• 05.07.2002, 17:32:08
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DER STANDARD-Kommentar: "Jugendliche brauchen Schutz: Die ÖVP will einen Missstand abschaffen und schafft dabei einen neuen" (von Michael Völker) - Erscheinungstag 6.7.2002

(ots) - "Kampfblasen" im Swingerklub. Mit dabei Mädchen zwischen 14
und 16 Jahren. "Gangbang": "Hübsche Girls bumsen um die Wette - jeder
Mann kommt dran." Mit dabei minderjährige Mädchen. Ganz legal. Das so
genannte Schutzalter liegt bei 14 Jahren. Mit dem Straftatbestand
Zuführung zur Prostitution ist dem Besitzer des Swingerklubs nicht
beizukommen. Auch wenn die Mädchen Geld dafür erhalten oder ein
Geschenk, oft ist es ohnedies nur ein warmes Essen. Der Besitzer
beutet minderjährige Mädchen sexuell aus, Zuhälter ist er in den
Augen der Richter aber keiner. Und daher auch nicht zu belangen.

Ein unerträglicher Zustand. Das werden vor allem auch jene Menschen
so empfinden, die selbst Kinder haben. Der Fall der minderjährigen
Mädchen im Swingerklub - die Wiener Stadtzeitung Falter hat darüber
berichtet - kann einem Albträume bereiten.

Die Mädchen kommen aus dem Heim. Sie gelten als "sozial
verwahrlost", was die Sache nicht einfacher macht. Kinder, die in
einem funktionierenden sozialen Umfeld aufwachsen, sind eher vor
sexueller Ausbeutung geschützt als jene, die möglicherweise selbst
schon Missbrauch in der Familie erlebt haben, die zwischen Heim und
Straße pendeln. Sie sind anfällig für eine falsch verstandene
Zuneigung, für soziale Anerkennung, auch wenn sie diese nur im
Swingerklub erfahren, für "Vaterfiguren", auch wenn diese sie zum
"Kampfblasen" mit völlig Fremden überreden.

Es ist eine gesetzliche Lücke. Ebenso wie der Umstand, dass
minderjährige Prostituierte ständig selbst bestraft werden, die
Freier (oft mit Kindersitz im Auto) aber ungeschoren davonkommen.

Die ÖVP will dem etwas entgegensetzen. Die Aufhebung des Paragrafen
209, der homosexuelle Beziehungen zwischen Personen über und unter 18
Jahren unter Strafe stellt, bietet den Anlass dazu. Es ist kein
Schnellschuss, wie kritisiert wird, es ist Vorsatz: Die ÖVP weiß, was
sie tut, und sie hat die Ersatzregelung für den Paragrafen 209 lange
vorbereitet. Was es noch schlimmer macht.

Es ist ein Gesetz, das sich Abgeordnete ausgedacht haben. Auf die
Beratung durch Experten wird großzügig verzichtet, ebenso auf eine
Behandlung im Justizausschuss oder auf eine Begutachtung. Kriegt
Klubobmann Andreas Khol sein Gesetzesvorhaben am Montag bei seinen
Abgeordneten durch, soll es bereits am Dienstag mit schwarz- blauer
Mehrheit im Parlament beschlossen werden.

Es gibt unzählige Beispiele, die belegen, dass Richter mit
Missbrauchsfällen oft nicht umgehen können, es ist immer auch eine
Frage der persönlichen Wertvorstellungen.

Der Entwurf der ÖVP erkennt zwar einen gesetzlichen (und
gesellschaftlichen) Missstand, schießt aber weit über das Ziel
hinaus. Jugendliche sind nicht nur zu schützen, sie haben auch
Rechte. Und die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen hat einen
äußerst verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität.

Der ÖVP-Entwurf wird dem nicht gerecht. In seinem Zentrum steht etwa
"der Schutz noch nicht sexuell reifer Jugendlicher unter 16 Jahren
vor Ausnutzung ihrer mangelnden Reife durch altersbedingte
Überlegenheit des Verführers". Wer definiert mangelnde Reife? Der
Richter? Die Eltern? Der türkische Vater, der nicht will, dass seine
Tochter mit einem Österreicher geht? Und was ist ein "Verführer"? Was
schließlich ist unter "altersbedingter Überlegenheit" zu verstehen?
Zwei Jahre, drei Jahre oder vier?

Dass es einen gesetzlichen Handlungsbedarf gibt, liegt schmerzlich
auf der Hand. Die ÖVP aber will Sexualität regulieren, sie will
Gummiparagrafen, die letztlich mehr Schaden anrichten können, als sie
tatsächlich auch vor Missbrauch schützen. Notwendig wäre ein Gesetz,
das der Realität Rechnung trägt, dem Schutz von Jugendlichen gerecht
wird, ohne zugleich ihre Rechte zu beschneiden, ihre Intimität zu
verletzen und sie für ihr Sexualleben dem Rechtfertigungszwang vor
dem Richter auszusetzen. Diese Chance vertut die ÖVP.

Rückfragehinweis: Der Standard
Tel.: (01) 531 70/428

OTS-ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | PST/ots

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