• 30.12.2002, 10:50:20
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Schizophrenie: Weg von der medikamentösen "Zwangsjacke" - ein Hilferuf der modernen Psychiatrie an verantwortliche Stellen

Wien (OTS) - Wiener Spezialist Univ.-Prof. Dr. Dr. Siegfried
Kasper: "Die Behandlung akuter psychotischer Erkrankungen muss mit
allen zur Verfügung stehenden Mitteln erfolgen - wie die Therapie
eines Herzinfarkts auch."

Kardiologen oder Chirurgen zögern bei Lebensgefahr nicht, die
modernsten und wirksamsten Mittel zur Rettung des Patienten
einzusetzen. Die Psychiatrie ist hier partiell hintennach: Noch immer
erhält nur ein Teil der Menschen, die an einer Schizophrenie leiden,
die modernsten, wirksamsten und zugleich nebenwirkungsärmsten
Medikamente - die so genannten atypische Antipsychotika. In ihrer
modernsten Art müssen sie nur noch alle zwei bis drei Wochen einmal
in Form einer Depotspritze injiziert werden.

"Eine akute psychiatrische Erkrankung, wie sie die psychotische
Episode eines Schizophrenen darstellt, sollte sich in der Medizin in
ihrer Wertigkeit für die Therapie nicht von einem akuten Herzinfarkt
unterscheiden. Zusätzlich ist eine zweite psychotische Phase genau so
zu verhindern, wie ein zweiter Herzinfarkt", erklärte jetzt
Univ.-Prof. Dr. Siegfried Kasper, Leiter der Klinischen Abteilung für
Allgemeine Psychiatrie am Wiener AKH.

Der Hintergrund: Obwohl es seit Jahren in der Form der atypischen
Antipsychotika (z.B. "Risperidon") besser verträgliche und auch
besser wirksame Medikamente zur Behandlung der Schizophrenie gibt,
bekommen noch immer viel zu wenige der Patienten dieser Medikamente.
Kasper: "An unserer Klinik erhalten zwar schon rund 80 Prozent der
Schizophrenie-Patienten diese atypischen Antipsychotika, in der
niedergelassenen Praxis liegt dieser Anteil aber zum Teil weit
darunter."

Stigmatisierung und irreversible Nebenwirkungen verhindern!

Der Hintergrund: Die herkömmlichen Neuroleptika haben zwar vor
Jahrzehnten die Schizophrenie erst behandelbar gemacht, indem sie
wirksam die "positiven Symptome" (Halluzinationen, Wahnvorstellungen,
Stimmenhören, Denkstörungen etc.) verringern. Doch die oft
gleichzeitig auftretenden "negativen Symptome" (Apathie, Rückzug aus
dem sozialen Leben, Affektverflachung, Depression, Antriebsschwäche
etc.) blieben. Kasper: "Die Patienten laufen mit den alten
Medikamenten häufig 'wie Roboter', 'ferngesteuert' herum."

Gerade das macht die Betroffenen auffällig für die Umgebung.
Stigmatisierung und Diskriminierung sind erst recht die Folge. Ein
Teil der Betroffenen scheut daher auch vor der Einnahme der
Medikamente zurück. Ein Teufelskreis kommt in Gang. Gerade das können
die neuen Antipsychotika verhindern. Gut 80 Prozent der Patienten
könnte mit ihnen gut behandelt werden.

Ein ganz wichtiger Punkt: Unter den alten Arzneimitteln kommt es
nach längerer Anwendung bei manchen Patienten zu irreversiblen
Bewegungsstörungen (Spätdyskinesien). Die Betroffenen können nur noch
in Trippelschritten gehen. Ihr Gesicht wird durch Grimassen
entstellt. Sind diese Symptome einmal da, verschwinden sie auch nicht
mehr, wenn die Medikamente abgesetzt werden.

Langzeitbehandlung: Jetzt auch in modernster Form, daher weg
von der medikamentösen "Zwangsjacke"

Deshalb sollten Menschen mit psychotischen Störungen modern und
langfristig behandelt werden. Der Wiener Spezialist: "Nach dem
Auftreten einer ersten psychotischen Episode sollte die medikamentöse
Therapie ein bis zwei Jahre dauern. Dann kann man einmal beobachten,
wie es weiter ohne Arzneimittel aussieht. Bei zwei Phasen wird man
mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Lebens-begleitende Therapie ins
Auge fassen müssen."

Vor allem in der Langzeittherapie der Schizophrenie können
injizierbare Depot-Antipsychotika eine wichtige Rolle spielen.
Kasper: "Nicht immer sind die Patienten in der Lage, regelmäßig die
Tabletten einzunehmen. Das führt oft dazu, dass es bald wieder zu
einer stationären Aufnahme ins Spital kommt."
Im Krankenhaus war der Patient gut auf die Medikamente eingestellt,
doch das reale Leben draußen ist einfach anders. Der Rückfall kann so
vorprogrammiert sein.

Der Wiener Spezialist: "Deshalb können Depot-Antipsychotika hier
eine wertvolle Hilfe sein. 20 bis 30 Prozent der an Schizophrenie
Erkrankten bekommen solche Medikamente als Depot injiziert. Jetzt
gibt es auch erstmals ein atypisches Antipsychotikum in dieser lang
wirksamen Form."

Eine Injektion alle zwei bis drei Wochen!

Es gibt es nun eine wesentliche Verbesserung. Kasper: "Das erste
atypische Antipsychotikum muss nur alle zwei bis drei Wochen - je
nach Patient - injiziert werden." Damit wurde die langfristige
Wirkung der Depot-Anwendung mit den Vorteilen der modernsten
Medikamente zur Behandlung der Schizophrenie kombiniert.

Damit stünden die Vorteile der atypischen Antipsychotika auch für
jene Betroffenen zur Verfügung, die einfach nicht täglich Tabletten
schlucken können oder wollen, mit der regelmäßigen Einnahme Probleme
haben oder ihre sonst gut behandelte Krankheit zwischen den
Arztbesuchen einfach "vergessen" wollen.

Die Voraussetzung: Medizin und Gesellschaft (Finanzierung)
erkennen, dass zwischen dem Herzinfarkt und der Psychose kein
Unterschied in der Bedeutung, die der Therapie der jeweiligen
Krankheit zugemessen wird, mehr sein darf.

Moderne Therapie reduziert Kosten!

Den Krankenkassen steht mit dieser neuen Depot-Form erstmals seit
langem - genau gesagt seit rund 30 Jahren - eine Applikationsform zur
Verfügung, die anerkannte positive Eigenschaften eines Depots mit den
Vorteilen der atypischen Antipsychotika verbindet.

Auf Grund des deutlich verringerten Rückfallsrisikos durch diese
neue Form der Medikamentenverabreichung hat nicht nur der Patient
enorme Vorteile, sondern es ermöglicht auch den Krankenkassen eine
gesamtwirtschaftliche Einsparung bei den Therapiekosten - denn nichts
ist teurer in der Therapie der Schizophrenie als ein
Krankenhausaufenthalt, der heute "nur noch" rund einen Monat dauert.

Rückfragehinweis:
Univ.-Prof. Dr. Dr. Siegfried Kasper
Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie
Univ. Klinik für Psychiatrie Wien
Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien
Tel.: +43 / 1 / 40 400 / 3568

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