutlich. Die Einleitung der vorerst noch nicht geschriebenen Regierungserklärung könnte lauten: Liebe Landsleute! Sie werden mehr arbeiten aber weniger verdienen, mehr einzahlen aber weniger herauskriegen und sich von Liebgewordenem zu trennen haben, ohne dass Ihnen die Regierung etwas Vergleichbares anbieten kann.
Tatsächlich: Mit jedem Gespräch der Parteien, die nun doch alle regieren wollen, verlängert sich die Liste an Aufgaben für die nächste Regierung. Den erhellenden Blick auf die Probleme des Landes verdanken wir dem Umstand, dass das Redeschlachtfeld Parlament mangels duellfähiger Kontrahenten faktisch leer und verwaist ist. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat alle Parteigeneräle an den politischen Sandkasten zur Analyse geladen. Konfrontiert mit der Möglichkeit der Verantwortung erkennen auch die weniger fronterfahrenen Truppenführer den Ernst der Lage.
So werden plötzlich wohlerworbene Rechte in Frage gestellt und Pflichten der Beitragszahler eingemahnt. Internationale Solidarität wird nicht nur unter dem Gesichtspunkt nationaler Neutralität gesehen. Überbordende Gesetzgebung und Bürokratie stehen zur Disposition. Die Sondierungen machen es öffentlich.
Entgegen mancher Behauptung gibt es keine Erfahrung, die irgendeine Koalition als besonders wünschenswert oder gar notwendig erscheinen lässt. Keine große Koalition hat je gehalten, was sie an großen Reformen versprochen hat. Jede kleine Koalition ist rascher gescheitert, als es der Juniorpartner glauben wollte. Keine Regierung ist bestellt, um sich beliebt zumachen. Jede wird für Unterlassung abgemahnt.
Die Sondierungen erkunden Probleme und testen politisches Personal. Das stimmt nicht nur die Bürger auf die Reformen ein sondern auch Parteien und Parlamentarier. Denn Bundeskanzler Schüssel wird jedem, egal welchem, Oppositionellen sagen können, aus den Tagen der Sondierung müsse er doch um die Notwendigkeit der jeweiligen Reform Bescheid wissen. Und mit der Regierung stimmen.
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