"Presse"-Kommentar: Hut ab vor Gusenbauer (von Andreas Unterberger)
Ausgabe vom 4. Jänner 2003
Wien (OTS) - Alfred Gusenbauer ist es ernst. Er will
(mit)regieren. Das ist (im Jänner) das erste konkrete Verhandlungsergebnis nach den Wahlen (vom November). Ob es auch seine Partei ernst meint, ob sie begriffen hat, daß Regieren heute vor allem die Verantwortung für schmerzhafte Entscheidungen und den Abschied von billigen Wahlkampfparolen bedeutet, darüber kann man hingegen noch immer nur rätseln. Auch die SP-Klausur wird da wohl nicht letzte Klarheit bringen.
Sind die Verantwortungs-losen Stellungnahmen von Prammer & Co nur Taktik während der Regierungsbildung? Oder sind nicht breite Kreise der SPÖ weiterhin überzeugt, sozialdemokratisches Regieren könne nur einen immer weiteren Ausbau von Wohlfahrt und Verschiebungen der Lasten auf die nächste Generation bedeuten? Was bedeutet das auffallende Schweigen der Gewerkschafter: Meiden sie nur die offene Konfrontation mit Gusenbauer, oder sind sie bereit, an der Entsumpfung Österreichs mitzuwirken?
Aber selbst wenn Gusenbauer letztlich untergehen sollte, kann man ihn schon jetzt vor den Vorhang bitten: Er hat es zum erstenmal gewagt, mit konkreten Reform-, also Belastungs-Ideen in die Öffentlichkeit zu treten. Ein Mut, an dem sich nun auch die ÖVP wieder ein Beispiel nehmen sollte.
Gusenbauer spricht offen von einem höheren Pensionsantrittsalter:
Hut ab, denn damit ist eine zentrale Reformnotwendigkeit nun auch von der SPÖ anerkannt. Er verlangt gleichzeitig - ebenso zu Recht - nach Reformen, die die älteren Arbeitnehmer im Beruf halten. Offen bleibt freilich, welche Wege er für dieses Ziel ansteuern will - neben einem weiteren Ausbau der ohnedies schon hochentwickelten Gesundheitsvorsorge. Es gibt kontraproduktive Wege wie eine weitere Erhöhung des Kündigungsschutzes; sinnvolle, aber teure wie den Abbau der Lohnnebenkosten; und besonders wirksame, die aber die kollektivvertragliche Zustimmung der Gewerkschaft brauchen, wie etwa die Eliminierungen aller automatischen Lohnsprünge zumindest nach dem 40. Lebensjahr.
Wenn der Applaus für Gusenbauer anhalten soll, dann müßte er da schon viel präziser werden.
Ähnliches gilt für seinen Stich in ein weiteres Wespennest: Er verlangt eine Kürzung der höheren Pensionen. Und zwar auch der schon heute bezahlten! Hier setzt sich Gusenbauer sofort dem dümmlichen Vorwurf des Eingriffs in "wohl(?)erworbene" Rechte wie aber auch dem legitimen Vorwurf aus, damit entstünde erst recht neues Unrecht. Denn die höheren Beamten haben ja auch ein Leben lang höhere Pensionsbeiträge einbezahlt. Daher sollte sich Gusenbauer schon jetzt bewußt sein, daß solche Reformen politisch wie verfassungsrechtlich nur funktionieren werden, wenn zugleich das gesamte Pensionssystems auf ein Konto-System umgestellt wird.
Jeder erhielte dann die Pension, die seinen wertgesicherten Beiträgen - in welche Kasse immer - und denen des Dienstgebers entspricht (auch wenn diese bei den Beamten nur fiktiv sind). Zusammen mit einer beitragsunabhängigen Mindestsicherung jedes Bürgers über 65 wäre das die einzige Basis, das Pensionssystem nachhaltig zu sanieren. Und zwar ab sofort und nicht erst dann, wenn nichts mehr zu retten ist.
Gusenbauer öffnet jedenfalls eine wichtige Diskussion. Er verbindet das mit dem Schmäh, daß solche und andere radikale Reformen die Bedingung - und nicht die Konzession - der SPÖ für einen Regierungseintritt sind. Das ist taktisch klug, parteistrategisch aber mutig. Denn die SPÖ hatte zuletzt im wesentlichen nur noch bei zwei Gruppen eine Mehrheit: bei den Pensionisten und bei den Beamten. Was etwa die vielen reichen Obersenatsräte der Gemeinde Wien zu Gusenbauer sagen werden, könnte noch lustig werden.
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